# taz.de -- Forellen und Lachse: Die Küste im Nordfjord | |
> Der norwegische Hornindalsee ist der tiefste Binnensee Europas, umgeben | |
> von Gebirge. Hier verlief der alte Postweg von Trondheim bis Bergen. Eine | |
> Bootsfahrt über dunkle Wasser | |
Bild: Tiefster Binnensee Europas: Hornindalsee | |
Am Ufer warten ein kleines weißes Boot und zwei Männer. "Hei", sagen Odd | |
Lødøen und Björn Brandvoll und reichen die Hand, damit alle sicher an Bord | |
kommen. Die Kulisse gleicht einem Bilderbuch: Wolken hängen tief über den | |
Berghängen, Tannenwälder schimmern dunkelgrün, und in der Ferne pritscheln | |
Wasserfälle. Der Hornindalsee liegt in Westnorwegen, im Bezirk Sogn og | |
Fjordane, und gilt als Europas tiefster See. Björn Brandvoll, 65, startet | |
den Motor; Odd Lødøen, 79, setzt sich zu uns an Deck der "MB Dølen", legt | |
den Arm auf das Geländer und schaut in die Landschaft. Schon einmal gab es | |
ein Schiff, das hieß wie dieses: "MB Dølen". | |
Das ist sechzig Jahre her. Odd Lødøen war der letzte Kapitän der alten "MB | |
Dølen". Man kann sich das heute gar nicht vorstellen, wie wichtig damals | |
das Linientransportschiff für Mensch und Tier gewesen sein muss, auf diesem | |
stahlblauen Gewässer von der Größe des Starnberger Sees. Das umliegende | |
Gebirge war völlig isoliert; Kühe wurden mit der alten "MB Dølen" zu ihren | |
Weiden gebracht und mit einem handbetriebenen Kran ans Ufer gehievt. Sie | |
wurden ins steile Gelände geführt und blieben dann drei Monate dort, von | |
Mittsommer bis Ende September. | |
Zwar gab es auch Straßen, die aber vor allem auf der Nordseite im Winter | |
oft gesperrt wurden. "Hier verlief der alte Postweg von Trondheim bis | |
Bergen", Lødøen zeigt auf eine schmale Trasse am Ufer, halb zugewachsen von | |
Büschen und Bäumen. Teile des Weges sind für Wanderungen freigegeben, | |
andere längst nicht mehr zu sehen. | |
Seit 1936 gilt der Hornindalsee als tiefster Binnensee Europas. Mit Schnur | |
und Senkblei hatten Geologen des norwegischen Staates alle Seen vermessen | |
und festgestellt, der Hornindalsee sei 514 Meter tief. Vor zehn Jahren | |
ergab eine Echolotmessung gar eine Tiefe von 604 Metern; dieses Ergebnis | |
wurde jedoch nicht anerkannt. Ein Mitreisender fuchtelt mit seinem | |
GPS-Gerät herum, und als Lødøen sagt: "Jetzt, genau jetzt sind wir über dem | |
tiefsten Punkt!", zeigt das GPS: Nord 61 Grad, 56 Minuten, 764 Sekunden; | |
Ost 6 Grad, 23 Minuten, 582 Sekunden. | |
Sehen kann man nichts, keinen Fisch, keine Pflanze, nur dunkle Wellen. Wer | |
weiß, was in der Tiefe schlummert; man munkelt über ein Seeungeheuer namens | |
Horni. Jens Christian Skrede sagt: "Man sieht es gerne am späten | |
Samstagabend." Wieso heißt das Schiff "Dølen"? "Døl meint Talbewohner, egal | |
ob Mensch oder Tier", sagt Odd Lødøen. 1947 stiegen die Holzpreise, die | |
Straßen wurden besser, und immer mehr Menschen kauften sich ein Auto. | |
Lødøen war 24 Jahre alt und seit neun Jahren Kapitän, als die "MB Dølen" an | |
einen Mann verkauft wurde, der am Westufer lebte, und kurz danach starb. | |
Das Boot vergammelte und sank; weil es zu nah am Ufer lag, wurde es | |
geborgen und an einer tieferen Stelle des Sees versenkt. Odd ging mit dem | |
Militär für einige Zeit nach Deutschland. Obwohl das offene Meer fast 60 | |
Kilometer entfernt ist, bezeichnen sich die Einheimischen der Region | |
Nordfjord als Küstenbewohner, wie jeder Norweger, der an einem Fjord wohnt. | |
Und das sind 3,5 Millionen, 75 Prozent der gesamten Bevölkerung. | |
Wenn Journalisten aus dem Ausland kommen, ist auch Randi Anne Lunde vor | |
Ort: Die junge Reporterin schreibt für die Zeitung Fjordabladet. Das Blatt | |
erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag in einer Auflage von 3.000 | |
Exemplaren. Montag, Mittwoch und Freitag berichten drei andere | |
Lokalzeitungen vom Leben am Nordfjord. "Es ist wichtig, dass die | |
Einheimischen merken, dass sich auch Ausländer für ihre Region | |
interessieren", sagt Frau Lunde und schreibt gleich zwei Artikel über | |
unseren Besuch: einen über die Bootsfahrt mit den Kapitänen Odd und Björn, | |
und einen über den Grillabend auf Skipenes Gard. | |
Der Hof gehört Sigdis Skipenes und Arild Andersen; das Paar vermietet | |
lauschige Holzhütten. Nach einem langen Wandertag kann man draußen in einem | |
Becken voll heißem Wasser sitzen mit Blick auf die Berge. Auf der Weide | |
grasen die Lamas der Familie, Ludvik und Goggen, und wenige Minuten | |
entfernt tummeln sich Lachse im Fluss Eidselva; wer Eidselva sechs | |
Kilometer aufwärts folgt, gelangt zum Hornindalsee, wo die "MB Dølen" | |
gemütlich tuckert. Alter Name, neues Boot: Die "MB Dølen" unterliegt | |
strengen Sicherheitsvorschriften, wie alle Boote, seit 1999 das Schiff | |
"Sleipnar" zwischen Haugesund und Bergen havarierte. Lødøen sagt: "Wir | |
mussten neue Schwimmwesten kaufen und dem Kapitän eine Ausbildung und ein | |
Zertifikat zahlen. Und das Schifffahrtsamt kontrolliert regelmäßig." | |
Odd Lødøen war Busfahrer, bis er 70 wurde; "dann musste ich aufhören". Jens | |
Christian Skrede, der Odd seit langem kennt, sagt: "Er war sehr traurig, | |
als er in Rente ging. Vielleicht ist das Boot ein kleiner Ersatz für seinen | |
Bus." | |
Lange schon hatten die Menschen am Hornindalsee von einem neuen Boot | |
gesprochen, aber erst als Odd und Björn 1993 eine GmbH gründeten, wurde aus | |
der Idee Wirklichkeit. Zwischen Mai und September kann die "MB Dølen" | |
gechartert werden, zu Geburtstagen, Polterabenden und Angelfahrten: | |
Saibling, Forelle und Lachs kann man aus dem See ziehen. | |
25 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Evelyn Runge | |
## TAGS | |
Reiseland Norwegen | |
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