# taz.de -- In China ensteht eine riesige neue Arbeiterbewegung: Herr Cui triff… | |
> Cui Changyong ist nach Honkong gereist, um von seinem Arbeitgeber Disney | |
> seine Rechte einzufordern. Hunderttausende werden seinem Beispiel folgen. | |
Bild: Daimler-Werk in Peking - die chinesischen Arbeiter werden sich ihrer Kraf… | |
SHENZHEN/HONGKONG taz Es ist ein großer Tag für Cui Changyong. Der Arbeiter | |
aus Shenzhen will die Grenze nach Hongkong passieren, um die Zentrale des | |
Walt-Disney-Konzerns in Asien aufzusuchen. Dort will Cui, 31, der erste | |
chinesische Fabrikarbeiter sein, der mit einem Weltkonzern mehr Lohn | |
aushandelt. "Ich will den Chefs von Disney sagen, dass sie | |
gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen und unsere Fabrik auch | |
ihr Opfer ist", sagt Cui. Doch noch sitzt er frühmorgens zu Hause auf einem | |
kleinen Plastikschemel. Er trägt Trainingshosen und Turnschuhe, und er hat | |
noch nicht mal seine nagelneue Aktentasche für die Reise nach Hongkong | |
gepackt. | |
Cui wohnt in einem Neubau im Arbeiterbezirk von Shenzhen, der | |
südchinesischen Boommetropole. Im Erdgeschoss befindet sich eine kleine | |
Werkstatt für Autozigarettenanzünder, darüber hat Cui zusammen mit einem | |
Kollegen eine winzige Zweizimmerwohnung gemietet. Darin befinden sich zwei | |
Metallbetten, ein Tisch, eine Stehküche sowie Toilette und Dusche. Heute | |
Nacht hat Cui die Zimmer bis in den letzten Winkel geputzt, wegen der | |
bevorstehenden Reise konnte er vor Aufregung nicht schlafen. Jetzt ist es | |
Morgen, höflich bittet er, sich zu setzen. | |
Auf dem Tisch liegen bunte Disney-Figuren aus Hartgummi, daneben | |
Schnitzmesser, fein sortiert in einer Plastikdose. Zwei Jahre lang hat Cui | |
als Schnitzer und Zeichner von Disney-Figuren bei der Firma Haowei | |
gearbeitet. Dann, vor sechs Monaten, kündigten er und vier weitere Kollegen | |
und reichten beim Arbeitsamt Beschwerde gegen ihre ungesetzlichen | |
Arbeitsbedingungen bei Haowei ein. Als die Behörde nicht reagierte, | |
reichten sie eine Unterlassungsklage beim Verwaltungsgericht ein. Derlei | |
hatte es zuvor noch nie gegeben. "Die Arbeiter von Haowei machen sich auf | |
den langen Marsch zum Rechtsschutz", titelte die Lokalzeitung - es war der | |
Beginn von Cuis Arbeitskampf. | |
Der Spielzeugfabrikarbeiter ist nicht allein. 800 Millionen Chinesen | |
schicken sich gerade an, gerechte Bezahlung von der Weltwirtschaft | |
einzufordern. Es ist so weit: Marx wird für China zum ersten Mal wichtiger | |
als Mao. Nahezu unbemerkt vom Rest der Welt formiert sich die chinesische | |
Arbeiterbewegung. Bald wird sie die größte aller Zeiten sein. | |
Verantwortlich für diese Entwicklung ist u. a. die Hongkonger | |
Nichtregierungsorganisation (NGO) Sacom (Studenten und Professoren gegen | |
unternehmerisches Fehlverhalten). Sie macht öffentlich, was sich täglich | |
ereignet. Nahezu jeder Arbeiter in der Metropole habe Streikerfahrung, | |
heißt es bei Sacom. Im Westen erfährt man davon wenig; die chinesischen | |
Medien berichten zwar über die Aktionen, verschweigen aber deren | |
Protestcharakter. Nur NGOs und Gewerkschafter wissen mehr. | |
Dominique Mueller vom Hongkonger Büro des Internationalen | |
Gewerkschaftsbundes sagt: "Die große Zahl von Aktionen in China zeigt, dass | |
die Arbeiter mangels unabhängiger Gewerkschaften ihre Interessen selbst in | |
die Hand nehmen." Ähnliches beobachtet Robert Munro von der | |
Dissidentenorganisation China Labour Bulletin in Hongkong: "Die meisten | |
chinesischen Arbeiter wissen, dass sie Rechte haben. Und sie wissen, dass | |
die meisten Arbeitgeber diese Rechte missachten." Seit Jahren beobachtet | |
der Menschenrechtsaktivist Munro die wachsende chinesische Protestbewegung | |
in China. Er stellt fest, dass Arbeitsniederlegungen auch in anderen | |
Landesteilen zunehmen. Derzeit gebe es Busfahrerstreiks in der Mandschurei | |
und in Sichuan mit tausenden Beteiligten. "Der Kampfgeist wächst", sagt | |
Munro. | |
Cui sieht das für sich und seine Kollegen genauso. Sein persönlicher Weg | |
ist zwar neu für China, aber nicht für die internationale Arbeiterbewegung. | |
Er zeigt das Erwachen eines eigenständigen Selbstbewusstseins der | |
Arbeiterschaft, das die KP bislang unterdrückt hat. | |
Cui ist Sohn einfacher Bauern aus Zentralchina. Fast wäre er an die | |
Universität gekommen, bei der Aufnahmeprüfung fehlten ihm nur wenige | |
Punkte. Daraufhin zog er als Wanderarbeiter nach Shenzhen und schlug sich | |
so durch. Irgendwann schaffte er es, eine Grafikerausbildung nachzuholen, | |
später brachte diese ihm den Job beim Disney-Zulieferer Haowei ein. Bis er | |
gekündigt und geklagt hat. | |
Erst mal die Tasche packen | |
Cui hat es jetzt eilig. Er nimmt seine neue, schwarze Aktentasche, für die | |
er umgerechnet 8 Euro bezahlt hat. Er stopft ein T-Shirt, Socken und | |
Zahnpasta in das Laptopfach. Dann verstaut er sein wichtigstes Dokument: | |
eine von hundert Arbeitern seiner Fabrik handschriftlich verfasste Liste | |
der noch ausstehenden Löhne. Alle Kollegen haben unterschrieben - in ihrem | |
Namen will er mit Disney in Hongkong verhandeln. | |
Cui tritt vor die Haustür. Die engen Gassen des Viertels sind voller | |
Erwachsener, sie tragen grüne oder blaue Fabrikhemden, sie sind auf dem Weg | |
zur Arbeit. Die Frauen untergehakt, die Männer in kleinen Gruppen, kaum | |
jemand geht allein. Das wirkt solidarisch. Tatsächlich leben hier Chinesen | |
aus allen Provinzen des Landes, oft können sie einander gegenseitig nicht | |
verstehen. Es ist ein typisches Migrantenmilieu, wie es einst such die | |
Arbeiterbewegungen in Europa und den USA geprägt hat. | |
Cui schlägt seinen alten Arbeitsweg ein, er will sich vor der Abreise von | |
den Kollegen verabschieden. Die Haowei-Spielzeugfabrik liegt nicht weit | |
entfernt von einem neuen Einkaufszentrum mit riesigen Reklamewänden für | |
Schnaps und Mobiltelefone. Für die Arbeiter sind diese Angebote | |
unerschwinglich. Am Fabrikeingang will Cui nicht gesehen werden, er gilt | |
als Aufwiegler. Deshalb schleicht er sich zum Arbeiterwohnheim. Von außen | |
greift er durch ein geöffnetes Fenster, zieht eine grüne Gardine beiseite. | |
Man sieht verstaubte Betten aus Spanplatten, auf denen die Habe der | |
Bewohner liegt, dahinter ein Waschraum, aus dem es nach Urin riecht. Er | |
selbst musste nur kurze Zeit hier leben, als Grafiker bekam er mehr Lohn | |
und konnte sich bald eine eigene Wohnung leisten. Aber er kennt die Klagen | |
seiner Kollegen - es sind die typischen Klagen chinesischer Arbeiter. | |
Wie viele andere Unternehmen zahlt Haowei nicht mal den gesetzlichen | |
Mindestlohn von 70 Euro im Monat. Überstunden werden nicht vorschriftsgemäß | |
besser bezahlt, die Arbeitszeiten sind länger als gesetzlich erlaubt, für | |
Wohnheimplätze und Kantinenessen wird mehr Geld vom Lohn abgezogen als | |
zuvor angekündigt. Wie Rohrspatzen schimpfen die Haowei-Arbeiter. Dabei | |
geht es ihnen vergleichsweise gut - die schlimmsten Bedingungen herrschen | |
in den Ziegeleien und Kohlegruben der Volksrepublik, wo sich viele Menschen | |
regelrecht totarbeiten. | |
Doch deshalb sind die Arbeiter in der Spielzeugfabrik von Shenzhen nicht | |
weniger wütend. Sie fühlen sich diskriminiert. Der | |
Wirtschaftswissenschaftler Cai Feng vom Institut für Bevölkerungs- und | |
Arbeitsökonomie an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaft forscht | |
seit Jahren über die Lage der Arbeiter. "Objektiv geht es vielen besser, | |
ihre Löhne steigen", analysiert Cai. "Trotzdem sind sie unzufriedener denn | |
je." Er erinnert daran, dass sich Chinas Arbeiter einst als Elite | |
betrachtet haben. Heute aber sehen sie ihren Platz am Ende der sozialen | |
Leiter, begreifen sich als Verlierer - verglichen mit Parteikadern, | |
Fernsehstars und neureichen Unternehmern. Gerade deshalb sieht Cai Feng die | |
neue Bewegung positiv. "Streiks sind ein Zeichen dafür, dass das | |
Bewusstsein der Arbeiter erwacht." | |
Cui nimmt den Zug nach Hongkong. Um einen Reisepass für die ehemalige | |
Kronkolonie zu bekommen, musste er extra zu seinem Einwohnermeldeamt in die | |
Provinz Henan reisen. Die Fahrt hat Sacom bezahlt, die Hongkonger NGO. "Cui | |
ist der erste Arbeiter, der uns aus China kontaktiert hat. Sonst stellen | |
immer wir die Verbindung her", sagt Sacom-Mitarbeiterin Yau Tzewei, die Cui | |
in Hongkong abholt. | |
Endlich wird verhandelt | |
Yau führt Cui in ihr Büro und erklärt ihm die für die Verhandlung mit | |
Disney geplante Strategie. Cui hört zu. Er hockt auf einem Plastikstuhl und | |
klammert sich an seine Aktentasche. Schließlich kommen noch ein Journalist | |
und ein Fotograf der KP-nahen Shenzhener Tageszeitung Southern Metropolis, | |
dann machen sich die vier auf den Weg. | |
Die Asien-Pazifik-Zentrale von Disney hat ihre Räume im 18. Stock des Shell | |
Towers, eines Wolkenkratzers im Hongkonger Geschäftsviertel. "Ich war noch | |
nie in einem so vornehmen Gebäude", sagt Cui. Noch immer trägt er | |
Trainingshose und Turnschuhe. Dann steht er vor der Glastür des | |
Konzernbüros. Er sammelt seinen Mut, tritt ein und wird ohne Wartezeit von | |
Disney-Manager Jim Leung empfangen. Leung ist verantwortlich für die | |
Arbeitsbeziehungen von Disney in Asien und im pazifischen Raum. Er führt | |
Cui in einen Konferenzraum mit Blick auf den Hongkonger Hafen. Hinter ihnen | |
schließt sich die Tür. | |
Zwei Stunden verhandeln sie miteinander. Anschließend lässt der Konzern der | |
taz mitteilen, dass Disney zum ersten Mal einen chinesische | |
Arbeitervertreter empfangen habe, auf eine "Win-Win-Situation" hoffe und | |
ein weiteres Treffen organisieren wolle. Daran sollten dann auch weitere | |
Auftragnehmer von Disney teilnehmen. | |
"Okay", sagt Cui am Ende des Tages, "es wird weiterverhandelt." Noch ahnt | |
er nicht, dass seine Reise den Beginn der chinesischen Arbeiterbewegung auf | |
der globalen Bühne markiert. | |
10 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Georg Blume | |
## TAGS | |
China | |
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