# taz.de -- Jugend und Alkohol: Trinkende Sündenböcke | |
> Flatrate-Partys sind in. Einige Jugendliche trinken schneller und | |
> härteren Alkohol. Insgesamt jedoch sinkt der Konsum. Experten warnen vor | |
> Übertreibungen. | |
Bild: Das poppt: Ein beherzter Griff zur Flasche ist bei einigen Jugendlichen a… | |
Jugendliche, die mit Alkoholvergiftungen in der Notaufnahme landen, sorgen | |
seit Monaten für Schlagzeilen. Nicht ohne Grund. Nach Angaben der | |
Fachstelle für Suchtprävention wurden 2005 rund 200 Jugendliche im Alter | |
zwischen 15 und 19 Jahren mit einer Alkoholvergiftung in Berliner | |
Krankenhäuser eingeliefert - doppelt so viele wie im Jahr 2000. Zudem | |
landeten 74 alkoholisierte Kinder zwischen 10 und 14 Jahren in der | |
Notaufnahme - mehr als die Hälfte davon waren Mädchen. | |
Dennoch bleiben solche Exzesse unter jugendlichen TrinkerInnen Einzelfälle. | |
"Bei all der Medienberichterstattung muss man sich klarmachen, dass nur | |
eine kleine Gruppe ein gefährliches Trinkverhalten an den Tag legt", betont | |
der Landesdrogenbeauftragte Matthias Apel. Nur 0,1 Prozent der Berliner 10- | |
bis 20-Jährigen landen tatsächlich mit einer Alkoholvergiftung im | |
Krankenhaus. | |
"Das Konsumverhalten hat sich verändert. Die Jugendlichen, die trinken, | |
trinken mehr und härteren Alkohol als früher", sagt Uta Lode, Leiterin der | |
Jugend- und Suchtberatung LogIn in Charlottenburg-Wilmersdorf. Insgesamt | |
aber sinke die Zahl der Heranwachsenden, die trinken. 2002 waren 66,5 | |
Prozent der Berliner Jugendlichen noch nie betrunken. Im Jahr 2006 stieg | |
diese Zahl auf 72,5 Prozent. Das ergab die Jugendgesundheitsstudie Health | |
Behaviour in School-aged Children (HBSC) für Berlin. | |
"Die Medien übertreiben total, es trinken nicht mehr Jugendliche als | |
früher", sagt auch Lutz Küchenmeister, Streetworker in Neukölln-Rudow. "Bei | |
uns - Trinkgelage zu pauschalen Dumpingpreisen - gibt es Bier, Wein und | |
Sekt, aber wir haben hier keine Probleme mit Alkohol", erzählt Monika | |
Omenzetter, Pädagogin im Kurt-Lade-Klub in Prenzlauer Berg. "Natürlich gibt | |
es Jugendliche, die sich abends vor Supermärkten oder vor dem Taxistand die | |
Kante geben", sagt Birgit Schreiter, Sozialpädagogin eines Schülerklubs in | |
Zehlendorf. Doch der Tod des 16-Jährigen Lukas bleibe ein Einzelfall. Der | |
junge Zehlendorfer war 2007 an einer Alkoholvergiftung gestorben. | |
Den harten Alkohol trinken die Heranwachsenden oft zu Hause. "Ich hatte | |
hier einen Jungen, der hat zum ersten Mal allein zu Hause Alkohol | |
getrunken, und zwar gleich Tequila", erzählt Uta Lode vom LogIn. Seit die | |
Steuern für Alkopops im Jahr 2004 drastisch erhöht wurden, mischen sich die | |
jugendlichen Trinker die Getränke selbst, weiß Lode. Klaus Farin, Leiter | |
des Archivs für Jugendkulturen, glaubt daher, die Steuererhöhung habe das | |
Problem noch verstärkt: "Die Politik mit den Alkopops hat eher dazu | |
geführt, dass jetzt noch härterer Alkohol getrunken wird, nämlich Wodka." | |
Die Jugendlichen trinken hochprozentiger, und sie fangen früher damit an. | |
Laut der HBSC-Studie waren 2006 3 Prozent der Elfjährigen bereits einmal | |
betrunken, 2002 waren es noch weniger als 1 Prozent. Die Jugend teste heute | |
ihre Grenzen früher aus, sagt der Landesdrogenbeauftragte Matthias Apel: | |
"So wie sie heute früher ihre sexuelle Identität suchen, probieren sie auch | |
früher Alkohol aus." | |
Abhilfe bietet zum einen der Rechtsweg. So hat das Bezirksamt Lichtenberg | |
einem Diskothekenbetreiber eine Flatrate-Party untersagt, bei der zum | |
Pauschalpreis gesoffen werden durfte. Zwar zog der Betreiber vor Gericht, | |
aber ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag ab - mit der | |
Begründung, dass Pauschalpreise konsumfördernd wirkten und eine | |
Gesundheitsgefahr darstellten. | |
Doch dem gefährlichen Trinkverhalten kann schon im heimischen Wohnzimmer | |
begegnet werden. "Vor allem die Eltern müssen selbstreflektierter sein und | |
sich fragen, wie sie selbst mit Alkohol umgehen", sagt die Suchtberaterin | |
Uta Lode. Die Medienberichterstattung habe bereits dazu geführt, dass | |
Eltern sensibler auf das Thema reagieren und mit ihren Kinder schneller in | |
die Beratungsstellen kommen. "Die Jugend wird zum Sündenbock der | |
Gesellschaft gemacht. Die Sorge ist berechtigt, lenkt aber auch vom | |
Trinkverhalten unserer gesamten Gesellschaft ab", sagt Matthias Apel. | |
14 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Kathleen Fietz | |
## TAGS | |
Heult doch! | |
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