| # taz.de -- Tournee durch die Fjorde: Der Charme der Einöde | |
| > Viele Bewohner der Westfjorde Islands ziehen weg. Ein Dichter, der | |
| > Direktor einer Sushifabrik und die Besitzer eines Cafés kämpfen dagegen. | |
| > Ein Besuch in der Provinzhauptstadt Ísafjördur | |
| Bild: Isafjördur im Nordwesten Islands | |
| Wenn es Nacht wird in Ísafjördur, läuft Eírikur Örn Norddahl zur Hochform | |
| auf. Dann sitzt der 26-Jährige hinter dem Tresen einer Hotel-Rezeption, | |
| hält Nachtwache und schreibt Gedichte und Romane, und manchmal | |
| Literaturkritiken für die Tageszeitung Morgunbladid. Norddahl ist der | |
| einzige professionelle Autor in Ísafjördur, der Provinzhauptstadt der | |
| isländischen Westfjorde. | |
| Umrahmt von 800 Meter hohen, schneegekrönten Tafelbergen liegt die Siedlung | |
| auf einer Landzunge im Fjord, mit Häusern wie Muschelperlen oder bunten | |
| Erbsen. 4.000 Menschen leben hier, und auf den ersten Blick wirkt die Stadt | |
| wie viele andere in Island: idyllisch friedlich, mit farbigen Holzhäusern, | |
| eingebettet in eine grandiose Landschaft aus Gletschern und Steilküste | |
| Dabei hat die Region mit immenser Landflucht zu kämpfen: Anfang der | |
| 1990er-Jahre lebten noch über 12.000 Menschen in den Westfjorden, jetzt | |
| sind es 8.000, Tendenz sinkend. In der Hauptstadt Reykjavík wohnen 62 | |
| Prozent der Gesamtbevölkerung Islands; viele junge Leute ziehen dorthin, | |
| der Universität und der Kultur- und Clubszene wegen. | |
| Anders Eiríkur Örn Norddahl: Nach Jahren in Dänemark, Norwegen und Berlin | |
| ist er zurückgekehrt nach Ísafjördur, "ich möchte an keinem anderen Platz | |
| leben". Die Stadt habe sich in den vergangenen fünf Jahren sehr verändert, | |
| "zum Positiven". Tags sitzt Norddahl im neu eröffneten Café Langi Mangi, | |
| vor sich Laptop, Milchkaffee und Zigaretten. Er trägt Karohemd, Bart und | |
| wilde Haare, zappelt stets mit den Beinen unterm Tisch: Wer etwas erreichen | |
| will, darf nicht stillsitzen. "Wenn du es nicht selber tust, tut es | |
| keiner", sagt Norddahl, und deshalb hat er außer seinem Nachtwächter-Job | |
| noch drei Berufe: Er ist Poet, Übersetzer und Verleger aus Leidenschaft. | |
| Norddahls erster Roman hieß "Hugsjónadruslan", was auf auf Deutsch "Die | |
| ideologische Schlampe" heißt. Das Buch wurde im renommierten Verlag Målog | |
| Menning veröffentlicht. | |
| Seit dem Frühjahr ist Norddahl selbst Chef eines Verlags: Bei "Tractor", | |
| einer Tochter des Verlags Bjartur, will er neue, avantgardistische Autoren | |
| veröffentlichen und Übersetzungen amerikanischer Literatur. Damit hat er | |
| Erfahrung; hat er doch selbst schon aus dem Englischen ins Isländische | |
| übersetzt: Michael Moores "Stupid white men" und "Dude wheres my country" | |
| sowie Allan Ginsberg. | |
| Im vergangenen Sommer ging er mit dem Musiker Mugison auf | |
| Poetry-Slam-Tournee durch die Westfjorde: Mugison stammt auch aus | |
| Ísafjördur; sein neues Album steht auf Platz eins der isländischen Charts, | |
| Björks auf zwei. Diesen Sommer touren sie wieder: Wer Konzerte haben will | |
| und Lesungen, muss etwas dafür tun. Erst recht in Ísafjördur. | |
| Manchmal passiert es zufällig, dass Leute etwas Neues schaffen. So war das | |
| bei Hrafnhildur Hafberg und Thorleifur Ágústsson: Das Paar kam mit seinen | |
| beiden Söhnen nach Ísafjördur, weil "wir müde waren von Reykjavík, wo jeder | |
| sich verhält, als sei er in New York". Hrafnhildur, 37, ist Lehrerin für | |
| Isländisch, Thorleifur, 38, promovierter Meeresbiologe und Spezialist für | |
| Dorsche. Eigentlich wollten sie keinen weiteren Job, aber als Hrafnhildur | |
| das Faktorshús in der Adalstræti passierte, änderte sie ihre Pläne. "Meine | |
| Frau sah das Haus zum ersten Mal und sagte sofort, hier mache ich ein Café | |
| auf", erzählt Thorleifur und grinst: "Ich bin nur der Ehemann und der | |
| bestausgebildete Geschirrspüler Islands." | |
| Das Faktorshús ist eines der ältesten Häuser des Landes; per Schiff kam es | |
| 1788 aus dem norwegischen Bergen. Ísafjördur war zu dieser Zeit eine der | |
| wichtigsten Städte Islands, denn damals waren die Westfjorde reich; die | |
| Menschen fischten und jagten Wale. Niemand dachte daran, nach Reykjavík zu | |
| gehen, das damals ein unbedeutender Bauernort war. | |
| Das Faktorshús, gelb mit grauem Dach, wurde so stilecht wie möglich | |
| renoviert, mit ornamentverzierten Tapeten und antiken Möbeln, an den Wänden | |
| Bilder vergangener Zeiten. Im ersten Stock gibt es ein Appartement mit vier | |
| Kojen, "als Honeymoon-Suite oder für den Familienurlaub", sagt Hrafnhildur | |
| Hafberg. Im Erdgeschoss serviert sie seit Mai isländische Spezialitäten wie | |
| geräuchertes Lamm, Salzfisch und Schichtkuchen. | |
| Was im Café Faktorshús gilt, passt auch ein paar Straßen weiter. Elias | |
| Jonatansson meint damit: "Wenn du Sushi essen willst, musst du es selbst | |
| herstellen." Er ist Direktor der Firma Sindraberg, die seit Mitte 2000 | |
| Tiefkühl-Sushi produziert. | |
| Ísafjördurs Prosperität dank des Fisch- und Walfangs ist Geschichte; eine | |
| der Fischfabriken wurde geschlossen, ebenso eine Shrimpsanlage. In dieser | |
| wird jetzt Sushi produziert, 30 bis 40 verschiedene Sorten, für den Export | |
| vor allem nach Deutschland, Österreich, Frankreich und die Schweiz. "Das | |
| war etwas Neues, "wir waren die ersten und sind in Island immer noch die | |
| einzigen", sagt Jonatansson und bringt ein Tablett mit Sushi. Aus der | |
| Packung holen, zweieinhalb Stunden auftauen lassen, fertig: "Du merkst | |
| keinen Unterschied. Es ist, als wäre es frisch vom Chefkoch eines | |
| Restaurants hergestellt." Die Algen werden getrocknet aus Japan importiert, | |
| gegrillter Aal aus Dänemark, Tigershrimps aus Japan und Kaltwassershrimps | |
| aus Island; für Vegetarier gibt es Versionen mit Gurke und Karotte. Und | |
| tatsächlich: Das globalisierte Sushi schmeckt vorzüglich. | |
| Der Jugend ist das egal; abends durchkreuzen sie Ísafjördur mit ihren Autos | |
| " immer dieselbe Strecke, immer im Konvoi, immer mit lauter Musik und | |
| offenen Fenstern. Die Mitfahrer trinken Alkohol, der Fahrer meist nicht, | |
| und manchmal reiht sich auch die Polizei ein. Die Jugendlichen ohne | |
| Führerschein und ohne ältere Freunde treffen sich im Hamburgerladen, | |
| vergleichen ihre Skateboards und Inliner, trinken Pepsi und schlürfen | |
| blau-rotes Softeis. Hoch über den Fjordbergen prangt ein angeknabberter | |
| Vollmond. Gleich wird Eiríkur Örn Norddahl sich hinter die Rezeption im | |
| Hótel Ísafjördur setzen, nachtwachen und schreiben. Zum Abschied sagt der | |
| Dichter: "Ich schlafe so wenig wie möglich. Wenn, dann am Morgen. Man muss | |
| ein Workaholic sein." Geht nicht gibts hier nicht. Nie. | |
| 20 Aug 2005 | |
| ## AUTOREN | |
| Evelyn Runge | |
| ## TAGS | |
| Reiseland Island | |
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