# taz.de -- Radiohead & Get Well Soon: Postrockistische Songs | |
> Die neue Radiohead, jetzt auch auf CD zu haben, stirbt in Schönheit. | |
> Wirklich vitale Radiohead-Stücke bietet die Band Get Well Soon. | |
Bild: Radiohead: Songs, die im Bernstein einer ätherischen Ästhetik schlafen … | |
Das allgemeine Gewese um die digital angebotene neue Platte von Radiohead | |
ist inzwischen ein wenig abgeklungen. Ein guter Zeitpunkt, sich vom | |
Räsonnieren über revolutionäre Vertriebswege ein wenig zu erholen - und | |
sich der Musik zuzuwenden, die nun auch ganz klassisch im Plattenladen | |
angekommen ist. | |
Aber was ist das? Wer "In Rainbows" auspackt, dem flattern zusätzlich zum | |
Booklet weitere Cover, Aufkleber und Titellisten entgegen - eine liebevoll | |
gestaltete Ermunterung, von dem frisch erworbenen Tonträger sogleich einen | |
kostenlosen Klon zu erstellen, der dann mindestens so professionell anmutet | |
wie das Original, vielleicht sogar noch einen Tick origineller. Was man | |
auch runterlädt oder anfasst: Am Metakonzept dieses Albums, also dem | |
Abgesang auf den konventionellen Verkauf von Alben schlechthin, führt | |
einfach kein Weg vorbei. Umso erholsamer ist es da, wenn endlich die | |
knisternden und knatternden Beats einsetzen, mit denen "15 Step" alle | |
kulturpessimistische Gedankenschwere einstweilen aufhebt - und schon nach | |
wenigen Takten an den seltsamen Weg erinnert, den die fünf Musiker aus | |
Oxford seit "OK Computer" gemeinsam gegangen sind. | |
Seit zehn Jahren nämlich arbeiten Radiohead beharrlich und erfolgreich | |
daran, ihren Status als berückendste Rockband dieses Sonnensystems | |
eigenhändig zu demontieren - zugunsten einer nie gehörten Synthese | |
konventionell komponierter Wärme mit dem kalten Kosmos elektronischer | |
Musik. | |
Auch "In Rainbows" glüht nicht, es leuchtet. Von innen. Weil hier wieder | |
alle Elemente ineinandergreifen, die schon die ungestümen, an Nirvana und | |
den Pixies orientierten frühen Platten so sehr zum Blitzen und Funkeln | |
brachten. Da ist die kristalline Klarheit der vielen Stimmen des Thom Yorke | |
und seine desparate Weltsicht in Lyrics von den "kollabierenden | |
Infrastrukturen" unserer Zivilisation; da sind die dezenten Gitarrenläufe | |
und pastellfarbenen Keyboardklänge von Jonny Greenwood, der aus der | |
demonstrativen Verweigerung rockistischer Gesten eine eigene Kunstform | |
destilliert hat; und da ist das geheime, stets unterschätzte Herz dieser | |
Musik: die furchtlose Rhythmusgruppe. Hier, an der Sollbruchstelle zwischen | |
programmierter und organischer Percussion, kommen Radiohead mit beiläufiger | |
Perfektion zu sich selbst. | |
Leider können aber auch balladeske Entwürfen wie "Nude" oder "Faust Arp" | |
nicht darüber hinwegtäuschen, zu welchem Preis diese künstlerische | |
Vollendung erkauft ist: Die Songs atmen und spucken und schwitzen nicht | |
mehr, sie schlafen im Bernstein einer ätherischen Ästhetik, die sich selbst | |
genügt, die nur noch auf sich selbst verweist - und daher bisweilen auch | |
ein wenig abweisend klingen kann. | |
Wer wirklich vitale Radiohead-Songs hören möchte, dem sei das unfassbare | |
Debüt von Get Well Soon empfohlen: "Rest Now Weary Head, You Will Get Soon" | |
ist ein echtes kleines Wunder, das schier aus allen Nähten platzen möchte | |
vor lauter Referenzen. | |
Hier ist jeder Song eine abgeschlossene Folk-Operette, eine Frechheit | |
eigentlich, die ungeniert auf alles verweist, was nicht bei drei auf den | |
Bäumen ist; mal auf die seelenvollen Harmonien von Van Dyke Parks, mal auf | |
die akustische Zerbrechlichkeit der frühen Bright Eyes, mal auf das sonore | |
Raunen von Interpol, mal auf den treibenden Puls von Arcade Fire, mal auf | |
die zwitschernde Naturgeräuschkulisse von Pink Floyd, mal auf den strengen | |
Do-It-Yourself-Ethos von Beck, mal auf die zauselige Melancholie von Badly | |
Drawn Boy, mal auf die strahlende Bläserseligkeit von Calexico und | |
eigentlich immer auf den autistischen Wahnsinn von Einzelgängern wie | |
Sparklehorse oder Babybird. Dazu gibts Pauken, Trompeten, Triangeln, | |
Handclaps, Räuspern, Riffs, Streicher und vor allem: ein Songwriting so | |
ambitioniert und frisch und heutig, dass es einem süße Stiche in die Brust | |
versetzt. Weil diese Songs so heiter und sonnig klingen, als wären es gar | |
keine Songs, sondern eigentlich die "postcards from the caribbean coast in | |
your heart", von denen Konstantin Gropper einmal singt. | |
Gropper ist 25 Jahre alt und stammt nicht aus Omaha oder Toronto, sondern | |
aus der schwäbischen Provinz. Es ist, wie gesagt, nicht zu fassen. | |
Radiohead: "In Rainbows" (Indigo) Get Well Soon: "Rest Now Weary Head, You | |
Will Get Soon" (City Slang) | |
3 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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