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# taz.de -- Fröhliches Pflaster: Im Zeichen der Jungfrau
> Die Galápagos-Inseln kennt jeder, Ecuador hingegen ist unbekannt. Dabei
> bietet kein Land Südamerikas auf so kleinem Raum eine solche Vielfalt an
> Landschaften, Flora und Fauna
Bild: Quito, Panecillo mit der Jungfrau
Auf dem Panecillo, dem "Brötchen"-Berg mitten in der ecuadorianischen
Hauptstadt Quito, steht in 3.000 Meter Höhe eine der merkwürdigsten
Monumentalfiguren Amerikas. Die "Virgen de Quito" besteht aus über 7.000
Aluminiumblöcken, die der spanische Bildhauer Agustín de la Herrán Matorras
1976 dort zu einer seltsam verschraubt, fast spastisch wirkenden Jungfrau
Maria zusammengenietet hat. Als eine gigantische Kopie der weitaus
kleineren und viel schöneren "Immaculada" des Mestizo-Künstlers Bernardo de
Legarda aus dem 18. Jahrhundert, die in der San-Francisco-Kirche in der
Altstadt aufbewahrt wird, verfügt auch sie - über Flügel! Zudem hat sie den
Mond unter ihren Füßen und steht auf einem Drachen, mit dem sie durch eine
Kette verbunden ist.
Zwar behauptet der quitenische Volksmund, sie sei angekettet, damit sie
nicht hinuntersteigt und sich den leichten Mädchen anschließt, die in dem
Viertel zu ihren Füßen ihrem Beruf nachgehen. Doch das ist nur halb wahr.
Es ist wohl eher so, dass de la Herrán wie de Legarda einer Strategie der
Ordensbrüder Quitos im 18. Jahrhundert folgten. Die vermischten nämlich
angesichts der sich ausbreitenden Sittenlosigkeit in der Audiencia von
Quito das Bild der Jungfrau Maria mit dem jenes apokalyptischen Weibes aus
dem 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes, das angetan mit einem
Sonnenkleid und einer Sternenkrone einem satanischen Drachen Paroli bietet,
wozu ihr "zwei Flügel gegeben" wurden. Gelehrten Texten zur geflügelten
"Virgen Apoclíptica" von Quito ist zu entnehmen, dass sie damals ein
mächtiges Instrument zur Förderung der Frömmigkeit war. Wohl auch deswegen,
weil ihr Versprechen weniger apokalyptisch als eher hoffnungsfroh, eben
marienmäßig, war: das Versprechen der Errichtung einer neuen Ordnung, die
begründet ist auf der Gerechtigkeit Gottes.
Dem Betrachter, der vor allem wegen des Ausblicks auf den Panecillo kommt
und hier der Jungfrau direkt in die Flügelachselhöhlen blickt, kann es
passieren, dass er angesichts des Wustes an Symbolik in der Figur plötzlich
eine durchaus treffende Beschreibung der aktuellen ecuadorianischen
Realität erkennt: Steht da nicht ein eigentlich unbeflecktes jüngferliches
Land im Lichte der andinen Sonne und kämpft gegen den altbösen Feind, an
den es so lange gekettet war und der "die ganze Welt verführt"? Und helfen
nicht derzeit zwei Flügel - nennen wir sie einen neuen Präsidenten und eine
neue verfassunggebende Versammlung - diesem Land hinter dem Mond, nun
endlich hoffnungsfroh eine neue, gerechte Ordnung zu finden?
Gewiss, die christliche Symbolik hat gern etwas Zwanghaftes. Doch
vielleicht hat das kleine Land am Äquator mit seiner geflügelten Jungfrau
ja schon früh einen Weg gefunden, auch dem Kampf gegen den Teufel einen
gewissen fröhlichen Charme zu geben. Vergleicht man den neuen,
jugendlichen, fast milchgesichtigen Präsidenten Rafael Correa mit seinen
doch eher bullig und keineswegs engelhaft wirkenden Kollegen Chávez in
Venezuela und Morales in Bolivien, so möchte einem Ecuadors Weg in den
"Sozialismus des 21. Jahrhunderts" im Moment jedenfalls als der
beflügelndste erscheinen. Wenngleich auch durchaus Bedenken bestehen, vor
allem angesichts Correas wachsenden "caudillismo", der sich etwa in einem
ziemlich autoritären Umgang mit kritischen Journalisten ausdrückt. Doch bis
jetzt überwiegt bei der Mehrzahl der Ecuadorianer die Hoffnung auf einen
demokratischen Weg. Dass der Präsident auf dem demokratischen Teppich
bleibt, könnte dadurch erleichtert werden, dass seine Partei bei den Wahlen
zur neuen Constituyente gerade eine große Mehrheit bekommen hat. Nie in den
letzten Dekaden hatte ein Präsident so viel Rückhalt in der Bevölkerung.
Kein Land Südamerikas bietet auf so kleinem Raum eine solche Vielfalt an
Landschaften, Flora und Fauna: ein schnell zu erreichender Urwald,
Humboldts berühmte "Straße der Vulkane" mit dem legendären Chimborazo und
eine Küste, die nicht nur eine neblige Wüste ist, wie die am Pazifik
südlich des Äquators. Dazu jede Menge hübscher Städtchen, farbenfrohe
Märkte, Kraterseen, Thermalquellen, Dschungel-Lodges, alte Haciendas und
ein Nachtleben, das es so vor zehn Jahren nirgendwo im Lande gab.
Das früher eher verschlafene Quito ist in diesen Tagen ein fröhliches
Pflaster. Die Plaza ist neu renoviert, aus Altstadtgassen wie etwa La Ronda
hat man hübsche Fußgängermeilen gemacht, wo Kunst, Theater oder Spiele für
Kinder angeboten werden. Am Sonntag ist die gesamte Altstadt autofrei, und
für Kulturveranstaltungen wird auch mal die Innenstadt gesperrt. Auf den
Hausberg Pichincha, an dessen sanften Hängen 1822 Nationalheld Mariscal de
Sucre die Entscheidungsschlacht gegen die spanischen Royalisten gewann,
führt seit 2005 der "Teleférico". Die moderne Seilbahn bringt einen von
knapp 3.000 auf weit über 4.000 Meter Höhe. Wer dann höher wandert, bei dem
stellt sich bald eine gewisse Atemnot ein. Doch für matte Gringos gibt es
eine Snackbar wie auf fast jedem schönen Alpengipfel.
Die Globalisierung hat in den Anden und am Pazifik ihre Schneisen
geschlagen: Discos, moderne Cafés und Shopping-Malls findet man überall. In
Guayaquil ist die neue Hafenpromenade zum "Malecón 2000" aufgebrezelt.
Trotz eines feinen Museums versprüht er leider auch ein wenig
McDonalds-Freizeitpark-Atmosphäre. Und das einst wilde und übel
beleumundete Hafenviertel Las Peñas ist pazifiziert und touristisiert: Man
fühlt sich sicher, trauert aber auch ein wenig den alten wilden Zeiten
nach.
Globalisierung muss aber nicht nur McDonalds heißen. In der Asociacón
Alejandro Humboldt (so nennt sich das Goethe-Institut in Quito zu Ehren des
beliebtesten Deutschen in Südamerika) - heißt sie zum Beispiel Michael Sowa
und Rudi Hurzlmeier. Die beiden komischen Maler aus Berlin und München
bringen den Ecuadorianern eine ganz andere Seite der Deutschen nahe, als
dies der große Reisende und Universalgelehrte vor 200 Jahren in Südamerika
tat. Sie sind im Rahmen einer Reise von Freunden zur Eröffnung ihrer
Ausstellung "Arte cómico de Alemania" nach Ecuador gekommen. Inzwischen
sind die lustigen Bilder bereits nach Guayaquil gereist. Weitere
Ausstellungen in ganz Südamerika sollen folgen.
Sowa und Hurzlmeier sind beide ausgezeichnete Tiermaler und versäumen es
nicht, Galápagos zu besuchen, jene "Arche Noah im Pazifik", die auch heute
noch eines jener Reiseziele auf der Erde ist, das nicht gesehen zu haben
Grund genug für eine Wiedergeburt wäre. Auf der "Fragata", einer Yacht für
16 Passagiere, kreuzt die Freundesgruppe mit den Malern fünf Tage durch den
Archipel und genießt jenes im Wortsinne "paradiesische" Gefühl, das diese
Inseln so einzigartig macht: Die Tiere hier haben einfach keine Angst vor
den Menschen.
Eine große Hilfe ist der Gruppe dabei ihr Naturführer Esteban. Der
fröhliche, kenntnisreiche Guide, der im Nebenberuf Präsident der
Naturführer von Galápagos ist (siehe Interview), steht mit allen Tieren der
Inseln auf vertrautem Fuße und fördert nach Kräften das Zusammentreffen der
neugierigen Deutschen mit so reizvollen Spezies wie Blaufußtölpeln und
Meeresleguanen, Haifischen und Fregattvögeln, Riesenschildkröten und
Seelöwen. So finden die Künstler immer wieder schöne Motive und können sie
in aller Ruhe studieren. Ein Wunder, wenn sich das nicht in ihrem Werk
niederschlüge.
Das Bild Ecuadors könnte also von europäischen Künstlern wieder einmal eine
neue Facette verpasst bekommen. Es muss ja nicht immer die apokalyptische
Jungfrau sein.
29 Dec 2007
## AUTOREN
Thomas Pampuch
## TAGS
Reiseland Ecuador
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