# taz.de -- Buchtipps: Der Gesang des Goldregenpfeifers | |
> Poesie entsteht aus der Differenz. Zwei Romane aus Island von Steinunn | |
> Sigurdardóttir und Gudbergur Bergsson | |
Bild: Skulpturen in der Reykjavik Bay | |
Ohne Berührung lieben sich die Fische. Das könnte man kalt nennen. Aber | |
Steinunn Sigurdardóttir beschreibt in ihrem neuen Roman "Die Liebe der | |
Fische", dass Hitze und die Leidenschaften manchmal da wüten, wo es | |
besonders kalt ist. Die Erzählerin Samanta ist ein selbstbewusster und | |
selbstbestimmter Single, von Beruf Lektorin. Der Anblick von Hans | |
Örlygsson, der da den Laugavegur, die kleine Hauptstraße Reykjavíks, | |
entlangschlendert, weckt in ihr Erinnerungen an südliche Gefilde, an die | |
Iberische Halbinsel, wo sie in einem Schloss wohnte, in dessen Garten | |
Pfauen herumstolzierten. Dort lernte sie Hans damals kennen, mehr als eine | |
Affäre wurde aber nicht draus. Beide treffen sich aber die kommenden Jahre | |
immer mal wieder, meist kurz. meist zufällig, so wie es im kleinen | |
Reykjavík eben vorkommt. Hans geht Samanta nicht aus dem Kopf. | |
Doch trotz wohlwollendem Anraten ihrer Eltern heiratet sie schließlich | |
nicht ihn, sondern Erlingur, der aber im tiefsten Herzen immer noch an | |
seiner alkoholkranken Exfrau hängt. Seine beiden Kinder aus erster Ehe | |
bringt Erlingur in die neue Beziehung mit, sodass Samanta unversehens zur | |
Mutter wird. Beim Anblick ihrer Eltern, die eine so genannte glückliche Ehe | |
führen, sinniert sie nun darüber, ob es ein und dasselbe ist, ein amüsantes | |
Leben zu inszenieren oder eines zu haben. Samanta traut diesem Glück | |
offensichtlich nicht. | |
Steinunn Sigurdardóttir beschreibt sanft und einfühlsam die Seelen zweier | |
Liebender, die nicht zueinander finden. Ob das wirklich eine Tragödie ist, | |
lässt sie offen. Schön sind auf jeden Fall das blaue Himmelszelt über | |
Island, der rote Storchenschnabel und der Gesang des Goldregenpfeifers - | |
alles, was immer wiederkehrt und vertraut ist. Schöne Gewissheiten, der | |
Rest scheint so ungewiss wie das Leben. | |
Für Gudbergur Bergsson hingegen sind Gewissheiten schöne Nebensachen, | |
hübsche Hüllen. Seinen autobiografischen Roman durchziehen die Erinnerungen | |
an seine Kindheit, an Mutter, Vater und Großmutter. Er fragt: Wieso kommen | |
die hübschen, bunten Vögel hierher, in diese karge Region? Und findet | |
keinen Grund. Es scheint ihre Natur. Alles, was schön ist, ist grundlos. | |
Die Poesie entsteht aus der Differenz, dem Gesagten und dem | |
Unausgesprochenen. | |
Merkwürdige Homonyme tauchen auf, etwa das isländische listamadur: | |
Leistenmann oder Künstler? Das passt gut zum Vater, der sich von einem | |
Seemann in einen Zimmermann verwandelt. Er baut ein Haus im Fischerdorf | |
Grindavík und schenkt den Söhnen Holzleisten, mit denen sie abgetriebene | |
Schiffchen wieder in rettende Buchten dirigieren können. Der Ton macht die | |
Musik. | |
Gudbergur Bergssons Töne klingen klar, transparent, und ihre zauberhafte | |
Schönheit surrt im Kopf. Das schmeckt dann so wie Frostrosen, die, mit | |
Löffeln von den Scheiben gekratzt, eine leckere Eisblumensuppe ergeben. | |
Oder wie eine braune Soße, hergestellt aus einem Ochsen, der mit modernster | |
Technik in einen Suppenwürfel namens "Kraft" gepresst wird. Während der | |
Werkzeugkasten des Vaters tabu ist, findet sich in der Knopfdose der Mutter | |
ein ganzer Kosmos von unterschiedlichsten Knöpfen, die auf der Kleidung | |
dann doch erstaunlich gut miteinander auskommen. Ein Spiel mit Uniformität | |
und Individualität. Und da ist auch ein alter Zahn der verstorbenen Mutter, | |
Teil ihrer Leiche. Hin und wieder fällt der Blick auf die Insel Eldey, | |
dorthin, wo der letzte Riesenalk, der flugunfähige Pinguinus impenis, 1844 | |
erschlagen wurde. Nicht zuletzt seine Abwesenheit macht den Felsen magisch. | |
23 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Müller | |
## TAGS | |
Reiseland Island | |
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