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# taz.de -- Anatolische Lebenswelten: Aktuelle Einsichten
> Wer die Türkei besucht, sollte gegen gängige Klischees und Vorurteile
> zeitgenössische türkische Literatur in den Koffer packen. Ein Überblick
> über türkische Literatur in deutscher Übersetzung
Bild: Türkischer Cay
Wer sein mentales Türkeibild erweitern will, sollte türkische Romane lesen.
Allerdings finden sich die modernen türkischen Literaten etwas zerstreut in
der Verlagslandschaft. Vor allem Kleinverlage haben sich hier verdient
gemacht, aber langsam ziehen auch die größeren Verlage nach.
Das Beispiel des großen Dichters Nazim Hikmet ist typisch: Als Sozialist
hatte er seinen Platz in den DDR-Verlagen, Suhrkamp hat in bewegteren
Zeiten eine Auswahl herausgegeben, der Dagyeli Verlag und Buntbuch Hamburg
haben einiges publiziert, und das Meisterwerk "Menschenlandschaften" gibt
es in fünf Bänden beim Germinal Verlag. Klein- und Kleinstverlage bemühen
sich seit Jahrzehnten um die türkische Literatur, auch um so einflussreiche
Schriftsteller wie Aziz Nesin, den man hierzulande kaum kennt. Aziz Nesin,
Demokrat, Satiriker und Humanist, war in seiner Heimat ein Dauerklient bei
den Gerichten und verbrachte insgesamt fünf Jahre in Untersuchungshaft. Den
Brandanschlag auf das Madimak-Hotel in Sivas im Jahr 1993 überlebte er, 37
alevitische Künstler und Intellektuelle nicht. Der Ikoo-Verlag in Wunsiedel
ist Aziz Nesins deutscher Stammverlag, aber auch C. H. Beck hat einen Titel
publiziert.
Nedim Gürsel schreibt Romane, die auf postmoderne Weise die Tradition mit
der Moderne verbinden. Er lebt in Paris und wird beim Schweizer Ammann
Verlag verlegt. Sein melancholisch-liebeshungriger Kunstprofessor aus
Istanbul, der in Venedig osmanische Einflüsse auf die venezianische Kunst
untersucht, entdeckt auf der nationalen Spuren- und Identitätssuche in der
Fremde etwas, was er nicht unbedingt gesucht hat - sich selbst. Gürsels
erster Roman, "Der Eroberer", liegt auch als Taschenbuch bei Bertelsmann
vor.
Anatolische Lebenswelten hat Yasar Kemal beschrieben, dessen großes Werk
fast komplett beim Unionsverlag vorliegt und in das komplexe multiethnische
Spektrum der Türkei einführt. In der zeitgenössischen Literatur gehören zu
diesem Spektrum auch kurdische AutorInnen - Suzan Samanci und Helim Yusiv
beim Unrast Verlag, Yusuf Yesilöz beim Rotpunktverlag und Memed Uzun beim
Unionsverlag in Zürich. Dort wurde schon eine ganze Reihe türkischer
Autoren übersetzt, und im letzten Herbst startete mit finanzieller Hilfe
der Robert Bosch Stiftung die Reihe "Türkische Bibliothek". Deren erste
drei Bände (von 20 geplanten) sind viel versprechend. Aus diesem Engagement
erhofft man sich auch eine Professionalisierung des türkisch-deutschen
Übersetzerwesens.
Übersetzer spielen in dieser Szene eine große Rolle. Das Übersetzerpaar
Helga Dagyeli-Bohne und Yildirim Dagyeli ist bekannt durch die Übersetzung
der ersten Memed-Bände von Yasar Kemal, aber Yildirum Dagyeli hat auch
jahrelang in Frankfurt am Main den Dagyeli Verlag betrieben und viele
türkische AutorInnen herausgegeben. Inzwischen wird der Verlag in Berlin in
der zweiten Generation von Jeanine Dagyeli und Mario Pschera weitergeführt
und hat das Programm auf Literaturen der Turkvölker erweitert. Man findet
Titel zur interkulturellen Pädagogik, türkeispezifische Sachbücher,
anspruchsvolle Poesie von Klassikern wie Nazim Hikmet und Orhan Veli, aber
auch den sprachfreudig- experimentellen Underdog-und Gangsterroman "Cholera
Blues" aus den Tiefen Istanbuls.
Beatrix Caner und Mesut Caner verbinden in ihrem Verlag ebenfalls das
Übersetzen mit der Pioniertätigkeit für den deutschsprachigen Markt. In
Frankfurt am Main haben sie vor fünf Jahren "Literaturca. Verlag für
türkische Literatur" gegründet. Beatrix Caner übersetzt selbst und
präsentiert demnächst auch eine Monografie über einen der wichtigsten
Modernen, Ahmet Hamdi Tanpinar, von dem bereits Erzählungen vorliegen. Der
Zweck des Unternehmens ist die Übersetzung "der besten Literatinnen und
Literaten aus der Türkei".
Zu empfehlen sind: Erendiz Atasü mit einem realistischen Erzählband, Cetin
Öner mit einem Roman über einen Tscherkessenjungen, der sich für ein Pferd
hält und Feyza Hepcilingirler, die subtile psychologische Porträts moderner
Menschen entwirft. Elif Shafak, eine aufstrebende Autorin der jungen
türkischen Szene, liegt im Literaturca Verlag mit dem etwas mystischen
Spätmittelalterroman "Spiegel der Stadt" vor, außerdem bei Eichborn mit dem
Roman "Die Heilige des nahenden Irrsinns".
22 Apr 2006
## AUTOREN
Martin Zähringer
## TAGS
Reiseland Türkei
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