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# taz.de -- Die Besucher kommen wieder: Neuer Glanz nach dem Krieg
> Mostars berühmte Brücke steht zwar wieder, die Stadt ist aber immer noch
> geteilt
Bild: Alte Brücke ("Stari Most") in Mostar
Der Schriftsteller Ivo Andric schwärmte einst vom goldglitzernden Licht in
Mostar. Gut zehn Jahre nach dem Friedensschluss in Bosnien kommen wieder
Touristen in die Stadt an der Neretva. Das Wahrzeichen, die alte Brücke aus
dem 16. Jahrhundert, ist wieder aufgebaut, ebenso das Händlerviertel. Aber
immer noch teilt eine unsichtbare Linie die Stadt. Der junge Mann in
Badehose steigt auf die Mauer und breitet die Arme aus. Eine Menschenmenge
auf der alten Brücke im Herzen der bosnisch-herzegowinischen Stadt Mostar
beobachtet gespannt die Szene. Macht ers oder macht ers nicht? Der Mann
steigt wieder von der Mauer herab und sammelt Geld im Publikum. Wenn er 30
Euro zusammen habe, werde er springen, verspricht er. So wiederholt sich
die Szene einige Male. Inzwischen klettert ein anderer im Neoprenanzug auf
die Mauer, hält kurz inne und stürzt sich mit den Beinen voran in den
grünblauen Strom, der etwa 20 Meter unter ihm dahinfließt. Ein entsetztes
Raunen geht durch die Zuschauergruppen, dann Erleichterung. Nach wenigen
Sekunden taucht er wieder auf und schwimmt ans felsige Ufer.
Gut zehn Jahre sind vergangen, seit das Dayton-Abkommen im Dezember 1995
den Krieg in Bosnien-Herzegowina beendete. Im Sommer vor zwei Jahren bekam
Mostar sein Wahrzeichen zurück. Es gab der herzegowinischen Metropole den
Namen: Alte Brücke heißt in der Landessprache Stari Most, Mostar bedeutet
Brückenwächter.
Inzwischen gehören die wagemutigen Sprünge wieder zu den
Touristenattraktionen in der Stadt mit ihren etwa 100.000 Einwohnern. Junge
muslimische Männer aus dem Westteil verdienen sich im Sommer damit ihren
Lebensunterhalt. "Versuchen Sie das lieber nicht", sagt die 24-jährige
Vesna Hrsto, eine schlanke Frau mit langen braunen Haaren, auf Deutsch zu
ihrer Reisegruppe. Gerade gestern Abend sei ein Mann, der seiner Freundin
imponieren wollte, beim Sprung von der Brücke ums Leben gekommen.
"Wahrscheinlich hat er in dem eiskalten Gebirgswasser einen Herzschlag
gekriegt", vermutet Vesna. Der Sprung in den Fluss ist nur etwas für jene,
die mit seinen Tücken vertraut sind.
Stari Most ist das Wahrzeichen der Stadt und gleichzeitig ein einzigartiges
Monument historischer Baukunst. Mit einer Spannweite von knapp 29 Metern
ist der Brückenbogen der größte Steinbogen der Welt. Vor 13 Jahren fiel
dieses Meisterwerk der Gewalt zum Opfer. Im Jahr 1993 begann der Krieg
zwischen den Muslimen und Kroaten in Mostar, nachdem sie zuvor gemeinsam
gegen serbische Truppen gekämpft hatten. Wochenlang wurde vom kroatischen
Ostteil der Stadt aus auf die Altstadt im Westen gefeuert. Von dort
schossen Muslime zurück. Im November lagen bereits große Teile der Stadt in
Schutt und Asche. Die Brücke über die Neretva war beschädigt, aber sie
hielt. Erst ein tagelanger gezielter Panzerbeschuss von kroatischer Seite
brachte sie am 9. November 1993 zum Einsturz, und der Fluss färbte sich
rot. "Der Krieg hat die Brücke zum Bluten gebracht", sagten die Leute.
Bereits 1996 wurde mit dem Wiederaufbau von Altstadt und Stari Most
begonnen. Dabei stellte sich heraus, dass die osmanischen Baumeister einen
einzigartigen Mörtel aus rotbrauner Tonerde verwendet hatten, das "Blut"
der Brücke. Unter der Leitung der Unesco, finanziert vor allem mit Geldern
der Weltbank, arbeiteten Expertenteams aus aller Welt an der
originalgetreuen Rekonstruktion des historischen Bauwerks. Altstadt und
Brücke erstrahlen jetzt in neuem Glanz.
Die Waren der Kaufleute in der Carðija,dem alten muslimischen
Händlerviertel, blitzen und leuchten in den Auslagen: handgewebte Stoffe,
kupfernes und silbernes Mokkageschirr, aber auch Rangabzeichen der
ehemaligen Kriegsparteien und zu Kugelschreibern umgearbeitete
Patronenhülsen. Besucher aus aller Welt schlängeln sich durch die engen
Gassen, begutachten die angebotenen Waren, sitzen in den Bars und
Restaurants, schlürfen türkischen Mokka oder essen Cevapcici und trinken
dazu bosnisches Bier. Zu besichtigen gibt es etwa die prächtige
Koski-Mehmed-Pascha-Moschee aus dem Jahre 1617 mit ihrem alten Brunnen im
Innenhof, das Türkische Haus mit der erhaltenen Wohneinrichtung aus
osmanischer Zeit und viele andere Relikte aus dieser Ära.
Ist also alles wieder beim Alten? "Nein", sagt Vesna, "Mostar ist eine
geteilte Stadt". Die katholische Frau ist für ein kroatisches
Reiseunternehmen tätig. Den Krieg überstand die damalige Teenagerin als
Flüchtling in Kroatien. "Muslime und Kroaten haben noch heute jeweils
eigene Schulen und Universitäten und leben weitgehend getrennt." Außerdem
habe jede Seite ihre eigene Feuerwehr und Müllabfuhr. Immerhin gebe es
inzwischen dank UNO und EU eine einheitliche Stadtverwaltung und eine
gemeinsame Polizei.
Vesna wohnt mit ihrer Familie am "Bulevar" in der Stadtmitte. Dort, etwa
200 Meter westlich der Altstadt, verlief früher die Frontlinie. Auch heute
teilt der "Bulevar" die Stadt in den östlichen muslimischen Teil und den
kroatisch-katholischen Teil im Westen. Die Grenze ist unsichtbar geworden.
Militärstellungen, Zäune und Checkpoints wurden weggeräumt. Die meisten mit
Einschusslöchern übersäten Häuserwände haben einen neuen Putz bekommen.
Im Jahr 1996 sei sie nach Mostar zurückgekehrt, erzählt Vesna. Erst drei
Jahre später habe sie sich wieder in den muslimischen Teil der Stadt
getraut. "Mein Vater hat auf der kroatischen Seite gekämpft", berichtet
sie. Er wolle den muslimischen Ostteil der Stadt nie mehr betreten. "Mein
Vater will nicht den Leuten begegnen, die auf ihn geschossen haben", sagt
Vesna. Die seelischen und sozialen Zerstörungen, die der Krieg hinterlassen
hat, sind nicht so schnell zu beseitigen wie die äußerlichen.
Seit sechs Jahren füllt sich die Stadt wieder mit Besuchern. Viele
Touristen kommen nur zu einem kurzen Ausflug von der kroatischen Küste
hierher", berichtet Vesna. "Wir wünschen uns mehr Besucher, die länger
bleiben". Vesna hat prominenten Beistand. Ivo Andric, der mit dem
Literaturnobelpreis ausgezeichnete bosnische Schriftsteller, schwärmte von
Mostar: "Wenn man in Mostar übernachtet, ist es nicht das Geräusch, das
einen morgens weckt, sondern das Licht. Es glitzert wie ein goldener,
unruhiger Abglanz in einem Glas mit Wein aus der Herzegowina", schrieb er.
29 Jul 2006
## AUTOREN
Achim Beinsen
## TAGS
Reiseland Bosnien-Herzegowina
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