# taz.de -- Swing für Kenia: "Hoffnungslos und heikel" | |
> Der deutsche Swingmusiker Andrej Hermlin hat den | |
> Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga im kenianischen Wahlkampf | |
> unterstützt. | |
Bild: Hermlin unterstützt den oppositionellen Politiker Raila Odinga | |
taz: Herr Hermlin, Sie haben kurz vor der kenianischen Präsidentschaftswahl | |
in Berlin ein Benefizkonzert für den Oppositionskandidaten Raila Odinga | |
gegeben. Warum? | |
Andrej Hermlin: Ich habe Raila Odinga vor über einem Jahr durch einen | |
Zufall in Berlin kennen gelernt. Seitdem haben wir regelmäßigen Kontakt. | |
Das letzte Mal sprachen wir kurz vor Weihnachten in Nairobi miteinander und | |
in den letzten Tagen haben wir telefoniert, weil ich aus erster Hand wissen | |
wollte, was im Land vor sich geht. | |
Woher kommt Ihr starkes Interesse für das Land? | |
Ich bin seit 2001 mit einer kenianischen Frau verheiratet, wir haben zwei | |
Kinder. Mehrmals im Jahr sind wir im Dorf Thumaita am Fuße des Mount Kenya, | |
wo die Familie meiner Frau lebt und wir inzwischen ein Haus gebaut haben. | |
Ich liebe Kenia, seit ich es 2001 das erste Mal besucht habe. Ich sah aber | |
auch die Armut und diese Eindrücke haben mich verändert, mit jedem Besuch | |
mehr. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo ich nicht mehr nur stiller | |
Beobachter sein wollte, sondern an einer Veränderung teilnehmen wollte. | |
Odinga ist der einzige kenianische Politiker, den ich kenne, der für seien | |
Überzeugungen je etwas riskiert hat, nämlich sein Leben. Er hat neun Jahre | |
im Zuchthaus gesessen, ich würde ihn den Nelson Mandela von Kenia nennen. | |
Ich behaupte nicht, dass er ein unschuldiger Engel ist. Er hat sicher auch | |
Fehler in seinem Leben gemacht, aber ich weiß, dass er es mit seinen Ideen | |
von sozialen Veränderungen ernst meint und für ganz Kenia denkt, nicht nur | |
an seinen Stamm. | |
Sie sind sogar im kenianischen Wahlkampf für Odinga und seine Partei | |
aufgetreten. Wie wurde das von den Kenianern aufgenommen? | |
Sie waren sehr offen und interessiert. Sie spürten wohl auch, dass ich mich | |
nicht in die Angelegenheiten eines fremden Landes einmischte, sondern in | |
eines, das ich fast als mein eigenes Land betrachte. Allerdings gab es auch | |
Versuche von Seiten der Regierung, mein auftreten bei einer demokratischen | |
Veranstaltung im Lande zu verhindern. Ein angemeldetes Meeting bei Eldoret | |
wurde mehrmals verboten. Insofern war die Situation teilweise heikel, aber | |
nicht brisant. Ich hatte jedoch schon damals die Sorge, dass unter | |
bestimmten Voraussetzungen in Kenia durchaus eine Entwicklung einsetzen | |
könnte wie in Ruanda vor über zehn Jahren. Ich hätte gern Unrecht behalten. | |
Sind Sie überrascht von der Gewalteskalation nach der Wahl? | |
Offen gestanden nein, weil ich in den letzten Tagen vor Weihnachten | |
erlebte, mit welchen immensen Erwartungen und Hoffnungen auf Veränderung | |
die Menschen dieser Wahl entgegen sahen. Sie wollen endlich aus ihrer Armut | |
herauskommen und sie glauben, dass eine von Odinga geführte Regierung das | |
ermöglicht hätte. Jetzt ist die Enttäuschung riesig, gerade unter jungen | |
Leuten. Wenn man verzweifelt hofft und dann auf grausame Weise bestohlen | |
wird, dann kann ich verstehen, dass die Menschen vollkommen die Fassung | |
verlieren und außer Kontrolle geraten. So tragisch das ist, die Regierung | |
ist allein verantwortlich für diese Vorgänge. | |
Sie wollen in den nächsten Tagen wieder nach Nairobi fliegen. Warum? | |
Es gibt Momente im Leben, wo man sich entscheiden muss. Ich habe 1994 am | |
Abendbrottisch gesessen, als die Bilder von Ruanda im Fernseher liefen und | |
auch den Putsch gegen Chavez in Venezuela 2002 nur am Rande wahrgenommen. | |
Diesmal möchte ich aktiv werden und hier und dort versuchen, Fäden zu | |
knüpfen und Menschen auf die schrecklichen Ereignisse aufmerksam zu machen. | |
Sie wollten ursprünglich auf der Wahlsiegparty von Odinga Swing spielen. | |
Glauben Sie, dass Odinga doch noch den sicher geglaubten Wahlsieg | |
zugesprochen bekommt? | |
Das ist Spekulation. Ich bin nur überzeugt, wenn Kibaki an der Macht | |
festhält, wird es keinen Frieden geben können. Kibaiki hat einen | |
Staatsstreich verübt, es ist eigentlich unmöglich, seinen Wahlsieg | |
anzuerkennen. Deswegen kann das Ziel der Verhandlungen nur sein, entweder | |
den Wahlprozess komplett zu wiederholen oder ihn einer unabhängigen Prüfung | |
zu unterziehen. Dabei wird heraus kommen, dass wir gewonnen haben. Das | |
Problem ist, die Regierenden wissen, dass es teilweise um Leben und Tod | |
geht. Sie werden sich bis zum Schluss verteidigen und ihre Lage nicht | |
aufgeben. Das macht die Lage so gefährlich und in gewisser Weise | |
hoffnungslos. | |
INTERVIEW: GUNNAR LEUE | |
2 Jan 2008 | |
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Schwerpunkt Rassismus | |
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