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# taz.de -- Kraftwerk-Studie: "Eine grandiose Täuschung"
> Epidemiologe Eberhard Greiser erhebt schwere Vorwürfe gegen die Leiterin
> der Studie zum Thema Leukämie im Umkreis von AKWs: Sie soll die
> Ergebnisse bei der Veröffentlichung verharmlost haben.
Bild: AKW Krümel an der Elbe: Im 5-Kilometer-Kreis um die deutschen AKWs ist d…
taz: Herr Greiser, haben Kinder, die in der Nähe von Atomkraftwerken
aufwachsen, ein erhöhtes Krebsrisiko?
Eberhard Greiser: Das ist eindeutig so. Die neue Studie hat die Daten von
22 deutschen Kernkraftwerken an 16 Standorten ausgewertet.
Aber ein erhöhtes Krebsrisiko besteht nur im 5-Kilometer-Umkreis, sagt die
Leiterin der Studie, Prof. Maria Blettner.
Die Aussage ist falsch. Die Auswertungen in ihrem eigenen Abschlussbericht
zeigen, dass das Risiko bis zu einer Entfernung von 50 Kilometern höher ist
als weiter entfernt und dass das Erkrankungsrisiko mit zunehmender
Entfernung von Atomkraftwerken kontinuierlich abnimmt.
Sie behaupten, dass Frau Prof. Blettner die Studie ihres Institutes falsch
darstellt?
In der Studie sind die Daten korrekt ausgewertet. Aber das, was Frau Prof.
Blettner als Ergebnis in die Öffentlichkeit kommuniziert, ist schlicht
falsch. Das kann man auch nicht als Streit unter Experten abtun. Das ist
eine so grandiose Täuschung der Öffentlichkeit, dass man sich fragen muss,
ob hier nicht die Grenze zwischen Täuschung und Fälschung überschritten
wird.
Außerhalb des 5-Kilometer-Kreises ist die Erhöhung des Risikos aber sehr
gering.
Das stimmt so nicht: Im 5-Kilometer-Kreis ist das Risiko um 60 bis 75
Prozent höher, in 5 bis 10 Kilometern Entfernung um 20 bis 40 Prozent
erhöht, weiter entfernt sinkt das Risiko bis auf sehr kleine Werte. Wenn
Sie die Zahl der Bewohner nehmen, gibt es in der 50-Kilometer-Zone
allerdings deutlich mehr betroffene Kinder.
In der ersten Pressemitteilung des Mainzer Institutes für Epidemologie
(Imbei) am vergangenen Montag stand aber: "Außerhalb der 5-Kilometer-Zone
fanden sich keine erhöhten Erkrankungsrisiken."
Der Satz stand zunächst auf der Internetseite des Mainzer Instituts, ist
nun aber gestrichen. Frau Prof. Blettner hat erklärt, dass nur 29 Fälle von
Krebserkrankung bei Kindern innerhalb von 24 Jahren der Nähe zu den
Kernkraftwerken zuzuschreiben sind. Wenn man korrekt rechnet und das Risiko
außerhalb des 5-Kilometer-Radius einbezieht, findet man je nach
Rechnungsmethode zwischen 121 und 275 Fälle. Beide Berechnungen finden sich
in der Studie ihres Hauses. Prof. Blettner hat sich in ihrer Darstellung
gegenüber der Öffentlichkeit also um einen Faktor fünf bis zehn verschätzt.
Von allen Krebserkrankungen bei Kindern unter 5 Jahren, die im
50-Kilometer-Umkreis von Kernkraftwerken leben, sind 8 bis 18 Prozent auf
das Wohnen in der Nähe des Atomkraftwerkes zurückzuführen. Die Studie gibt
deutliche Hinweise, dass Kernkraftwerke im Normalbetrieb gesundheitlich
nicht unbedenklich sind.
Wie deuten Sie das Vorgehen von Prof. Blettner?
Ich halte das bei einer Wissenschaftlerin für enorm kritisch, wenn sie die
offenkundigen Ergebnisse ihrer eigenen Forschung in einer Weise
manipuliert, dass ein Effekt fast bis zur Unkenntlichkeit verharmlost wird.
Man fragt sich natürlich, warum eigentlich.
In der Öffentlichkeit spricht Frau Prof. Blettner von der Möglichkeit, dass
es bisher noch unbekannte Faktoren gibt oder dass es sich doch um Zufall
handelt.
Diese Erklärungsversuche sind abwegig. Ich vermute, dass Frau Prof.
Blettner selbst von den Ergebnissen überrascht worden ist und deshalb nun
davon abrückt. Diese Studie ist weltweit die größte Studie zu dem Thema.
Das Expertengremium, das sie im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz
begleitet hat und dem ich angehöre, hat keinen Zweifel daran, dass hier
korrekt gearbeitet worden ist.
Die FAZ spricht von "rätselhaften Zusammenhängen".
Die Zusammenhänge sind für die Mitglieder des Expertengremiums des
Bundesamtes für Strahlenschutz nicht rätselhaft, sondern sehr plausibel.
Welcher Zufall sollte für einen so eindeutigen Abfall der
Erkrankungshäufigkeit bei zunehmender Entfernung verantwortlich sein?
Was ist normalerweise das Verfahren bei der Veröffentlichung solcher
Studien?
Das übliche Verfahren bei einer komplexen oder absehbar sensiblen Studie
ist, dass zur Sicherung der Qualität ein Beirat eingerichtet wird. Der
steht den Wissenschaftlern beiseite, die die Studie durchführen, macht am
Ende seinen Bericht, der den Wissenschaftlern bescheinigt, dass die Studie
ordentlich durchgeführt worden ist. Dann wird das Ganze den Auftraggebern
vorgelegt, und schließlich wird das Ergebnis gemeinsam verkündet und
öffentlich interpretiert. Frau Prof. Blettner hat sich im Laufe des
vergangenen Jahres jedoch gegen eine externe Qualitätsprüfung durch
Mitglieder des Expertengremiums gewehrt. Was hier passiert ist, habe ich in
meinem ganzen beruflichen Leben noch nicht erlebt.
Hat der wissenschaftliche Beirat Frau Prof. Blettner erklärt, wieso er die
Ergebnisse anders interpretiert?
Es geht hier überhaupt nicht um eine Interpretation von Ergebnissen,
sondern vor allem darum, dass Ergebnisse, die sich eindeutig im
Abschlussbericht der Studie finden, der Öffentlichkeit unterschlagen
werden. Frau Prof. Blettner hat sich auch einer Diskussion nicht gestellt.
Sie ist am 10. Dezember, als der Termin mit dem Expertengremium war, nicht
erschienen.
Soll man Eltern kleiner Kinder, die im Umkreis von 50 Kilometern von
Atomkraftwerke leben, raten, wegzuziehen?
Man kann ja nicht die Gegenden um alle deutschen Kernkraftwerke
menschenleer machen. Gott sei Dank erkranken ja auch nur sehr wenige Kinder
unter 5 Jahren an Leukämie oder an anderen Krebsarten. In ganz Deutschland
bekamen im Untersuchungszeitraum von 24 Jahren mehr als 13.000 Kinder
dieser Altersgruppe Krebs. Im Bereich unter 50 Kilometer um die 16
Standorte deutscher Kernkraftwerke erkrankten insgesamt 1.523 Kinder. Bei
121 bis 275 von ihnen ist der Krebs auf das Wohnen in der Nähe des
Kernkraftwerkes zurückzuführen - das sind vermutlich zwischen 5 und 12 pro
Jahr.
Umziehen oder nicht umziehen?
Ich würde mir einen Umzug genau überlegen. Die Emissionen der
Kernkraftwerke sind ja nur ein Faktor von vielen, die zu Krebs im
Kindesalter führen können. Und viele Faktoren können die Eltern auch ohne
Umzug beeinflussen. Rauchen während der Schwangerschaft oder in der
Umgebung von Kleinkindern ist deswegen gefährlicher, weil noch viel zu
viele Mütter rauchen. Insektizide im Haushalt sind in Deutschland praktisch
überall überflüssig, stellen aber für Leukämien und Lymphdrüsenkrebs einen
starken Risikofaktor dar. Vergleichbares gilt für Holzschutzmittel. Einige
Gruppen von sehr feinen Stäuben sind auch krebserregend, und
elektromagnetische Felder, die von vielen Haushaltsgeräten ausgehen, sind
ebenfalls Risikofaktoren.
Können die geringen Mengen an Isotopen aus einem AKW im Routinebetrieb
Krebs erzeugen?
Der Grenzwert, von dem Frau Prof. Blettner ausgeht, leitet sich ab von
Untersuchungen von Erwachsenen aus Hiroschima und Nagasaki. Da diese
Langzeituntersuchungen erst in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts
angefangen wurden, können wir daraus überhaupt nichts ableiten für das
Krebsrisiko von Kleinkindern. Die waren nämlich damals bereits gestorben,
wenn sie durch die Strahlung einen Krebs davongetragen hatten.
Wir wissen aber, dass der wachsende Organismus und noch viel mehr der nicht
geborene sehr viel sensibler ist gegenüber Strahlungen als der erwachsene
Körper. Die vom Bundesamt für Strahlenschutz eingesetzte Expertengruppe,
die die Studie begleitet hat, ist daher zu dem Ergebnis gekommen, dass man
keineswegs ausschließen kann, dass die statistisch signifikanten Effekte
durch AKWs verursacht worden sind.
Wie sollen Eltern damit umgehen?
Eltern, deren Kinder Krebs bekommen haben, sollten überlegen, ob sie nicht
die Betreiber haftbar machen. Die haben jahrzehntelang behauptet, es könne
nichts passieren.
INTERVIEW: KLAUS WOLSCHNER
18 Dec 2007
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