# taz.de -- Ex-Revoluzzerfrisör Sassoon wird 80: Austreibung der Lockenfrisur | |
> Vidal Sassoon revolutionierte die Frisur der 60er-Jahre. Sein "Bob" gilt | |
> als Quintessenz des Swinging London. Auch in Polanskis Filmen sorgte er | |
> für Style. | |
Bild: Mia Farrow mit ultrakurzem Pixie. | |
Die Tür geht auf, Mia Farrow kommt rein. "Ich war bei Vidal Sassoon", sagt | |
sie beinahe entschuldigend und fährt sich dabei etwas unsicher durch ihre | |
unverwüstliche Kurzhaarfrisur. John Cassavetes, der ihren Ehemann spielt, | |
zeigt sich unbeeindruckt: "Sag bloß, dass du dafür auch noch bezahlt hast." | |
Die Szene stammt aus Roman Polanskis Spielfilm "Rosemarys Baby" von 1968, | |
weshalb die Friseurrechnung auch an die Produktionsfirma Paramount ging. | |
5.000 US-Dollar waren für diesen Schnitt, einen sogenannten Pixie, zu | |
berappen - ein ebenso happiger wie inflationärer Betrag, wenn man bedenkt, | |
dass Sassoon noch drei Jahre zuvor nur 40 britische Pfund für einen Termin | |
mit Catherine Deneuve verlangt hatte, auch das im Zuge eines Polanski- | |
Films. | |
Ob die neue Frisur Mia Farrow Glück gebracht hat? Erst einmal gab es | |
jedenfalls nicht nur vom Filmgatten, sondern auch vom echten Ehemann Frank | |
Sinatra einen Korb. Unklar ist, ob der eher konservative Schlagersänger in | |
den kurzen Haaren seiner Frau einen unerträglichen Emanzipationsversuch | |
witterte - jedenfalls schickte er seinen Anwalt, um ihr noch am Set die | |
Scheidungspapiere aushändigen zu lassen. | |
Als wiederum Rosemary im Film zum ersten Mal frisch frisiert aufkreuzt, ist | |
sie bereits schwanger und hegt dunkle Vorahnungen. In ihrem Bauch wächst | |
ein Kind des Teufels heran. So kann der neue Schnitt zweierlei bedeuten. | |
Entweder er ist eine rite de passage, verursacht von der dämonischen Macht, | |
die allmählich von der jungen Frau Besitz ergreift. Wenn Haare nach | |
jahrhundertealtem Volksglauben der Sitz der Lebenskraft sind, ist der | |
Friseur immer auch die weltliche Inkarnation des Sensenmanns. | |
Oder aber Sassoons Arbeit ist ganz im Gegenteil als eine Austreibung jenes | |
Teufels zu verstehen, der sich bis dato in aufwendig modellierten | |
Lockenfrisuren und sprayfixierten Haarhelmen verbarg. Läuft nicht die | |
Nachbarin Minnie Castevet - eine leibhaftige Hexe - den ganzen Tag mit | |
Lockenwicklern durchs Treppenhaus? Und hatte sich Vidal Sassoon 1966 in New | |
York (also im selben Jahr und in derselben Stadt, in der auch der Film | |
spielt) nicht strikt geweigert, eben solche Lockenwickler zu verwenden, als | |
die örtliche Innung davon die Ausstellung einer Friseurlizenz abhängig | |
machen wollte? | |
Solche Techniken erschienen dem Briten als alte Zöpfe, schließlich hatte er | |
schon Jahre zuvor in Großbritannien einen völlig neuen Friseurstil | |
eingeführt. Sein bevorzugtes Werkzeug: die kleine Schere. In den Tagen der | |
paranoid werdenden Blumenkinder und rückwärts laufenden Plattenspieler | |
wirkte Sympathie für den Teufel durchaus verkaufsfördernd, und so half | |
Polanskis Film kräftig mit, Sassoons Frisuren auch in Übersee zu | |
etablieren. | |
Die ersten Erfolge des Friseurs fallen hingegen in eine optimistischere | |
Zeit. Als Spross einer alten, aber verarmten Kaufmannsfamilie - seine | |
Urgroßväter waren in China, Persien und Indien durch Opiumhandel reich | |
geworden - wuchs Vidal Sassoon unter harten Bedingungen im Londoner East | |
End auf. Weil er sich stark mit seiner jüdischen Herkunft identifizierte, | |
kämpfte er 1948 freiwillig im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Sechs | |
Jahre später eröffnete er in London einen ersten Salon. Der große Wurf | |
gelang aber erst 1963, als ein Foto in der Vogue um die Welt ging. Mit dem | |
kantenscharfen Haarschnitt, den die britische Schauspielerin Nancy Kwan | |
dort trägt, hatte Sassoon den Bob neu erfunden. Der erinnerte zwar noch an | |
die Bubiköpfe der Zwanziger, war in seiner geometrischen Strenge und | |
handwerklichen Präzision aber dennoch revolutionär. | |
Zugleich passte er perfekt zu den so kurzen wie schnörkellosen Miniröcken, | |
die die Londoner Modeschöpferin Mary Quant eben auf den Markt gebracht | |
hatte. In der Filmkomödie "The Wild Affair" wurde Kwan von Sassoon frisiert | |
und von Quant eingekleidet, wodurch der Film 1963 die modische Quintessenz | |
des Swinging London auf die Leinwand brachte. | |
Swing - das war in Bezug auf die Frisur ganz buchstäblich zu verstehen. | |
Denn so lautete ja der von Sassoon propagierte Paradigmenwechsel: Die Haare | |
sollen so geschnitten sein, dass sie durch einfaches Schütteln des Kopfes | |
von selbst zurück in die erwünschte Form fallen. Wo das gelingt, | |
emanzipiert sich die Kundin aber auch vom Friseur, auf den sie bislang | |
angewiesen war. | |
Meistercoiffeure wie Marcel Grateau, der 1872 die Brennschere und damit die | |
"Marcel-Welle" erfunden hatte, begründeten die Tradition des big hair, also | |
Haarhelmen und ondulierten Kunstgebilden, die schon dem ersten Regen oder | |
auch nur erhöhter Luftfeuchtigkeit zum Opfer fallen können. Sind solche | |
Frisuren trotz nächtelangen Tragens von Lockenwicklern oder anderer | |
zeitintensiver Badezimmerprozeduren nicht mehr zu konservieren, ist der | |
Gang zum Profi fällig. Waschen und legen - die alte Schule also - bedeutet | |
aber, dass sich auch der Friseur zur Frisur nur in einem höchst äußerlichen | |
Verhältnis befindet. Er modelliert und überformt. Und darf sich dafür stets | |
aufs Neue als Künstler feiern und bezahlen lassen. | |
Das Gegenteil wollte Sassoon: wash and go setzt einen Schnitt voraus, der | |
sich aus seiner inneren Statik von selbst erhält. 1964 stellte der Friseur | |
seinen five point cut vor - eine Technik, die anhand von fünf Fixpunkten | |
eine Kartografie des Kopfes zugrunde legt. "Mein Traum", sagt Sassoon, der | |
ursprünglich einmal Architekt werden wollte, "war das Haar im Reich der | |
Geometrie: Quadrate, Dreiecke, Rechtecke und Rhomben." Auf dieser Grundlage | |
entstanden seine stilbildenden Frisuren mit ihren teils sprechenden, teils | |
rätselhaften Namen: "Graduated Bob", "Asymetric Isadora", "Ungaro", | |
"Curtain", "Quiff". | |
Angesichts seiner unbestrittenen Leistungen mangelt es Vidal Sassoon, der | |
am Donnerstag 80 wird, nicht an Selbstbewusstsein. Er bezeichnet sich | |
selbst als Künstler und möchte mit Mies van der Rohe oder Marcel Breuer in | |
einem Atemzug genannt werden. Tatsächlich ist seine Arbeit aber der des | |
Ingenieurs vergleichbar: Sassoons Technik ist systematisch, sie ist lern- | |
und reproduzierbar. | |
Kein anderer Friseur hat daher je im selben Ausmaß eine Schulbildung | |
betreiben können wie er. Deshalb sind die wahren Künstler aber wohl nicht | |
ausgestorben. | |
16 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Ronald Düker | |
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