# taz.de -- Debatte Gebärmutterhalskrebs-Impfung: Vermeidbarer Tod für viele … | |
> Der Gebärmutterhalskrebs ließe sich weltweit ausrotten - mit einfachen | |
> Impfungen. Ein Aufruf der liberianischen Präsidentin Ellen | |
> Johnson-Sirleaf. | |
Seit ich im Jahr 2006 Präsidentin von Liberia wurde, ist es eines meiner | |
vordringlichen Ziele, Frauen den Weg in alle gesellschaftlichen und | |
politischen Bereiche zu ebnen. Aber die Verbesserung ihrer | |
gesellschaftlichen Lage kann ihnen nicht helfen, wenn sie an einer | |
Krankheit sterben, die wir inzwischen erfolgreich bekämpfen können. Heute | |
haben wir die historische Chance, weltweit 250.000 Frauen jährlich vor dem | |
Tod zu bewahren, indem wir Gebärmutterhalskrebs ausmerzen. | |
Diese Chance ergibt sich dank neuer, bahnbrechender Impfstoffe, die vor den | |
meisten Formen des Gebärmutterhalskrebses schützen. Dieser Schutz nützt | |
jedoch Frauen nicht, die diese Impfstoffe nicht erhalten oder deren Länder | |
sie nicht finanzieren können. | |
So schließe ich mich solidarisch der Europäischen Kommission an, die sich | |
im September des letzten Jahres auf einer hochrangigen Konferenz in Brüssel | |
zu diesem Thema mit Vertretern der Zivilgesellschaft, staatlicher | |
Gesundheitsinstitutionen, der Pharmaindustrie und der Vereinten Nationen | |
beraten hat, um eine globale Lösung für die Bekämpfung einer nun | |
vermeidbaren Krankheit zu finden. | |
Wir wissen heute, dass nahezu alle Fälle von Gebärmutterhalskrebs durch | |
Stämme des durch Geschlechtsverkehr übertragenen humanen Papillomvirus | |
ausgelöst werden, was jährlich 500.000 Frauen betrifft. Während sich vier | |
von fünf durch Gebärmutterhalskrebs verursachte Todesfälle in | |
Entwicklungsländern wie meiner Heimat Liberia ereignen, sind die | |
Auswirkungen dieser Krankheit jedoch überall auf der Welt spürbar. Im Zuge | |
meines Engagements habe ich das Schicksal vieler Betroffener aus allen | |
Schichten kennengelernt: Politikerinnen und Unternehmerinnen, Hausfrauen | |
und Bäuerinnen aus Europa wie aus Afrika. Auch die Vorsitzenden der | |
Brüsseler Konferenz zu Gebärmutterhalskrebs, Vaira Vike-Freiberga, die | |
frühere Präsidentin Lettlands, und Lieve Fransen, eine hohe Beamtin der | |
Europäischen Kommission, haben durch diese Krankheit Familienmitglieder | |
verloren. | |
Die Entwicklungsländer sind mit zirka 80 Prozent der Fälle | |
unverhältnismäßig schwer von Gebärmutterhalskrebs betroffen. Die Krankheit | |
tritt gewöhnlich bei Frauen zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr auf. Dies | |
hat gerade in Entwicklungsländern katastrophale Folgen, da Frauen dort | |
häufig durch ihre Berufstätigkeit das finanzielle Rückgrat ihrer | |
Gesellschaft und ihrer Familien bilden. Wenn die Ehemänner zum Beispiel als | |
Folge von Bürgerkriegen oder Aids als Versorger ausfallen, hängt die | |
gesamte Familie häufig gänzlich vom Einkommen der Frau ab. | |
Das Engagement gegen Gebärmutterhalskrebs erfordert Anstrengungen sowohl | |
seitens der wohlhabenden als auch der armen Länder, der Industrie und der | |
Aktivisten, der Ärzte und der Krankenschwestern, damit jedes Mädchen | |
geimpft werden kann. Die entwickelten Länder müssen zu ihrem eigenem Wohl | |
den Impfschutz auf alle Mädchen ausdehnen. Dies wird in Großbritannien | |
bereits praktiziert und in den USA konkret diskutiert. Besondere | |
Anstrengungen sind jedoch in den Entwicklungsländern notwendig, wo jedes | |
Jahr noch immer 200.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs sterben. In Liberia | |
würde dies nicht nur unseren Töchtern, Schwestern, Tanten und Müttern das | |
Leben retten - sondern auch unseren Bäuerinnen, Marktverkäuferinnen und den | |
Pflegemüttern unserer Aids-Waisen. | |
Der Schutz aller Mädchen in Europa hilft indirekt auch, jedes Mädchen in | |
Afrika zu schützen. Da die Impfstoffhersteller durch Verkäufe zu höheren | |
Preisen in den entwickelten Ländern ihre Investitionen wiederherausbekommen | |
können, wären stark gesenkte Preise in den Entwicklungsländern möglich. | |
Dies würde es uns erlauben, unsere Mädchen ebenfalls zu beschützen. Solche | |
Preisstaffelungen sind bereits Realität. Die Erfahrungen mit Aids zeigen, | |
dass die Welt nicht weiter bereit ist, eine Situation hinzunehmen, in der | |
die Frage, wo Menschen leben, darüber entscheidet, ob Menschen leben. | |
Wie im Fall von Aids denken einige, dass es unmöglich ist oder eine wenig | |
lohnende Investition, Gebärmutterhalskrebs in Entwicklungsländern zu | |
bekämpfen. In Anbetracht der Menge an anderen, ebenso dringlichen | |
medizinischen Herausforderungen in diesen Ländern, die weniger als 15 | |
US-Dollar pro Person und Jahr für Gesundheit ausgeben, erscheint diese | |
harte Einschätzung vielleicht fair. Dennoch, die Entwicklung dieses | |
Impfstoffs bedeutet jedoch, dass es nun möglich ist, dieser Krebsart, die | |
die meisten Todesopfer in den Entwicklungsländern fordert, ein Ende zu | |
setzen. Hierzu muss den Frauen in den ärmsten Ländern dieselbe moderne | |
Vorsorge angedeihen wie den Frauen aus den Wohlstandsnationen. Gerade aus | |
dem Kampf gegen Aids haben wir hinsichtlich der Implementierung viel | |
gelernt. Damit solche Programme auch erfolgreich sind, müssen sie auf jedes | |
Land und dessen bereits vorhandene Gesundheitsstrategien zugeschnitten | |
sein, es müssen Effektivität und Kosteneffizienz sichergestellt sein, und | |
vor allem müssen die Betroffenen schon bei der Planung miteinbezogen | |
werden. | |
Wir befinden uns an einer historischen Schwelle: Gebärmutterhalskrebs kann | |
in unserer Generation ausgemerzt werden - durch höhere Investitionen für | |
Impfung, Vorsorge und Behandlung. Mit relativ geringem Aufwand an Kosten | |
und politischem Willen können wir eine tödliche Krankheit besiegen und der | |
Welt zeigen, dass das Leben und die Gesundheit von Frauen und Mädchen | |
zählen. Die Welt kann sich entscheiden, den vermeidbaren Tod | |
hunderttausender Frauen nicht mehr hinzunehmen - ob in Monrovia, München | |
oder Manila. Wir müssen nunmehr nicht länger hilflos dabei zusehen, wie | |
Gebärmutterhalskrebs alle vier Jahre eine Million Frauen tötet. Wir wissen | |
nun, wie wir sie schützen können, und sollten alle daran mithelfen. Vor | |
diesem bahnbrechenden Impfstoff war ihr Tod tragisch. Es jetzt an | |
entschlossenem Handeln fehlen zu lassen, während Hilfe möglich ist, hieße, | |
dass alle künftigen durch Gebärmutterhalskrebs verursachten Todesfälle | |
unnötig wären. | |
11 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Ellen Johnson-Sirleaf | |
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