# taz.de -- Endlich wieder Reiseland: Auch Sarajevo ist wieder da | |
> Die schlanken Minarette der ersten Moscheen neben den trutzigen Türme der | |
> katholischen und orthodoxen Kirchen zeigen die kulturelle Mischung, die | |
> für Bosnien typisch war. | |
Bild: Sarajevo, Bascarsija-Platz in der Altstadt. | |
Von der kroatischen Küste kommend, findet man noch im Frühsommer die | |
Spitzen der am Horizont auftauchenden Berge von Schnee bedeckt. Man fährt | |
durch das trockene und vor Hitze glühende Karstland Dalmatiens, durch den | |
„Stein“, wie die Leute hier sagen. Die Straße gewinnt jedoch schnell an | |
Höhe. 80 Kilometer von Split entfernt befindet sich auf einem Bergrücken | |
die Grenze Bosnien und Herzegowinas zu Kroatien. Noch herrscht der Karst | |
vor in diesem Teil der mehrheitlich von Kroaten bewohnten Westherzegowina. | |
Doch die Landschaft gewinnt an Weite. Das Hochtal, in der Livno liegt, ist | |
schon fruchtbarer. | |
Und hin zum über 1.300 Meter hohen Kuprespass wird die Landschaft grün. | |
Dort, auf der Passhöhe, wo die ersten Nadelwälder auftauchen, beginnt das | |
eigentliche Bosnien. Die schlanken Minarette der ersten Moscheen, die | |
trutzigen Türme der katholischen und orthodoxen Kirchen in Bugojno und | |
Donji Vakuf weisen auf die kulturellen und religiösen Mischungen, die für | |
Bosnien typisch waren und es teilweise noch immer sind. Die Bewohner des | |
bosnischen Staats des Mittelalters, der bis 1453 den osmanischen Armeen | |
trotzte, waren Christen, hingen aber zumeist der bosnischen Kirche an, die | |
sich dem katholischen Papst nicht unterwerfen wollte. | |
Herätische Sekten wie jene der Bogumilen waren in Bosnien geduldet, in | |
Mittel- und Westeuropa religiös und politisch Verfolgte flohen ins | |
mittelalterliche Bosnien. Die bis heute noch im Bewusstsein vieler Menschen | |
stark verwurzelte Toleranz gegen andere Religionen, die bis zum letzten | |
Krieg 1992-95 die Gesellschaft prägte, hat im bosnischen Staat des | |
Mittelalters ihren Ursprung. | |
Die alte Königsstadt Jajce liegt eingebettet in einem Gebirgstal. Die | |
Kaskaden des Plivaflusses, der hier mit dem Vrbas zusammenfließt, geben der | |
von einer Burg überragten Stadt eine besondere Atmosphäre. Das älteste | |
Baudenkmal, der Tempel des Gottes Mitras aus dem 4. Jahrhundert vor | |
Christus, konkurriert mit den christlichen Katakomben und dem | |
romanisch-gotischen Turm der Sankt-Lukas-Kirche. Mit Jajce als Königssitz | |
erreichte der bosnische Staat des Mittelalters seine größte Ausdehnung, | |
reichte von der Sava im Norden bis an das Mittelmeer. Mit den Hafenstädten | |
Dubrovnik und Split eng verbunden, erlebte Bosnien damals eine kulturelle | |
Blüte. | |
Kein Wunder, dass 1943 die für ein neues Jugoslawien kämpfende | |
Partisanenbewegung an diesem historischen Platz den entscheidenden Kongress | |
abhielt: Seine Beschlüsse begründeten das kommunistische Jugoslawien. Heute | |
erinnert ein Museum an diesen Teil der Geschichte der Stadt. Im letzten | |
Krieg wurde die Stadt von serbischen Truppen erobert, die kroatische und | |
muslimische Mehrheitsbevölkerung musste im November 1992 fliehen. Erst 1995 | |
gelang es kroatischen Truppen, die Stadt zurückzuerobern. Seither ist ein | |
großer Teil der muslimischen Bevölkerung zurückgekehrt. | |
Auch die Nachbarstadt Travnik war im letzten Krieg in Gefahr, zerstört zu | |
werden. Die erste Hauptstadt der Region nach der osmanischen Eroberung | |
Bosniens im 15. Jahrhundert ist mit ihren Moscheen und der historischen | |
Burg ein Kleinod islamisch-türkischer Baukunst. Travnik galt einmal als das | |
„europäische Istanbul“ und war einer der wichtigsten Handelsposten zwischen | |
Dubrovnik, Belgrad und Kleinasien. Mitte des 16. Jahrhunderts, als Sarajevo | |
zum Zentrum des osmanischen Bosnien wurde, verlor es zwar seine | |
administrative, nicht jedoch seine spirituelle Bedeutung. Für den | |
bosnischen Islam ist die Stadt der Sturzbäche und Springbrunnen mit ihren | |
vielen religiösen Schulen weiterhin ein Zentrum geblieben. Die mit | |
Malereien und Ornamenten prächtig ausgestattete Jeni-Moschee zieht noch | |
heute viele Menschen aus anderen Teilen Bosniens zum Freitagsgebet an. | |
Auch die osmanische Herrschaft ging relativ duldsam mit den | |
unterschiedlichen Religionen um. Auch wenn Muslime weniger Steuern als | |
Christen zahlen mussten. Erst mit der Annexion Bosniens durch das | |
Habsburgerreich 1878 verschoben sich die Gewichte. Doch Wien hatte kein | |
Interesse, das jahrhundertealte filigrane Nebeneinander und Miteinander der | |
unterschiedlichen Volksgruppen zu stören. | |
Ivo Andric, der berühmteste Schriftsteller der Stadt, der für seinen Roman | |
„Die Brücke über die Drina“ vor 42 Jahren den Nobelpreis erhielt, hat | |
dieser Gesellschaft ein Monument gesetzt. In Travnik stehen nach wie vor | |
die Moscheen neben den christlichen Kirchen. Das ist leider nicht überall | |
in Bosnien mehr so. Während des letzten Krieges wurden mehr historische | |
Baudenkmäler zerstört als während des Zweiten Weltkriegs oder der Kriege | |
zuvor. | |
Die unter dem serbischen Präsidenten Slobodan Miloðevic in Belgrad | |
formulierte Politik der Annexion eines Teils Bosniens führte zur | |
Vertreibung aller Nichtserben aus den von den Serben eroberten Gebieten | |
Bosniens 1992. Und das waren 66 Prozent des Territoriums. Um die 900 | |
Moscheen, darunter jene berühmten wie die Aladza-Moschee in Foca und die | |
Arnaudi-Moschee in Banja Luka, sowie viele katholische Kirchen wurden im | |
Zuge der so genannten ethnischen Säuberungen mutwillig zerstört. Nichts | |
sollte mehr an die früheren Bewohner erinnern. | |
Vor allem Freiwillige aus Serbien, so genannte Freischärler, weniger | |
einheimische Serben taten sich dabei hervor. Dass seit 1993 Kroatien unter | |
seinem Präsidenten Franjo Tudjman seinen Teil aus dem Kuchen Bosnien und | |
Herzegowinas herausbrechen wollte, verschlimmerte die Lage in | |
Zentralbosnien noch mehr. Nun begannen auch Kroaten, systematisch | |
Nichtkroaten aus den von ihnen beherrschten Gebieten zu vertreiben. Nur | |
dort, wo die Muslime das Land kontrollierten, kam es zu keinen | |
organisierten Repressionen gegen andere Volksgruppen. In Sarajevo mit | |
seiner muslimischen Mehrheit wurden die Kulturdenkmäler aller anderen | |
respektiert. | |
Sarajevo hat dreieinhalb Jahre der Belagerung widerstanden. Hunderttausende | |
von Granaten setzten die Stadt in Brand. Doch Spuren der Zerstörung sind | |
heute kaum mehr zu sehen. Nicht nur die Altstadt erstrahlt in neuem Glanz, | |
auch viele der modernen Hochhäuser sind wiederaufgebaut. Der Verkehr fließt | |
wie eh und je stockend durch die zwischen den Bergen entlang dem | |
Miljacka-Fluss eingezwängte Stadt. Der Name kommt von saraj, dem Schlaf- | |
und Handelsplatz der Kaufleute. Mitte des 16. Jahrhunderts formte sie sich | |
aus drei oder vier Dörfern, begann die Bautätigkeit. Iza-beg Ishakovic und | |
Gazi Husrev-beg, nach dem die berühmteste der vielen Moscheen in Sarajevo | |
genannt ist, bauten Brücken und Mühlen, Karawansereien und Gasthäuser | |
(han), Moscheen und Bäder. Nach der Flucht von tausenden Juden aus Spanien | |
Ende des 15. Jahrhunderts kam eine vierte Religion nach Sarajevo, die | |
sephardischen Juden, die mit ihren Synagogen im Zentrum der Stadt | |
gegenwärtig geblieben sind. | |
In der Altstadt werden wie früher die Erzeugnisse der Goldschmiede und der | |
Kunsthandwerker aller Art angeboten. Am Abend pulsiert das Leben, der | |
Abendspaziergang lockt die Schönheiten der Stadt auf die Straße, die | |
Menschen flanieren entlang den Cafés und Restaurants, werfen einen Blick in | |
die Bildergalerien oder bleiben ganz einfach zu einem Schwatz mit Bekannten | |
stehen. Sarajevo ist wieder da, dutzende von Hotels sind neu erstanden. Das | |
europäische Jerusalem“, wie sich die Stadt gerne nennen lässt, wartet | |
wieder auf Besucher. | |
14 Jun 2003 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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