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# taz.de -- Auswege aus der Ressourcenkrise: Von der Natur Wirtschaften lernen
> Für den täglichen Bedarf nur eines Deutschen werden alljährlich 70 Tonnen
> Material umgesetzt. Auf Dauer kann die Menschheit nur überleben, wenn sie
> die Natur kopiert.
Bild: Die Industrie pflügt die Erde um - und die Besucher staunen: Braunkohlet…
Die deutschen Wirtschaftskapitäne sind äußerst beunruhigt. Nicht nur Öl
wird immer teurer. Auch die Weltmarktpreise für Metalle sind in den
vergangenen fünf Jahren um mehrere hundert Prozent gestiegen. Das liegt
zwar vor allem am chinesischen Nachfrageboom und der geringen Erkundung von
Rohstoffvorkommen Anfang des Jahrtausends. Doch selbst wenn ab 2010 viele
neue Minen eröffnet werden können, weil in den vergangenen Jahren so viel
Geld wie nie zuvor in die Erforschung von Lagerstätten gesteckt wurde, hält
die Investmentbank Goldman Sachs die Rohstoffversorgung mittelfristig für
die Achillesferse der Wirtschaft.
Recht hat sie. Denn permanent gräbt die Menschheit neues Material aus - und
das bei exponentiell wachsendem Bedarf. Zwar besteht die Erdkruste
beispielsweise zu 0,0068 Prozent aus Kupfer, was theoretisch den
menschlichen Bedarf für 83 Millionen Verbrauchsjahre decken könnte, wie
norwegische Wissenschaftler ausgerechnet haben.
Doch diese Sichtweise ignoriert, dass bei der Gewinnung der Metalle immer
größere Mengen Natur umgewälzt werden. Die Industrie entnimmt dem Boden
hochwertige Materialien, vermischt sie mit vielen anderen Stoffen und
lagert sie dann in nicht weiter nutzbarer Form wieder ab. Der
Produktionsprozess ist also eine Einbahnstraße.
Der Chemieprofessor Friedrich Schmidt-Bleek, prägender Kopf des
Wuppertal-Instituts und Erfinder des "ökologischen Rucksacks", mit dem der
gesamte Ressourcenverbrauch eines Produkts abgeschätzt werden kann, geht
davon aus: Ein Durchschnittsdeutscher ist heute für jährlich 70 Tonnen
Materialeinsatz verantwortlich - Wasser und Luft nicht mit eingerechnet.
Nur ein sehr kleiner Teil davon wird zu Wasser- und Eierkochern,
Fensterrahmen oder Computern verarbeitet; der Großteil ist Abraum.
Demgegenüber wirtschaftet die Natur sehr erfolgreich seit mehreren
Milliarden Jahren nach einem anderen Prinzip. Dessen Grundlage ist die
absolute Begrenzung des vorhandenen Materials; außer Sonnenlicht kommt
schließlich nichts Neues auf der Erde hinzu. Die immer gleiche Materie
zirkuliert in einem nie endenden Kreislauf: Was für den einen Organismus
Abfall, ist für den nächsten Nährstoff; Müll gibt es nicht.
So ist das Kohlenstoffatom, das gerade als Bestandteil eines Brötchens in
einen gierigen Mund wandert, vielleicht vor 370 Millionen Jahren mit
Plankton auf den Meeresboden gesunken, wurde zu Erdöl und kam später in den
Tank eines Autos hinein und aus dem Auspuff wieder hinaus. Eine Graspflanze
fing es ein, die von einem Rind gefressen wurde und sich kurz danach in
Form eines Kuhfladen wieder davon trennte. Nach weiteren Stationen als
Bestandteil belebter oder toter Materie ist das Kohlenstoffatom nun auf dem
deutschen Frühstückstisch gelandet.
Dass die Natur permanent die gleiche Materie verarbeitet, bedeutet aber
keineswegs, dass Wachstum unmöglich ist. Im Gegenteil: Aus dem endlichen
Material entsteht eine unendliche Vielfalt - und zwar immer wieder neu.
Zwar sind 99 Prozent der Arten, die jemals auf der Erde präsent waren, auf
Nimmerwiedersehen verschwunden. Doch die frei werdenden Plätze wurden stets
schnell von neuen Erdbewohnern besetzt - und jedes Lebewesen veränderte
seinerseits seine Umwelt und schafft so die Grundlage für wieder Neues.
Alles ist dynamisch. Einen natürlichen Zustand, zu dem man zurückkehren
könnte, gibt es nicht und hat es nie gegeben. Ebenso wenig ist der Mensch
ein Novum, wenn es darum geht, möglichst viele und gute Lebensräume für
sich selbst zu besetzen und Konkurrenten zu verdrängen. Jede Pflanzen- und
Tierart tut das, so gut sie kann.
Allerdings hat der Mensch Techniken entwickelt, um die Wachstumsgrenze der
eigenen Population immer weiter hinauszuschieben. Nicht nur die Züchtung
nützlicher Tiere und Pflanzen, der Hausbau und die Medizin haben
entscheidend dazu beigetragen, dass er sowohl in der Wüste als auch in
arktischen Regionen leben kann. Er lernte auch, Maschinen zu produzieren,
die das Potenzial seines Körpers und Geistes vervielfachen, und entwickelte
gesellschaftliche Strukturen, die auch das Überleben von Schwachen und
Kranken ermöglichen. Nur so konnte die Weltbevölkerung innerhalb der
vergangenen 2.000 Jahren um das 22-fache wachsen.
Doch diese aus menschlicher Perspektive erfolgreiche Geschichte ist nicht
nur durch die Aufheizung des Klimas bedroht. Viele natürliche Kreisläufe
verarmen gegenwärtig. Neben dem "Verbrauch" technischer Rohstoffe ist dafür
auch eine Landwirtschaft verantwortlich, die auf den Anbau von
Einheitssorten für die ganze Welt setzt.
Dennoch bleibt der Mensch Teil der Natur und auf sie angewiesen. Wenn er
große Mengen Müll produziert, der weder für ihn selbst noch für andere
Wesen nutzbar ist und oft sogar schadet, so ist das für die Natur auf lange
Sicht irrelevant: Schließlich lagert auch der Mensch nur die auf der Erde
vorhandenen Stoffe um, und sobald er seine eigenen Lebensgrundlagen und die
vieler Zeitgenossen zerstört hat, wird Platz sein für Neues. Die Verarmung
der Arten ist nur aus gegenwärtiger Sicht ein Problem. Der
Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren, der den Dinosaurier und vielen
anderen Arten den Garaus machte, war für nachfolgende Wesen auch ein Segen
- die Menschheit eingeschlossen.
Interesse daran, dass es nicht zu einer solchen Entwicklung kommt, muss vor
allem der Mensch selbst haben. Nur wenn es ihm gelingt, die eigene
Wirtschaftsweise in die natürlichen Kreisläufe einzupassen, hat er die
Chance, noch eine Weile auf der Erde mitzumischen. Nachhaltig zu
wirtschaften ist also keineswegs ein Gnadenakt gegenüber der Umwelt,
sondern liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse.
Das bedeutet keineswegs, dass die Menschheit künftig auf
Wirtschaftswachstum verzichten muss. Doch statt tumb auf immer mehr
"Rohstoffverbrauch" und eine weltweite Vereinheitlichung der Produktion zu
setzen, sollte sie sich den eigenen Kopf zum Vorbild nehmen - denn der ist
ein gutes Beispiel für eine natürliche Wachstumsstrategie.
"Die Masse des Gehirns ist durch die Schädeldecke begrenzt. () Dennoch
entwickelt sich das Gehirn weiter, die Schaltungskomplexität steigert sich.
() Das bedeutet, die Qualität hat sich entscheidend verbessert, die
Quantität der Hirnmasse ist gleichgeblieben", schreibt Werner Nachtigall,
Leiter des Bionik-Kompetenz-Netzes an der Uni Saarland. Dass das Gehirn
ständig Sauerstoff und Nahrung braucht, ist kein Problem: Dank der
pflanzlichen Erdbewohner ist Sauerstoff in ausreichendem Maße - und immer
wieder neu - verfügbar.
Und auch Nährstoffe können bei entsprechenden Anbaumethoden und Rückführung
der Ausscheidungen ohne Verlust in den Naturkreislauf integriert werden.
"Die Rezyklierungs-Verbundtechnologie der belebten Natur ist die einzige
auf Dauer funktionierende, sich selbst erhaltende, die Umwelt nicht
zerstörende Technologie. Sie ist gleichzeitig die einzige Technologie, die
dem Menschen auf Dauer eine Chance gibt, zu überleben", schlussfolgert
Nachtigall.
Will der Mensch dieses Prinzip übernehmen, muss er die Produkte von
vornherein so konstruieren, dass biologisch abbaubare Inhaltsstoffe zurück
in die Umwelt gelangen können, ohne dort Schaden anzurichten; möglichst
sollten sie sogar für andere Organismen nützlich sein. Parallel und völlig
getrennt davon muss es geschlossene Kreisläufe geben, in denen technische
Materialien "fortwährend als wertvolle Nährstoffe für die Industrie
kreisen", schlägt der Chemieprofessor Michael Braungart vor.
Allerdings ist es technisch unmöglich, sämtliche metallischen Rohstoffe in
gleichbleibender Qualität zurückzugewinnen. Ähnlich wie beim Papier
schwindet zum Beispiel auch beim Aluminium mit der Zahl der Umläufe die
eingesetzte Menge. Folglich müsste bei gleichbleibendem Bedarf immer auch
frisches Material hinzugefügt werden.
Deshalb plädiert Schmidt-Bleek für eine Effizienz-Strategie, die den Nutzen
beim Materialeinsatz um den Faktor 10 steigert und so die Schäden beim
Abbau und der Ablagerung extrem verringert. Doch was ist gewonnen, wenn für
das einzelne Handy zehnmal weniger Material gebraucht wird, es aber zehnmal
so viele Handys gibt?
Auch sagt das Gesamtgewicht von 14 Tonnen, die Schmidt-Bleek für die
Herstellung eines Computers veranschlagt, wenig aus über die damit
verbundene Belastung oder Zerstörung. Vielmehr kommt es darauf an, ob nach
dem Rohstoffabbau neues Leben auf lange Zeit keine Chance mehr hat oder
rasch neue Biotope entstehen können. Die Professorin für Umweltplanung
Sabine Hofmeister fordert deshalb zusätzlich eine qualitative Bewertung -
sonst "erneuert sich die Sichtweise vom Naturhaushalt als Lagerhalle, wie
sie für die Ökonomie des Industriesystems kennzeichnend ist".
Dass menschliche Eingriffe nicht per se zur Artenverarmung führen müssen,
sondern im Gegenteil die Vielfalt sogar vermehren können, zeigt nicht nur
die frühe Geschichte der Landwirtschaft. Auch die inzwischen mit Wasser
gefüllten Tongruben bei Zehdenick nördlich von Berlin belegen, dass selbst
nach immensem Materialabbau schon nach relativ kurzer Zeit vielfältig
vernetzte, neue Ökosysteme entstehen können. Nicht der Mensch an sich,
seine Bedürfnisse und dass er in die Natur eingreift, sind also das
Problem. Ob er noch eine Weile auf der Erde dabei ist, wird sich vielmehr
an der Frage entscheiden, ob es gelingt, die aktuelle Wirtschaftsweise vom
Modell Einbahnstraße zum Modell Kreisverkehr umzubauen.
28 Dec 2007
## AUTOREN
Annette Jensen
Annette Jensen
## TAGS
Rohstoffe
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