# taz.de -- Mit Bremse und Anker: Flauschige Rennmaschinen | |
> Unser Guide hatte uns eingebläut, niemals den Schlitten loszulassen. Kaum | |
> waren Stefans Füße von den Stelen, gaben die Hunde mächtig Fersengeld. | |
> Eine Hundeschlittenfahrt in Norwegen | |
Bild: Schlittenhunde bei der Verschnaufspause | |
Von wegen, der Kutscher kennt den Weg. Die Hundemeute ist es. Und dies, | |
obwohl Tiere dieser Rasse nicht gerade als Spürnasen verschrien sind. | |
Dennoch bestimmen sie nahezu alleine das Tempo und die Route. Was | |
vermutlich an ihrem Naturell liegt. Denn Schlittenhunde sind energetisch, | |
voller Taten- und Bewegungsdrang. Ihre große Leidenschaft ist das Laufen. | |
Wenn sie nicht schlafen oder fressen, steht ihnen der Sinn nur nach Laufen, | |
Laufen und Laufen. Der Spaß für die reinrassigen Huskys und die nicht | |
minder lauffreudigen Mischlinge wird auch nicht durch die Tatsache | |
geschmälert, dass sie in ein Geschirr gepresst sind und einen Schlitten mit | |
Lenker sowie Passagier im Schlepptau haben. Im Gegenteil: Sie spurten los. | |
Ihr Revier ist der zugefrorene und von einer dichten Schneedecke überzogene | |
Vanneviken, ein riesiger See vor den Toren von Hemsedal, einem der größten | |
Wintersportgebiete in Norwegen. Schon bei der Ankunft wird deutlich, wie | |
unterschiedlich die Charaktere der Hunde sind. Einige liegen entspannt im | |
Schnee. Andere hüpfen laut bellend auf und ab und können es gar nicht | |
abwarten, bis die wilde Hatz beginnt. In wenigen Worten erklärt Johan | |
Müller, der seit dem Jahre 2002 Schlittenhundetouren anbietet, die | |
Handhabung der Schlitten. Neben einer Schleifbremse, die dafür sorgt, dass | |
das Tempo nicht zu hoch wird, verfügt das Gefährt über eine Fußbremse sowie | |
einen Anker. | |
"Let the dogs do the driving", schmunzelt Johan Müller und steigt in | |
Bärenfellmütze und dicker, gefütterter Lederhose auf den Schlitten. Mit | |
beiden Füßen steht er auf der Schneebremse. Erst dann löst er den Anker, | |
während er sich mit einer Hand galant am Bügel des Schlittens festhält. Die | |
Meute ist nun nicht mehr zu halten. Lautes Bellen, Jaulen und Heulen gehört | |
dazu. Schnell bringen auch wir unseren Schlitten in Bewegung. | |
Scheinbar mühelos nehmen die sechs Hunde auf 24 Pfoten Tempo auf. Über | |
Stock und Stein jagt das Gespann Johan Müller hinterher. Kein Blick zurück | |
- wir scheinen für sie Luft. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, | |
dass wir zusammen fast 200 Kilogramm auf die Waage bringen. | |
Und während wir lustig darüber spekulieren, wann die Schwanzwedler wohl | |
angesichts unsere Gewichts kapitulieren werden, geben Josse, Marika, Laila | |
& Co weiter mächtig Fersengeld, ohne das Tempo auch nur einmal minimal zu | |
drosseln. Stattdessen scheinen sich die flauschigen Bellos einen Spaß | |
daraus zu machen, möglichst dicht an Bäumen und Sträuchern vorbeizulaufen. | |
Vielleicht wollen sie auch nur verhindern, dass wir einfrieren. Dazu haben | |
wir angesichts der heißen Kufe eigentlich keine Gelegenheit. Die Hunde | |
fahren mit uns im wahrsten Sinne des Wortes Schlitten. Im Minutentakt | |
müssen wir vor heranfliegenden Ästen in Deckung gehen. | |
Wenig später erreichen wir ein großes Stück der Seenplatte. Plötzlich | |
verschlägt es uns inmitten der Idylle den Atem. Schnell wird klar: Unser | |
Gespann hat Flatulenz. Die Mischung aus Trockenfutter und Fleisch, mit | |
denen die Schlittenhunde gefüttert werden, setzt ganz besondere Düfte frei | |
und treibt uns fast die Tränen in die Augen. Als Rückstoßbeschleuniger à la | |
Raketenantrieb scheint das Biogas nicht geeignet. Denn der Abstand zu dem | |
vorausfahrenden Gespann wird nun sekündlich größer. | |
Wir fragen uns, an welchem Ende des Schlittens das Problem liegt. Sollten | |
die Hunde doch nicht so ausdauernd sein, wie man gemeinhin glaubt? Sind wir | |
doch zu schwer? Müssen wir Ballast abwerfen? Oder müssen wir gar eine Pause | |
einlegen? Wir versuchen es mit Anfeuerungsrufen: "Hopp, hopp!" Keine | |
Reaktion. Vielleicht verstehen die Hunde auch nur Norwegisch. Diesbezüglich | |
sind wir jedoch schnell mit unserem Latein am Ende. "Skål, skål!" Auch dies | |
hilft nicht wirklich. Mein Passagier Stefan greift in die weiße Pracht | |
neben dem Schlitten, formt ein paar Schneebälle und versucht die Hunde mit | |
dezenten Würfen auf das Hinterteil anzutreiben - vergebens. | |
Also entscheiden wir uns, eine kurze Pause einzulegen. Einige der Hunde | |
werfen sich sofort in den Schnee und wälzen sich hin und her, um sich | |
abzukühlen. Die übrigen hüpfen wie Flummis auf und ab, können es gar nicht | |
abwarten, bis es weitergeht. Auch Johan Müller hat sich scheinbar seine | |
Gedanken über unser Tempo - vielleicht auch über unser Gewicht - gemacht. | |
Mag sein, dass er uns für eine Art unangemeldete Massendemonstration hält. | |
Auf jeden Fall aber tauscht er zwei Hunde mit denen seines Gespanns aus. | |
"Statt des VW-Motors habt ihr jetzt einen Ferrari vor dem Schlitten. Alles | |
Frauen mit Power", flachste der ansonsten eher wortkarge Guide. | |
Bevor wir die Fahrt fortsetzen, nutzen wir die Unterbrechung für einen | |
Fahrerwechsel. Ich mache es mir halb sitzend, halb liegend auf dem | |
Schlitten bequem, während nun Stefan sein Glück als Schlittenlenker | |
probiert. Auch mit den frischen Huskys hinken wir deutlich hinter Johan | |
Müller her. Als wir am Ufer des Sees eine steile Böschung hochfahren, zeigt | |
Stefan Herz. Er springt vom Schlitten, damit die Hunde nicht so schwer | |
asten müssen. | |
Ein fataler Fehler, wie sich schnell rausstellt. Stefan hatte in einem | |
Anfall geistiger Umnachtung die goldene Regel außer Acht gelassen. | |
Schließlich hatte uns Johan Müller mehrfach vor der Fahrt eingebläut, | |
niemals, wirklich niemals und unter keinen Umständen, den Schlitten | |
loszulassen. Nun ja, Stefan hatte es doch gut gemeint. Kaum waren seine | |
Füße von den Stelen, gaben die Hunde mächtig Fersengeld. Ein Turboantrieb, | |
der selbst Sprintstar Carl Lewis zum Statisten degradiert hätte. Ganz schön | |
rüde, wie die sechs lieblichen Hundedamen sich hier als Lehrmeisterinnen | |
aufspielten. | |
So lustig das Bild mit dem durch den Tiefschnee watenden, völlig | |
verzweifelten Stefan anmutete, so schnell wird mir meine missliche Lage | |
bewusst. Ohne Fuß an der Bremse oder Zugriff auf den Anker habe ich keine | |
Möglichkeit, die vierbeinigen Rennmaschinen zum Halt zu bringen. In einem | |
irrsinnigen Tempo schießt das Hundegespann über die zugefrorene, eisige | |
Ebene. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon samt Schlitten um | |
einen Baum gewickelt, als Johan Müller, der das Geschehen aus der Ferne | |
beobachtet hat, mit einem Hechtsprung die Hunde zu fassen bekommt. | |
Nach diesem kleinen Abenteuer ändert sich unsere Sichtweise. Plötzlich | |
gefällt es uns, dass unser Sechsergespann mit mäßiger Geschwindigkeit | |
weiterläuft. "So können wir die herrliche Landschaft besser genießen", | |
trösteten wir uns, während sich die einstündige Tour mit riesigen Schritten | |
dem Ende näherte. | |
25 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Thilo Raab | |
## TAGS | |
Reiseland Norwegen | |
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