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# taz.de -- Geteilte Hauptstadt: Nahtstelle Nikosia
> Offene Ateliers in einer geteilten Stadt. Wie Künstler aus dem
> griechischen Süden und dem türkischen Norden Zyperns die grüne Grenze
> durchlässiger machen wollen
Bild: Ledra-Straße in Nikosia: Ende des griechischen Teils
Endlich, der mechanische Metallstempel saust nach unten. Klack! Er
hinterlässt auf dem kleinen, weißen Stück Papier in Nicholas Panayis Hand
ein ovales Zeichen in blauer Farbe. Nun darf der griechische Zypriote den
türkisch-zypriotischen Teil der Stadt wieder verlassen. Panayi lächelt
freundlich, nickt und nimmt sein Visum aus der Durchreiche unter der
Glasfront entgegen. Die Beamtin in ihrer dunkelblauen Uniform hinter der
Scheibe blickt streng zurück und nimmt den Pass des nächsten Grenzgängers
am Posten der geteilten Hauptstadt Nikosia entgegen.
Der Wind pfeift kalt um die kleinen Containerhäuschen, in denen die Beamten
der Türkischen Republik Nordzypern auch an diesem Herbsttag sitzen. Kein
anderer Staat der Welt erkennt die Arbeit dieser Beamten offiziell an -
außer der Türkei. Gerade deshalb nehmen sie sich Zeit, studieren die Pässe,
scannen die Nummern in Computer, tasten die zugehörigen Gesichter mit ihren
Blicken ab. Die Subventionen der Türkei fließen auch in die Gehälter der
Grenzbeamten in ihren Containern. Die Performance am Grenzübergang tröstet
die türkischen Zyprioten ein wenig darüber hinweg. Ein Stempel blau auf
weiß bedeutet etwas: ein kleines Symbol, eine bleibende Spur der Existenz.
Immerhin.
Am Himmel über Nikosia hängen graue Wolken, es ist kalt für die
wärmeverwöhnte Mittelmeerinsel. Seit mehr als 50 Jahren kämpfen die
türkischstämmige Minderheit und die griechischstämmige Mehrheit auf Zypern
um ihr Territorium, um gegenseitige Anerkennung. Seit drei Jahren, noch vor
dem EU-Beitritt der griechischen Republik im Süden, sind wenigstens die
Grenzübergänge in das jeweils andere Gebiet geöffnet. Aus einer mit Waffen
gesicherten Grenze ist eine Schwelle geworden, ein Transitraum, der Europas
politische und wirtschaftliche Union durchlässig macht zu einem ihrer
heikelsten Außengebiete, der Türkei.
Panayi verstaut sein Visum in seiner beigen Umhängetasche und wartet auf
dem kleinen Platz vor dem Grenzübergang auf den Rest der Gruppe, die er an
diesem Nachmittag durch Nikosia führt - durch beide Teile der Stadt: ein
Ingenieur aus dem Süden, der fließend Deutsch spricht, weil er in Frankfurt
gearbeitet hat; zwei Frauen aus dem Norden mit ihren Töchtern; die
Kulturjournalistin Agniezka Zakosi, die für die englischsprachige Zeitung
Cyprus Mail arbeitet und eigentlich aus Polen stammt. Wäre nicht auch Brian
Kelly dabei, ein Journalist aus Dublin, der seit fünf Jahren als Sprecher
für die Vereinten Nationen (UN) in Zypern arbeitet, die Mischung der Gruppe
hätte fast den Anschein einer ganz gewöhnlichen europäischen
Kulturtouristengruppe in einer ganz gewöhnlichen Eurometropole. Die
Realität hingegen knallt Stempel auf formlose Visumpapiere.
"Open Studios" heißt die Reihe, die Panayi organisiert, "Offene Ateliers".
Für zwei Wochen im Jahr öffnen Maler, Fotografen und Performancekünstler
interessierten Besuchern aus beiden Teilen der Stadt ihre Arbeitsstätten.
Panayi führt sie auf seinen Touren dorthin. "Wir brauchen Möglichkeiten,
uns kennenzulernen", sagt Panayi, "auch wenn es schwierig ist, die Leute
füreinander zu interessieren." Kennenlernen, interessieren - Panayis
Projekt klingt einfach, zumindest für Europäer, die sich zu den Mitgliedern
der Union zählen dürfen und Grenzen nur mehr als nostalgische Reminiszenz
einer antiquierten Weltaufteilung wahrnehmen. Für die meisten Zyprioten, im
Süden wie im Norden, bedeutet kennenlernen, den Blutsfeinden ihrer Väter
und Mütter auf Augenhöhe zu begegnen. Seit die Grenzen geöffnet sind,
besteht die Chance zur Annäherung. Auch drei Jahre später nutzen sie nur
wenige.
Etwa 20 Menschen sind es an diesem Tag, die der Tour von Panayi folgen
wollen. Nach der Kontrolle am Grenzübergang sammeln sie sich auf dem
kleinen Platz mitten im Niemandsland, an der sogenannten Green Line, die
die beiden Teile der Stadt und der Insel trennt, unter Aufsicht der UN. Ein
neutraler Streifen Land, der inmitten des immer weiter wachsenden,
grenzenlosen Europa seltsam vergangen wirkt. Ein Puffer, der zurzeit jedoch
beständiger scheint als je zuvor. Auch wenn die Republik Zypern nun doch
angekündigt hat, den freien Handel zuzulassen. Immerhin.
An eine dauerhafte Lösung für ein sich gegenseitig respektierendes
Zusammenleben von türkischen und griechischen Zyprioten glaubt nach dem
Veto des griechischen Teils der Insel gegen den sogenannten Annan-Plan im
Jahr 2004 kaum noch jemand. Das mehrere tausend Seiten umfassende
Vertragswerk der UN sah die Wiedervereinigung mit zwei föderal verbundenen
Regierungen vor. Für die türkischen Zyprioten, die mehrheitlich mit Ja
stimmten, hätte dies nicht nur den Zugang zu Europa mit all seiner
Prosperität bedeutet, sondern auch die Abnabelung vom "Mutterland" Türkei,
das die nicht anerkannte Republik als Faustpfand für die eigenen
Beitrittsverhandlungen mit der EU benutzt. Die Republik Zypern, Mitglied
der EU, intervenierte. Die EU findet bis heute keine Antwort darauf.
Panayi und die Gruppe schlendern los, die Straße entlang, die durch die
Green Line führt, vorbei an heruntergekommenen Häusern auf der linken
Seite. Nur in einem ist Leben: in einer Art Souvenirladen, in dessen
Schaufenstern bedruckte T-Shirts baumeln. Der Fußgängergrenzverkehr bringt
ein wenig Geld. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind die
UN-Soldaten stationiert, in einem ehemaligen Hotel, ihrem Hauptquartier.
Überall an der Fassade, in Fensterrahmen Türen klaffen Schusslöcher -
Spuren des griechischen Militärputschs von 1974, den die türkische
Regierung als eine von drei Garantiemächten der Insel zum Anlass ihrer
Intervention im Nordteil der Insel nahm. Seither sind auf beiden Seiten
unzählige Soldaten und Geschütze postiert. Seit 1974 ist die Teilung der
Insel geostrategisch zementiert. Gepuffert durch die UN-Blauhelme.
Deren Sprecher Brian Kelly grüßt jeden, dem die Gruppe auf der Straße durch
die Green Line begegnet, mit Namen. Auf der Rasenfläche neben der Straße
organisiert die UN ein Fest für Kinder und Jugendliche aus beiden Teilen.
Die Stühle sind noch leer, auf der Bühne unter freiem Himmel probt eine
Band. Auch die Jugendlichen, die sich aus gemeinsamen Sommerzeltlagern
kennen, sollen sich einander annähern. Vielleicht sind sie jung genug, um
das alte Bluts- und Gebietsdenken der Eltern zu überwinden. Brian Kelly
zuckt mit den Schultern. Seine Arbeit hat ihn desillusioniert. Sie wird
trotzdem weitergeführt. Die UN tut, was sie tun kann und soll. Über die
Polizei- und Militärabordnungen, die in kleinen Gruppen im Nordteil der
Stadt zum Grenzübergang abgezogen wurden, schüttelt Kelly trotzdem den
Kopf. "Das ist ein Kinderfest, wozu braucht es da Soldaten?", fragt er.
Eine Antwort erübrigt sich. Der Aufmarsch hat symbolischen Wert. Seit
einiger Zeit wird die Rasenfläche im UN-Gebiet als Fußballplatz genutzt,
Spiele zwischen Nord und Süd finden trotzdem nicht statt. Ein
türkisch-zypriotischer Verein darf den Rasen pflegen. Immerhin.
"Seit dem Veto der griechischen Zyprioten ist die Stimmung auf beiden
Seiten sehr schlecht", erzählt Panayi, "auch unter uns Künstlern." Er sieht
ernst aus mit seinen klaren, braunen Augen, den dunklen Locken und dem fein
rasierten Bart, der seine Oberlippe ziert. Manchmal lächelt er
aufgeschlossen. Trotz des gewachsenen Misstrauens, trotz des Desinteresses,
das so viele seiner griechisch-zypriotischen Mitbürger dem Norden
entgegenbringen. Dann sagt er Sätze wie diese: "Wir dürfen keine Hoffnung
mehr in die Politik setzen. Beide Regierungen werden von Jahr zu Jahr
unflexibler und extremer." Gewählt habe er auch zuvor noch nie. Seine
Erfahrung habe ihm gezeigt, dass die Politik in Europa und auf der Insel
die Teilung nur zementiere, dass eine Vereinigung immer weiter entfernt
scheine, leider. Trotzdem hält er an seinem Traum fest: "Vielleicht gelingt
es der Kunst, die Einstellung der Menschen ein wenig zu verändern."
Viele von Panayis Kollegen wollen ihr diese Bürde gar nicht erst aufladen.
Indirekt bestätigt hat sie erst im Sommer dieses Jahres das Scheitern der
geplanten internationalen Kunstbiennale "Manifesta 6", die im Norden und
Süden Zyperns hätte stattfinden sollen. Sie platzte, wie so viele Projekte
zwischen Nord und Süd, als die einzig dauerhafte Einrichtung der
Veranstaltung, eine Kunstschule, im Norden angesiedelt werden sollte. Weil
eine indirekte Anerkennung der Türkischen Republik Nordzypern daraus hätte
abgelesen werden können
Hätte, sollte - es ist der Konjunktiv, der die Geschichte der Insel auch im
ausklingenden Jahr 2006 als strategisches Spiel um territoriale Anerkennung
erzählt. Diverse bikommunale Projekte wie gemeinsame Fernsehsendungen oder
gemischte Chöre, die insbesondere türkisch-zypriotische Politiker wie der
Tourismusamtsleiter als Zeichen ihres guten Willens zur Annäherung gerne
anführen, sind fester Bestandteil der offiziell auf Dialog getrimmten
Attitüde.
Nicholas Panayi, der 1988 sein Kunststudium beendete und dann sieben Jahre
in Tschechien lebte, bleibt trotzdem. Und führt seine Gruppe weiter durch
den Süden Nikosias, vorbei an den griechisch-zypriotischen Grenzbeamten,
die alle locker durchwinken; vorbei an neuesten Mercedes-Taxi-Limousinen,
Gucci- und Prada-Läden, vorbei an den vielen jungen Menschen, die sich auf
den Weg zu Kneipen und Cafés im Zentrum machen. Der EU gehört das
internationale, laute, bunte Leben, von dem sich so viele junge türkische
Zyprioten nur ein paar hundert Meter weiter, jenseits der Grenze, so viel
erwarteten. Schließlich hatte es ihnen ihre eigene Regierung nach dem Sturz
des Präsidenten und Vereinigungsgegners Rauf Denktasch versprochen: endlich
Chancengleichheit, endlich freien Zugang zu internationalen
Bildungsinstitutionen, endlich freie Wahl des Arbeitsplatzes. Endlich Teil
sein jenes Europas, das so stolz ist auf diese Errungenschaften - und es zu
Recht sein darf. Was vielen nun bleibt, ist der Rückzug auf den
Verliererstatus, auf das Beleidigtsein der Ausgeschlossenen.
Gur-Genc, ein Schriftsteller mit symbolisch geteiltem Künstlernamen, lebt
mit seinen 37 Jahren schon zu lange im Nordteil, um diesen Verheißungen
emphatisch vertraut zu haben. "Ich fühle mich nicht persönlich verletzt vom
Nein der griechischen Zyprioten zu einer Vereinigung", sagt der türkische
Zypriote. "Ich habe es erwartet." Gur-Gencs Wangen und seine Nasenspitze
schimmern rot; wie viele Künstler und Besucher im Kulturzentrum "Büyük Han"
trinkt er Wein aus einem weißen Plastikbecher. Es ist eine der Stationen
von "Open Studios" im Nordteil. Im Innenhof des Karrees zeigen Schnitzer
ihre Holzarbeiten. Früher beherbergte die Anlage Hotelgäste, während der
britischen Besatzung diente sie als Gefängnisanlage. Heute arbeiten hier
Künstler.
Während Gur-Genc spricht, hallt der Ruf eines Muezzins von der
gegenüberliegenden Moschee über den Hof. "Wir verdienen es noch nicht, dass
die Grenze verschwindet", meint der Schriftsteller. "Das müssen wir uns
erst erarbeiten." Gemeinsam mit südzypriotischen Dichtern organisiert er
Lesungen, bei denen seine Gedichte auch ins Griechische übersetzt
vorgetragen werden. "So unterschiedlich sind unsere Bilder, ist unsere
Weltsicht gar nicht", sagt er aus dieser Erfahrung heraus, "schließlich
leben wir in einer ähnlichen Situation." Sie teilen ein Leben auf einer
geteilten Insel, von der keiner der beiden Volksstämme fliehen kann - und
will. Ein Leben, trotzdem in Feindschaft.
Immer wieder sind es KünstlerInnen wie Ayhatun Atesin, die nach
Verbindungen suchen, in sehr direkter Symbolik. Die türkische Zypriotin
zeigt in ihrem Atelier eine Videoanimation ihrer Kunstaktion. Auf der
Leinwand laufen Dutzende knallbunte Pumps-Paare durch die Straßen des
türkischen Teils von Nikosia, über Mauern und Treppen hinweg, bis sie an
der Grenze abprallen und doch weiterlaufen. "Frauen können alle Barrieren
der Freiheit durchbrechen", sagt Atesin. Eine Hoffnung, die für EU-Europäer
kitschig klingen mag. Eine Hoffnung, immerhin.
Auch Sumer Ereks großes Langzeitwerk trägt einen sehr direkten symbolischen
Titel: "Raw Earth Project". Darin setzt sich der 47-Jährige, der längst in
London lebt, in Istanbul studiert hat und sich trotzdem eng mit der Insel
verbunden fühlt, mit den Themen Vertrauen und Territorium auseinander.
"Eigentlich ist dies die Zusammenfassung des Zypernproblems", erklärt der
Performancekünstler, "im Kern geht es um Land, Eigentum und Mangel an
Vertrauen." Diese Inselmentalität, die Enge, die sich auch im Denken
spiegle, könne er aus der Londoner Distanz erkennen. "In meinem Alltag lebe
ich ganz selbstverständlich mit allen Vorteilen der Globalisierung", sagt
Erek, "in einer multikulturellen und internationalen Gesellschaft." Nichts
anderes wünscht sich der türkische Zypriote, der 1974 mit seinen Eltern aus
dem Süden vertrieben wurde, für Zypern. Nichts ist unwahrscheinlicher als
dieser Traum. "Die lange Isolation hat psychische Spuren hinterlassen,"
konstatiert Erek. Viele türkische Zyprioten warteten nun auf ein Zeichen
Südzyperns. "Intellektuelle und Künstler müssen dort gegen die
Boykottpolitik der Regierung von Tassos Papadopoulos opponieren." Ein paar
wenige wie Nicholas Panayi versuchen es. Immerhin.
Als der Muezzin wieder schweigt, legt sich Stille über die engen Straßen
rings um das Kulturzentrum. Vor einer Imbissbude sitzen zwei alte Männer,
rauchen und schweigen. Die Luft ist staubig. Eine Plastiktüte raschelt, als
eine Frau ihre Einkäufe nach Hause trägt. Die Stadt im Norden scheint zu
schlafen, ein zypriotisches Dornröschen, das nur darauf wartet, wachgeküsst
zu werden. Eine zerbeulte Puma-Sportschuh-Schachtel am Straßenrand lässt
ahnen, wie viel Potenzial auch im Norden steckt.
Überall dort öffnen "Adidas"-, "Puma"- oder "Benetton"-Läden mit ihren
importierten Fakes aus der Türkei, die einen Vorgeschmack geben auf die
wirtschaftlichen Vorteile, die eine EU-Mitgliedschaft mit sich brächte.
Trotz des Scheiterns der Aufnahme in die EU wächst im
türkisch-zypriotischen Teil auch die Tourismus- und Baubranche. Die Türkei
investiert. Die Kehrseite des Wachstums setzt Tag für Tag mit einem
Katamaran nach Nordzypern über: türkische Gastarbeiter aus Anatolien und
anderen ländlichen Regionen der Türkei. Sie ersetzen die vielen
türkischen-zypriotischen Arbeiter, die seit der Grenzöffnung ihr Geld im
Süden der Insel verdienen - mehr Geld. Auf die Gastarbeiter aus der Türkei
jedoch wartet am Grenzposten mitten in Nikosia kein ovaler Stempel in
blauer Farbe. Die Beamten aus dem Südteil der Insel lassen sie spüren, dass
sie dritte Wahl sind - keine Zyprioten, keine Bürger der EU.
17 Dec 2007
## AUTOREN
Susanne Lang
## TAGS
Reiseland Zypern
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