# taz.de -- taz-Serie "Acht für 2008" - Klaus Lemke: "Mädchen sind alle die H… | |
> 68 kennt Regisseur Klaus Lemke eigentlich ganz gut, spricht darüber aber | |
> nur gezwungermaßen. Lieber redet er über die Sinnlosigkeit von | |
> Filmförderung, die Klimakatastrophe - und Mädchen. | |
Bild: Kennt sich aus mit Frauen und Mädchen - Klaus Lemke. | |
Klaus Lemke ist der ungewöhnlichste Filmemacher Deutschlands. Und zwar seit | |
1968. Er lebte mit RAF-Gründer Andreas Baader in einer Kommune. Er | |
arbeitete mit Brigitte Bardot. Er entdeckte Iris Berben, Ira von | |
Fürstenberg, Cleo Kretschmer, Dolly Dollar und zuletzt Saralisa Volm. Wenn | |
er in diesem Gespräch auch über 1968 redet, dann nur, weil er ausdrücklich | |
dazu aufgefordert wurde. | |
taz: Unsere Leser wollen immer wissen, ob die Revolution vielleicht doch | |
noch kommt, Herr Lemke. | |
Klaus Lemke: Sag deinen Lesern, entweder ist ihre Frau die Revolution, oder | |
es gibt keine. Das ist die einzige Revolution, die übrig bleibt. | |
Die bisherige Frau oder eine neue Frau? | |
Das ganze Problem des Lebens besteht darin, dass man die Frau fürs Leben | |
nicht nur einmal trifft. Dann gehts los. | |
Das ist Revolution? | |
Also, ich mache Filme. Insbesondere Mädchenfilme. Weil ich das wirklich | |
sichere Gefühl habe, dass gerade die Mädchen aus dieser rigiden weiblichen | |
Selbstinszenierung ausbrechen wollen. Die Mädchen sind ja selber schuld, | |
dass sie in die Falle reinlaufen, aber sie haben ein Gespür dafür, dass das | |
unbefriedigend ist. Und um aus dieser Falle rauszukommen, bedarf es keines | |
Frauenverstehers, sondern eines Bösen. | |
Warum? | |
Das ist die Botschaft meiner Filme, und das ist auch das, was ich zu sagen | |
habe. Es gibt nur einen Weg, wirklich am Leben teilzunehmen für ein | |
Mädchen. Sie müssen im Bett Freiwild für ihren Partner sein und im Leben | |
das Fegefeuer. Nicht umgekehrt. Das ist das Verwirrende. Es geht nicht auf | |
nett. | |
Wie verträgt sich das mit Job, Kindern, Karriere? | |
Du darfst da nicht weiterfragen. Sonst machst du auch den ursprünglichen | |
Stachel kaputt, der in dieser Formulierung liegt. | |
Was ist der Unterschied zwischen Mädchen und Frau? | |
Wohin die Augen eines Mädchens gehen, dahin folgt auch bald ihr Herz. Drei | |
von zwei Frauen sind irgendwie beängstigend, irgendwie sexy, und irgendwie | |
von Reuer vergiftet. Und sehr mißbrauchsanfällig. Bitte jetzt keine | |
Leserbriefe. | |
Angela Merkel wurde von Kohl Mädchen genannt. Sie ist definitiv nicht der | |
Strohmann ihres Mannes. | |
Diese Angela Merkel hat das Genie, auch aus ihren Schwächen Stärken zu | |
machen. | |
Also das Gegenteil einer normalen Frau? | |
Genau das Gegenteil. Aber das liegt auch daran, dass ihr irgendwer mal | |
gesagt hat, wie sie mit Leuten reden soll. Nämlich so, wie sie immer zu | |
ihrem Mann redet. Seitdem hört man ihr gerne zu. Seitdem hat man das | |
Gefühl, dass sie kompetent ist auf Gebieten, auf denen sie gar nicht | |
kompetent sein kann. Wenn der Tonfall richtig ist, dann glaubt man auch, | |
dass die Person Recht hat. | |
Was ist der Unterschied zwischen Ihrer aktuellen Hauptdarstellerin Saralisa | |
Volm und Iris Berben, Ira Fürstenberg, Sylvie Winter, die Sie in den 60ern | |
entdeckt haben? | |
Die Mädchen früher sind genau wie die Mädchen heute immer von einer | |
Katastrophe in die nächste gerutscht. Das ist das Schicksal des Lebens. | |
Aber heute versucht man, die Katastrophe noch größer zu machen. Noch mehr | |
Schuld auf sich zu laden. Um endlich da rauszukommen. Etwas richtig machen | |
wollen, führt einen in die Hölle. | |
Wo ist die Befreiung? | |
Befreiung ist Amy Winehouse, die nicht zu "Wetten, dass...?" kommt. Das ist | |
Revolution. Ein Mädchen, das jahrelang gedrillt wird, ein Popstar zu | |
werden, fängt plötzlich an, Drogen zu nehmen. Und da klappt es. | |
Ist das nicht bloß eine weitere Inszenierung? | |
Drogen sind greedy. Die fressen dir erst dein Lächeln, dann deine | |
Gesundheit, und dann bist du froh, wenn du stirbst. Aber das ist wenigstens | |
irgend was, auf das man sich verlassen kann. Das kann man nicht postmodern | |
wegreden, das ist sicher. Die Selbstzerstörung, die sonst in ganz kleinen | |
Portionen betrieben wird im Leben, die wird hier in zwei Jahren gemacht. | |
Das ist modern. Das ist Absturz. Mein nächster Film heißt "Absturz in | |
Miami". | |
Warum ausgerechnet Miami? | |
Weil Miami des Himmels Hölle ist, ganz einfach. Saralisa Volm ist ein | |
deutsches Model, das da rübergeht und in eine Reichen-Sex-Szene reingerät. | |
Die erlebt plötzlich wirklich dieses Übermaß an Koks und an kinky Sex und | |
an Reichtum, an all dem, was Gala in kleinen Portionen verteilt. Und das | |
lässt die gänzlich traumatisiert zurück. Dennoch findet sie zu sich selbst | |
dabei, denn sie... | |
...sie lebt richtig? | |
So was darf man überhaupt nicht sagen, aber... | |
...sie ist weniger entfremdet? | |
Klar, aber das ist eine Sprache, die so überhaupt nicht mehr stimmt. All | |
diese gescheiten Formulierungen sind immer ein Tritt gegen das eigene | |
Leben. Je intelligenter man ist, desto dicker sind die Fußtritte, die man | |
sich selbst beibringt. | |
Sie waren noch nie ein Freund der Intellektuellen. | |
Um etwas verstehen zu können, muss man ein ganz klein wenig Teil dessen | |
werden. In der Feinstruktur musst du genetisch etwas annehmen und so werden | |
wie etwas. Die Intellektuellen sind Leute, die am Rande der Tanzfläche | |
stehen und so tun, als könnten sie jede bumsen. Können sie aber nicht. Denn | |
sie können ja nicht mal tanzen. Geschweige denn bumsen. | |
Gibt es Ihre Mädchen überhaupt oder ist das wie bei Hölderlin und Novalis? | |
Also, wenn ich durch Berlin laufe, frage ich mich auch ab und zu, ob es | |
Mädchen überhaupt noch gibt oder ob das so eine Fantasie war des letzten | |
Jahrtausends. Bei den meisten Mädchen hat man das Gefühl, das sind die | |
Strohmänner der Jungs. Die meisten Mädchen empfinden sich auch so. | |
Wie redet man mit einem Mädchen, das 25 ist? | |
Ich nehme gar keine Rücksicht darauf, was eine 25-Jährige denkt. Das ist | |
mir völlig egal. Die ist genauso doof wie ich. | |
Ist das der Trick? Dass die andere genauso doof ist wie man selber? | |
Das ist immerhin sehr viel besser, als wenn man Mädchen für irgend was mag, | |
was sie gar nicht sind. Also dumm sind sie in jedem Fall. So wie wir. | |
Hilflose Deppen. So wie wir. Mädchen sind alle die Hölle. Aber das ist das | |
Beste überhaupt, dass man da durch muss. | |
Warum muss man da durch? | |
Durch was soll man denn sonst durch? Durch immer neue Gehaltssteigerungen | |
oder von der taz zum Spiegel wechseln oder von hier nach Hollywood? | |
Irgendwann kriegt man doch die Idee, dass man sich auch mit anderem | |
beschäftigen sollte. | |
Wenn es diese Leute nicht gäbe, würde keiner Rundfunkgebühren zahlen, und | |
ich könnte keine Filme mehr machen. | |
Das ist eine ausweichende Antwort. | |
Ist es nicht. So war das immer. In "Undercover Ibiza" geht es um einen | |
67-jährigen Oberst a. D. Den spiele ich. Der tut so, als würde er seinen | |
Sohn aus dem Sumpf von Ibiza-Drogen retten. In Wirklichkeit will er nur | |
dessen Freundinnen ficken. Und das klappt. | |
Ein Oberst a. D., der die Freundin seines Sohnes verführt? Das werden | |
manche als moralisch fragwürdig und vor allem peinlich empfinden. | |
Den Leuten ist alles peinlich, den ganzen Tag. Die Leute haben so viel | |
Angst, dass sie sich blamieren. Es gibt keine Erlösung, außer dem Bösen. | |
Was heißt das? | |
Du musst genau das machen, was du eigentlich willst. Darum geht es. Niemand | |
sollte das Vorbild für jemand anders sein, jeder sollte das entdecken, was | |
er am meisten an sich schätzt. Alles andere ist Bioimperialismus. | |
Stringend argumentiert. | |
Ich besetze Sachen wieder positiv, weil ich das auch so empfinde. Ich gebe | |
den Leuten einen anderen Geschmack für ihr Leben. Mein letzter Film | |
"Finale"... | |
...der während der WM 2006 spielt. | |
Der wurde verkauft als Sexfilm. Aber es geht darum, dass die Leute ein | |
neues Gefühl für ihr Leben bekommen und das kann nur durch Verführung | |
entstehen. Es hat doch so lange gedauert, bis man endlich kapiert hat, dass | |
Worte und Bilder nur die Power haben, die man ihnen gibt. Nun kommt schon | |
wieder das nächste Ding, mit dem die Leute überrumpelt werden, das ist die | |
Klimakatastrophe. Die Leute kommen weder mit ihren Frauen zurecht noch mit | |
ihren Kindern, doch die Welt wollen sie erretten. Und jetzt sind sie am | |
Arsch gepackt. | |
Warum sind die am Arsch gepackt? | |
Alle Menschen leben auf der Suche nach etwas, das größer ist als sie | |
selbst, aber dennoch aus ihnen kommt. Alle zehn Jahre wird etwas erfunden. | |
Das ist einmal das Internet und das nächste Mal ist das die | |
Klimakatastrophe. Zwar hat man immer im Hinterkopf, dass alles Markt ist, | |
aber man glaubt, dass das Internet nicht Markt ist und dass die | |
Klimakatastrophe in keinem Fall Markt sein kann. Die Klimakatastrophe ist | |
Markt schlechthin. | |
Eine Lebenshoffnung ist es, dazuzulernen und etwas mit dem Gelernten und | |
Erfahrenen anfangen zu können. | |
Ich bitte dich. Noch nie hat jemand was dazugelernt. Selbst Jesus Christus | |
nicht. Es gibt keine Entwicklung. Es ist immer der selbe Tag, den man | |
erlebt. Eine Person ist keine Pflanze, die sich entfaltet im Alter und | |
irgendwie mehr Realität greifen kann oder Selbstverständnis. Die | |
Katastrophe wird immer dicker. Wer das nicht kapiert, hat nichts kapiert. | |
Das klingt sehr negativ. | |
Ich bin der Meinung: Jeder sollte reiche Eltern haben und jedes Mädchen | |
einen großen Busen. Ist aber nicht so. | |
Sehen wir das Alter positiv: Die Kinder sind aus dem Haus, die Eltern | |
gestorben, die Karriere ist abgehakt. Jetzt hat man den Kopf frei und die | |
Zeit, gute Sachen zu machen. Was macht man? | |
Man kann da nichts mehr machen. Dem Alkohol verfallen, Porno sehen, Drogen | |
nehmen. Fußballfan sein. Hooligan. Und eben Sex-Hooligan. Mehr gibts nicht. | |
Auch Goethe hat im Alter nichts dazugelernt. | |
Was ist mit einem Ehrenamt? | |
Nö, nö. Jeder soll sein Ding machen. Aber nur ein Schlag aufs Maul hilft im | |
Leben. Das erzähle ich in meinen Filmen immer wieder. Das ist mir in meinem | |
ganzen Leben so gegangen. Ich habe nicht das Geringste gelernt aus Büchern. | |
Es muss ein paar aufs Maul geben. Wenns nicht blutet, bleibts Papier. | |
Man erlangt keine geistige Reife? | |
Man wird wie Geschirr, das zusammenpasst. Das ist Reife. Und das ist das | |
Allerletzte. Deswegen muss man das Geschirr an die Wand werfen bei | |
Gelegenheit. Deshalb sind Frauen uns ein bisschen voraus. In Wirklichkeit | |
leben all diese Frauen, die so tun, als würden sie in einer gebändigten | |
Welt leben, von einer Katastrophe in die nächste und schämen sich auch noch | |
dafür. Das ist das modernste Gefühl, das es gibt überhaupt. | |
Warum schämen sie sich eigentlich dauernd? | |
Weil sie immer wieder lesen, dass andere Frauen das so gut hinbekommen. | |
Aber das ist alles gelogen. Alles, was über Schauspieler irgendwo steht, | |
ist auch gelogen. Es ist ein Knochenjob, ein bösartiger Job. Es ist | |
grausam, sein ganzes Leben auf Regisseure hören zu müssen. Es gibt nichts | |
Peinlicheres, als Filme zu drehen. Der ganze Aufwand ist vollkommen unnütz. | |
Sie selbst drehen seit Jahren jenseits konventioneller Strukturen mit | |
minimalem Team und niemals mit Profi-Schauspielern. Warum? | |
Deutsche Schauspieler sind das sichtbare Ergebnis der in allen Künsten | |
aktuellen Erziehung zur Harmlosigkeit. Style kommt eben nicht mit der Post. | |
Nimm dagen "Finale". Der Film scheint gar nichts zu erzählen, aber | |
plötzlich erzählt Saralisa eine Geschichte, obwohl sie gar nicht redet. | |
Alles live - das ist nicht gespielt. Sie ist so. Darum geht es: Absichtslos | |
sein, damit das Publikum seine Gefühle in die Gesichter reintun kann. Film | |
ist - dass man etwas spürt, lange bevor mans sieht oder erklärt bekommt. | |
Schau dir Russell Crowe in "American Gangster" an. Etwas spielen ist | |
fünfzig Jahre zu spät. | |
Den deutschen Film schätzen Sie nicht. | |
Der deutsche Film existiert gar nicht. Er wird gemacht von der Generation | |
"Schöner losen". Er muss raus aus diesem Gefängnis. Für Amerikaner ist | |
staatliche Filmförderung ein Relikt aus faschistischen Zeiten. Jack Valenti | |
hat gelegentlich dagegen protestiert. Aber davon hört man schon lange | |
nichts mehr. Die haben längst kapiert, dass staatliche Filmförderung das | |
Ding ist, mit dem sich die Europäer freiwillig verzwergen und so nie eine | |
Konkurrenz für Hollywood werden können. | |
Sie sind seit langem gegen Filmförderung. | |
Jeder einzige, noch so altbackene Hollywoodfilm ist subversiver als 90 | |
Prozent aller deutschen Filme eines Jahrgangs zusammen. Weil deutsche Filme | |
an Gefühle appellieren, die weder das Publikum noch die Macher selbst haben | |
- die aber bei den geldverteilenden Förderanstalten vermutet werden. Die | |
gefühlten Zwänge der Anstalten sind zuallererst Verkrampfungen in den | |
Köpfen der Antragsteller. Hast du "American Gangster" gesehen? | |
Nein. | |
Deswegen ist Film so eine geile Sache. Tatsächlich ist es so, dass ich nur | |
ins Kino gehe, um zwei Stunden in "American Gangster" langsam so | |
reinzufließen und dann noch eine halbe Stunde so denke und rede wie die. | |
Das ist das, warum Kino nie untergehen wird. Dass man mal eine Sekunde | |
nicht über die Lohnsteuer nachdenkt. Der Film breitet die Arme um seinen | |
Zuseher aus. Das ist Verzauberung, auf die kommt es an. | |
Romantik? | |
Das ist nicht Romantik. Das ist Voodoo, Cowboy. | |
Ich hätte nicht gedacht, dass man das Wort "Cowboy" aussprechen kann, ohne | |
dass es prätentiös und unecht klingt. | |
Doch, das kann man. Die entscheidende Sache im Leben ist, dass man sich | |
daraus, was einem am schwersten fällt, die größte Leichtigkeit holt. Das | |
ist Voodoo. Wenn einem der Umgang mit Mädchen wirklich schwerfällt, dann | |
muss man sich seine Leichtigkeit daher holen. | |
Bleibt das nicht gespielt? | |
Nein! Nur das, wovor man Angst hat, kann einen befreien. Man verdient sein | |
Unglück, wenn man etwas will und alles dafür tut, dass man es nicht kriegt. | |
Man wird nicht reif im Leben, und da ist es vollkommen egal, ob man die taz | |
oder die Bild-Zeitung liest. | |
Grade las ich, dass mittelalte Menschen zu Rock-Bands wie Led Zeppelin | |
gehen, die sie damals nicht gehört haben, weil sie zu jung waren, um die | |
Wehmut nach Zeiten zu spüren, die man selbst nicht erlebt hat. Das gilt | |
wohl auch für die Beschäftigung mit 1968. | |
Das war der einzig gute Satz von dem ganzen Interview. Sag den nochmal. | |
Kann ich nicht. | |
Aber du liegst richtig. Es gab das nicht zu erleben. Das war virtuell. Das | |
ist das, was ich das Gruner+Jahr-Retrogefängnis nenne. 1968 gibts gar | |
nicht. Das ist eine Erfindung des Stern. | |
Und im Moment... | |
...drehen sie selbst noch mal eine Runde. Es ist bombig geschrieben, es hat | |
aber nichts zu tun mit irgendeiner Realität, außer der Stern-Realität. | |
Deren Kern war: Sexuelle Befreiung und Nacktfotos. Uschi Obermaier. | |
Das hat nie jemand ernst genommen, Obermaier und dieser Witzbold da, der | |
immer für ein Mädchen gehalten wurde. Aber dummerweise hatten die anderen | |
auch nichts anderes im Kopf. Wir hatten alle nichts anderes im Kopf außer | |
Autos und Mädchen. | |
Was ist mit Vietnamkrieg-Protest, Räterepublik, Feminismus und der | |
Verdrängung? | |
Vieles war einfach ein Fake, ein Ersatzkrieg, weil wir mit unseren Vätern | |
nicht klargekommen sind und uns an der Nazivergangenheit schuldig fühlten. | |
Das mussten wir wieder loswerden. Das haben wir mit Filmen geschafft und | |
die anderen mit Bomben. Deshalb haben sich die Baaders Vietnam ausgesucht. | |
Die wussten noch nicht mal, wo das liegt. Die haben kein Wort von dem | |
verstanden, was Adorno erzählte. Null. Die haben in einer ganz anderen | |
Alkoholwelt gelebt. Die haben dort den Krieg geführt, den sie sich nicht | |
getraut haben, gegen ihre Eltern zu führen, so wie wir uns damals auch | |
nicht getraut haben. Wir haben den amerikanischen Film vorgeschoben. | |
Andreas Baader und die ganze Mannschaft, die wollten eigentlich auch zum | |
Film. Aber Baader hatte so einen unmöglichen Akzent. | |
Am 2. April 1968 zündeten die späteren RAF-Anführer Baader und Ensslin | |
sowie Proll und Söhnlein in Frankfurt ein Warenhaus an, um gegen den | |
Vietnamkrieg der USA zu protestieren. Sie drehten 1969 den Film dazu: | |
"Brandstifter". | |
Der Film entspricht genau dem, was ich damals gefühlt habe: Das ist alles | |
nur Quatsch, was die reden. So ist dieser Film auch. Quatschköppe, die die | |
Welt retten wollten, aber mit ihrer eigenen Freundin nicht zurechtkamen, | |
weil sie noch nicht mal eine hatten. Ich war ja auch mit diesen Leuten den | |
ganzen Tag zusammen. Ich konnte gar nichts anderes drehen als das. | |
Man konnte die nicht ernst nehmen aus der Nahdistanz? | |
Wenn man nah dran war, konnte man ja auch uns nicht ernst nehmen, wir | |
hatten die Vorstellung, dass wir es schaffen würden, mit einem Kurzfilm | |
nach Hollywood zu kommen. Mein erster Film heißt "48 Stunden bis Acapulco". | |
Ich wusste nicht mal, wo Acapulco liegt. | |
Acapulco war einfach ein Sehnsuchtsort? | |
Klar. Wir waren größenwahnsinnige Spinner, und die auch. In Wirklichkeit | |
hat Baader nur Autos gewollt. Und Mädchen. Selbstverständlich wurden nach | |
den Kaufhausbrandstiftungen aus diesen spießigen Kleinbürgersöhnen richtige | |
Banditen. Die Spielerei war zu Ende. Danach begann was Neues. Ich habe die | |
danach auch nie wieder gesehen außer Horst Söhnlein und Baader | |
gelegentlich, wenn er Geld von mir wollte. | |
...der wollte ein Copyright für "Brandstifter" einfordern? | |
Ja, aber der wollte auch das Geld. Das hatte ich natürlich längst | |
ausgegeben. Das einzig Gute an der damaligen Zeit war, dass es einen | |
freieren Umgang mit Drogen gab. Dass alle Leute auf LSD waren, den ganzen | |
Tag. Und dass sie immer noch am Leben sind. Und da sind genauso viele | |
umgekommen, wie immer umkommen bei Drogen. Damals gab es aber ein anderes | |
Verhältnis dazu. Ich will auch gar nicht, dass das wieder da ist. Das ist | |
das Einzige, was übrig bleibt. Das Schlimmste an unserer Generation sind | |
die 68er. Das Allerschlimmste, was je angerichtet wurde. | |
Was ist mit der sexuellen Befreiung der Gesellschaft? | |
Ich war damals in der Haifischkommune. Da hat nie jemand jemand gebumst. | |
Das war überhaupt gar nicht drin. | |
Und in der Kommune 1? | |
Da hättest du mal sein sollen. Da hättest du in zehn Jahren keinen | |
hochgekriegt. Schon optisch war das die Hölle. Sex kann nur absichtslos | |
passieren. Sonst isses kein Sex, sonst isses Romantik. | |
Welche Mädchen waren denn angesagt, wenn nicht Obermaier? | |
Die Mädchen, um die es ging, waren Sylvie Winter und Claudia Littmann, die | |
Tochter des Polizeipräsidenten in Frankfurt. Die Littmann war sehr | |
prominent und die Winter... | |
...Ihre zeitweilige Muse und Hauptdarstellerin... | |
...war das schönste Mädchen der Zeit, als erste nackt auf dem Stern-Cover. | |
Und die Jungs waren verspannt und brachten es nicht? | |
Die Mädchen waren immer sehr begeistert von ihrem Sexleben mit Cohn-Bendit. | |
Das war ziemlich der Einzige. Von Dutschke hab ich so was nie gehört. | |
Ist das das historische Verdienst von Daniel Cohn-Bendit? | |
Es hebt ihn zumindest weit heraus aus der Szene von damals. Die meisten | |
Jungs hatten nichts anderes als die Revolution. Die ganze RAF ging damit | |
los, dass Fassbinder, der kleine süße Schwule, der überhaupt nicht schwul | |
war, als er Geld verdient hat, das Geld in Stingray Corvettes reingesteckt | |
hat. Diese Stingrays hat er dann gegen die Mauer gefahren. Das war top | |
schwul damals. Bevor Arschficken kam. | |
Heute hassen die Kinder ihre Eltern nicht mehr, ist das Fortschritt? | |
Die Kinder nehmen ihre Eltern nicht mehr ernst. Man muss irgendwen haben, | |
gegen den man ist. Wir hatten das zum Glück noch. Wir hatten unsere Eltern, | |
die glücklich waren in der Adenauer-Ära. Unglaublich spießiges Gefängnis, | |
in dem die da gelebt haben. Da irgendwie rauskommen, um in das nächste | |
reinzukommen, in das noch dickere Gefängnis, das ist die Lebensleistung der | |
68er. So Interviews wie ich sollte man nicht geben. | |
Warum nicht? | |
Ein gutes Interview muss sein wie Kino: Etwas im Leser muss die Arme | |
ausbreiten. Man darf seine Liebe nicht wie Ohrfeigen verteilen. | |
INTERVIEW: PETER UNFRIED | |
21 Dec 2007 | |
## TAGS | |
Rocker | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kultfilm-Screening zum Jubiläum: „Rocker“, Digger! | |
Vor 50 Jahren drehte Klaus Lemke seinen legendären Film „Rocker“. Der rockt | |
immer noch und läuft einen Tag lang in 16 Hamburger Kinos. |