# taz.de -- Paradies des Nordens: Sehnsucht nach Licht | |
> Tromsø, die Hauptstadt der Nordkalotten, ist das Tor zur Arktis. Statt | |
> von Robben- und Eisbärenjagd lebt Norwegens nördlichste Universitätsstadt | |
> heute von Tourismus und Fischereiindustrie | |
Bild: Tromsø - Paradies des Nordens | |
Gegen Herzschmerz oder Weltüberdruss kann man auf verschiedene Arten | |
vorgehen: Schokolade essen bis zur Übelkeit. Frank Sinatras Balladen hören, | |
bis man nach hinten überkippt. Norweger, die Winterdepressionen häufig auch | |
mit Alkohol betäuben, hatten in früheren Zeiten eine weitere Möglichkeit: | |
nach Spitzbergen gehen und auf der arktischen Insel Eisbären und | |
Polarfüchse jagen. Das brachte auf andere Gedanken und bedeutete außerdem | |
beträchtliche Verdienstmöglichkeiten. | |
Ausgangspunkt für solcherlei Ausflüge ebenso wie für die Arktisexpeditionen | |
Roald Amundsens und Fridtjof Nansens war das 500 Kilometer nördlich des | |
Polarkreises gelegene Städtchen Tromsø. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah | |
man hier noch gelegentlich Trapper mit Eisbärenjungen an der Leine durch | |
die Straßen gehen. Es waren Tiere, deren Mütter sie oben auf Spitzbergen, | |
Haupteiland der Inselgruppe Svalbard, erlegt hatten - auf dem norwegischen | |
Festland gab und gibt es keine. Sie brachten die Bären mit zurück und | |
zähmten sie. Mensch und Tier gewöhnten sich aneinander, doch im Herbst | |
schlug die Stunde der Trennung: Die Eisbären waren übermannshoch gewachsen; | |
sie wurden verkauft, in Holzkäfigen verschifft und endeten im Zoo. | |
Die 1893 geborene Wanny Woldstad war die erste Frau, die selbst Eisbären | |
jagte. Sie war fünf Jahre alt, als erstmals Frauen auf Spitzbergen | |
überwinterten - allerdings nicht um zu jagen, sondern um für ihre Männer zu | |
kochen und auf der unwirtlichen Insel Errungenschaften wie Teppiche, | |
Tischdecken und Topfpflanzen bekannt zu machen. Ein Spaziergang war auch | |
das nicht, galt es doch, die Polarnacht in der Arktis zu überstehen. | |
Wanny Woldstat war eine Frau mit zahlreichen Talenten: In den 20er-Jahren | |
hatte sie als erste Taxichauffeurin Tromsøs von sich reden gemacht, sie | |
schrieb Gedichte und veröffentlichte eine Autobiografie mit dem Titel "Die | |
erste Frau als Pelzjägerin auf Spitzbergen". Später im Leben, in den Jahren | |
nach dem Zweiten Weltkrieg, hielt sie Vorträge über diese Erfahrungen. | |
Seit 1973 ist jede Form der Jagd auf Eisbären, auch die mit der Kamera, | |
verboten. Auch Walfischfang, früher ein weiterer florierender | |
Wirtschaftszweig, ist längst verpönt. Für den Robbenfang werden heute | |
Quoten festgesetzt. Wurden in den 1960er-Jahren noch bis zu 300.000 Tiere | |
jährlich getötet, durften im vergangenen Jahr noch 25.000 Robben gejagt | |
werden. | |
Insel in der Strömung | |
Heute rühmt sich Tromsø so unterschiedlicher Attraktionen wie der | |
nördlichsten Universität und der vermutlich nördlichsten Brauerei der Welt, | |
eines Skigebiets mit Flutlicht und eines Bischofssitzes aus Holz. Obwohl | |
ihr poetischer Name "Insel in der Strömung" bedeutet, wird sie von | |
Einwohnern als "Paris des Nordens" gepriesen - der Geschäfte in der | |
Storgata, der immerhin 6.500 Studenten und der vielen Kneipen und | |
Restaurants wegen, wo Mackøl, das hiesige Bier, mit Möweneiern serviert | |
wird. | |
Das "Tor zur Arktis" ist aber der passendere Beiname für die Stadt, die | |
Vergleiche mit irgendwelchen Metropolen ohnehin nicht nötig hat: Mit den | |
bunt gewürfelten Holzhäusern auf der Stadtinsel Tromsøya und auf dem | |
Festland jenseits des Tromsøysundes, den eine über einen Kilometer lange | |
Brücke überspannt, hat sie ihren ganz eigenen Reiz. | |
Im Stadtbild finden sich hier noch viele alte Holzhäuser, wie sie überall | |
sonst in Nordnorwegen im Zweiten Weltkrieg der Zerstörungswut deutscher | |
Truppen zum Opfer fielen. Zu den weiteren städtebaulichen Besonderheiten | |
gehören die "Schnapsstraße" - die allerdings nur im Volksmund so genannt | |
wird, da der Bau dieser längsten Verkehrsader Tromsøs aus den erklecklichen | |
Steuern, mit denen in Norwegen alkoholische Getränke belegt sind, | |
finanziert wurde - und die Eismeerkathedrale, die eigentlich | |
Tromsdalen-Kirche heißt. | |
Das 1965 geweihte Gotteshaus erinnert in seiner Architektur an die | |
Trockenfischgestelle, die überall an der norwegischen Küste vom Wind | |
geschüttelt werden, gegenwärtigt sogar im Interieur das Leben jenseits des | |
Polarkreises und ist außerdem Sinnbild dafür, wie die Lust am Licht das | |
Leben in Nordnorwegen bestimmt. Die Lampen im Inneren sehen aus wie | |
Eiszapfen, die drei Betonplatten hinter dem Altar gemahnen außer an die | |
Dreifaltigkeit auch an gleißende Eisberge, die Orgel hat die Form eines | |
Schiffes. | |
Bleierner Winter | |
Im Winter soll das Licht der Kathedrale die Polarnacht erhellen, sommers | |
die Mitternachtssonne hineinscheinen. Seit 1972 fallen ihre Strahlen durch | |
das mit 140 Quadratmetern größte Glasmosaik Europas, das ihre Helligkeit | |
ein wenig abmildert. Es ersetzte eine ursprünglich klare Glasfront. Die | |
Maßnahme wurde als notwendig erachtet, da sich während der Sommermonate die | |
gesamte Gemeinde hinter schwarzen Sonnenbrillen verschanzt zu versammeln | |
pflegte. | |
Die Polarnacht, die in Tromsø vom 25. November bis zum 16. Januar dauert, | |
stimmt auch lebensfrohe Menschen mindestens nachdenklich. Zwar herrscht | |
während dieser Zeit keine ununterbrochene Finsternis; um 12 Uhr mittags | |
wird es an klaren Tagen beinahe hell. Der märchenhafte Lichterglanz, der | |
aus den Holzhäusern die Polarnacht erhellt, lässt die Dunkelheit außerdem | |
milder erscheinen. | |
Doch auf Dauer legt sich der Winter bleiern auf die Gemüter. Ein | |
zweimonatiges Film- und Theaterfestival und das veranstaltungsträchtige | |
Nordlicht-Festival kurz nach Ende der Polarnacht sollen dazu beitragen, die | |
55.000 Einwohner bei Laune zu halten. | |
Der Rest ist Schnee. Der fällt oft schon im September, im Sommer 1997 fiel | |
der erste schneefreie Tag auf den neunten Juni. In Tromsø herrschen neun | |
Monate Winter und drei Monate schlechte Skiverhältnisse, scherzen | |
Einheimische mit leichtem Missmut. | |
So wird jedes Jahr ein Fass aufgemacht, wenn die Sonne zum ersten Mal | |
wieder über den Horizont steigt. Kinder malen sich Sonnen ins Gesicht, | |
alles drängt nach draußen, man isst "Sonnenbollen", ein mit Marmelade | |
gefülltes Gebäck. Ein paar Monate später, zwischen dem 17. Mai und dem 25. | |
Juli, werden die Menschen für die Dunkelheit der Polarnacht entschädigt, | |
wenn die Sonne rund um die Uhr nicht untergeht. Wird im Winter gefeiert, | |
damit der Lebensmut nicht in der Dunkelheit versinkt, so wird im Sommer das | |
Licht zelebriert - die Sonnenstunden müssen bis zur letzten Minute genutzt | |
werden. | |
Tromsø ist keine durch den Tourismus am Leben gehaltene Museumsstadt; | |
längst haben Verwaltung, Schifffahrt- und Fischereiindustrie die alten | |
Erwerbszweige Eisbärenjagd, Polarexpeditionen und Suche nach dem Weltenende | |
abgelöst. Im Hafen liegen russische Schiffe, die hier repariert werden, | |
neben Fischerbooten. Und noch immer ist Tromsø das Tor nach Spitzbergen: | |
Von hier aus führt die einzige Flugverbindung dorthin. | |
25 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Stefanie Bisping | |
## TAGS | |
Reiseland Norwegen | |
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