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# taz.de -- Kardinal Karl Lehmann tritt zurück: Ihm folgt ein langer Winter
> Aus "gesundheitlichen Gründen" gibt Kardinal Lehmann seinen Vorsitz der
> katholischen Bischofskonferenz auf. Leider: Mit ihm geht ein Mann des
> Ausgleichs.
Bild: Schluss ist.
Witzchen darüber gab es schon lange, solche der gutmütigen, fast besorgten
Art: Wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer
Bischof Karl Kardinal Lehmann, sich mal wieder in das gottlose Berlin
wagte, um ein wichtiges Wort der katholischen Kirche Deutschlands zu
aktuellen politisch-sozialen Fragen vorzustellen, konnte man mit einiger
Sicherheit damit rechnen, dass er mindestens einmal während der
Pressekonferenz kurz wegnicken würde. Wie in Zeitlupe schlossen sich dann
die Augenlider in dem breiten Charaktergesicht - und was zunächst aussah
wie das konzentrierte Zuhören auf das mehr oder weniger Kluge der anderen
Oberhirten, offenbarte sich schnell als Kurzschlaf von ein paar Minütchen.
Man sah es dem 71-Jährigen gern nach. Denn klar war: Enormer Arbeitseifer
stand hinter dem Nickerchen. Lehmann las und arbeitete häufig die halbe
Nacht. Irgendwann forderte sein Körper, sein Bruder Esel, wie es Franz von
Assisi gesagt hätte, seinen Tribut.
So ist es auch jetzt, da Lehmann überraschend seinen Rücktritt für den 18.
Februar, kurz nach der Frühjahrsversammlung seiner Bischofskollegen in
Würzburg, angekündigt hat. Nach fast 21 Jahren, in denen sich der unfassbar
belesene Intellektuelle für seine Kirche regelrecht abgeschuftet hat, wird
er die Leitung der 27 (Erz-)Bischöfe und rund 26 Millionen Mitglieder der
katholischen Kirche der Bundesrepublik in andere Hände geben. Niemand
leitete die Bischofskonferenz länger. Und der offiziellen Begründung ist in
diesem Fall auch zu glauben: Sein Körper wollte nicht mehr, wie sein Geist
es will. Mit den Herzrhythmusstörungen, die ihn am Jahresende zuerst in die
Klinik, dann in eine kurze Kur bis Anfang Januar zwangen, sah Lehmann
vernünftigerweise "eine eindeutige Zäsur erreicht", wie er in seinem
Rücktrittsbrief an die Bischöfe erklärte: "Ich hatte eine lebensbedrohliche
Krankheit, die mir in Zukunft nicht mehr diese oft rücksichtslose
Ausschöpfung meiner Kräfte erlaubt. Erhebliche Risikofaktoren warnten schon
längere Zeit, die ich aber eher überging." Das ist typisch für das
Arbeitstier Lehmann: Wenn nicht zu 100 Prozent, dann gar nicht.
So radikal war Lehmann jedoch nur im Ausbeuten der eigenen Kräfte -
kirchenpolitisch stand er den Radikalen, und das heißt in Deutschland den
Reaktionären unter den Bischofskollegen, fern. Der Sohn eines
Dorfschullehrers und einer Hausfrau aus Sigmaringen war von Anfang an ein
Mann des Ausgleichs, der liberalen Mitte. Bezeichnend ist, dass er schon
als Mittzwanziger, kurz nach der Promotion in Philosophie und der
Priesterweihe in Rom als Zögling des "Germanicums", der vatikanischen
Kaderschmiede für den deutschsprachigen Nachwuchs, hintergründig, aber
deutlich die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65)
mitprägen konnte. Es war das ganz große Spiel, gleich zu Beginn: Der
blutjunge Lehmann war der engste Mitarbeiter des Konzilberaters Karl
Rahner.
Da hatten sich zwei gefunden, der progressive katholische
Jahrhunderttheologe und sein blitzgescheites Wunderkind. Aus dieser Zeit
übrigens stammt auch seine Duzfreundschaft mit dem jungen Joseph Ratzinger,
dem heutigen Papst Benedikt XVI. Der war offizieller Konzilstheologe
(Peritus) sowie Berater des Kölner Kardinals Joseph Frings, der die
Deutsche Bischofskonferenz damals leitete. Ratzinger war seinerzeit noch
ziemlich fortschrittlich. Aber das empfahl sich ja auch in diesem
Reformkonzil. Lehmann dagegen blieb sich immer treu. Und liberal auch nach
dem Konzil.
Überhaupt Ratzinger! Die Lebensläufe der beiden wichtigsten Köpfe des
deutschen Katholizismus in den vergangenen Jahrzehnten ähneln sich
frappierend. Beide rutschten als brillante Universitätsprofessoren der
Theologie fast automatisch auf Bischofssitze, Ratzinger im reichen und
wichtigen München, Lehmann im provinziellen Mainz. Aber es war Lehmann, der
1987 - überraschend, da noch nicht als Kardinal - an die Spitze der
Deutschen Bischofskonferenz gewählt wurde. Der Kompromisskandidat der
Bischöfe, der Homeboy der Deutschen war er, während Ratzinger unter
Johannes Paul II. in Rom immerhin die Glaubenskongegration des Vatikan, die
frühere Heilige Inquisition, leiten durfte.
In den kommenden Jahren arbeiteten sich die beiden aneinander ab - und
Ratzinger, der bald Kardinal wurde, war am längeren Hebel. Besonders
spektakulär und auch besonders demütigend für Lehmann war dies bei dem
jahrelangen Konflikt um die Schwangeren-Konfliktberatung Ende der
90er-Jahre zu beobachten. Es war die größte Niederlage Lehmanns. Während er
nämlich dafür kämpfte, dass die katholischen Hilfsstellen im staatlichen
System der Schwangeren-Beratung blieben und dafür auch mühsam einen Konsens
in der Fuldaer Bischofskonferenz erreichte, torpedierte Ratzinger im Namen
des Papstes und mit Hilfe der Tricksereien des Kölner Erzbischofs, Joachim
Kardinal Meisner, diesen Kompromiss. Lehmann strampelte hinter den
Kulissen, fuhr mehrmals nach Rom. Und musste sich am Ende doch gehorsam
beugen. Aus dieser Zeit stammt eine nie öffentlich geäußerte Abneigung
Lehmanns gegen Ratzinger. Aber auch eine gewisse Hochachtung in liberalen
katholischen Kreisen Deutschlands: Da hatte jemand im Scheitern Größe
bewiesen.
In Rom hat ihm diese Renitenz kaum Freunde gemacht - und so war es kein
Wunder, dass Lehmann überdeutlich lange der Kardinalshut verwehrt blieb.
Als er ihn aber dann 2001, wiederum überraschend, doch erhielt, da strahlte
Lehmann mit dem Kardinalsrot um die Wette. Und halb Deutschland, auch
außerhalb seiner Kirche, freute sich mit ihm. Lehmann ist einer der wenigen
Sympathieträger der katholischen Kirche im bundesdeutschen Diskurs. Man
hört ihm zu in der Gesellschaft, der Politik und den anderen Kirchen und
Glaubensgemeinschaften. Weil er nicht nur sehr klug ist, sondern auch
menschlich, ausgleichend und offen. Und das kann man leider nur über wenige
Bischöfe in Deutschland sagen.
Hier ist auch das Problem für die Nachfolge Lehmanns an der Spitze der
Bischofskonferenz: So einen wie ihn, einen Mann des Ausgleichs, eine sich
aufdrängende Integrationsfigur, werden seine Mitbrüder nicht mehr finden.
Und sicher ist schon jetzt, dass die vielen Konservativen nun auch in
Deutschland ihren Durchmarsch - wie schon in Rom - fortsetzen können. Als
natürlicher Nachfolger kommt eigentlich nur der neue Erzbischof von
München, Reinhard Marx, in Frage, ein barocker Typ, jovial, aber
kirchenpolitisch klar auf der konservativen Vatikanlinie. Das passt. Aber
Marx wird erst Anfang Februar in München inthronisiert. Zweifelhaft ist, ob
man ihm dann auch gleich die Leitung der Bischöfe zutraut. Möglich, dass
die eine Übergangslösung wählen, vielleicht sogar noch einmal Kardinal
Meisner auf seine alten Tage ein paar Jahre wüten lassen.
Klar ist: Die Bischofskonferenz wird noch konservativer werden, als sie
jetzt schon ist. Die wenigen Liberalen unter den deutschen Oberhirten haben
einen langen Winter vor sich. Und Benedikt XVI. wird sich klammheimlich die
Hände reiben, dass er nun seinen alten Widersacher mehr oder weniger los
ist. Denn Lehmann bleibt ja als Bischof von Mainz Mitglied der
Bischofskonferenz. Und wer weiß, vielleicht wird Lehmann eines Tages unter
dem "Jüngsten Gericht" Michelangelos auch noch den Nachfolger Benedikts
mitwählen dürfen. Das wäre ein merkwürdige Pointe. Denn es ist ein offenes
Geheimnis, dass Lehmann beim letzten Konklave einer der Wortführer der
liberaleren Kardinäle war, die Ratzinger zu verhindern suchten -
vergeblich.
"Es ist Zeit für eine Wachablösung", schreibt Lehmann in seinem
Rücktrittsbrief mit Blick auf die jüngsten Ernennungen von Bischöfen, die
zwischen 47 und 54 Jahre alt sind. Eigentlich hat er recht. Wenn nur die
wahrscheinlichen Nachfolger für mehr stünden als den Rückzug der
katholischen Kirche ins Gestern.
16 Jan 2008
## AUTOREN
Philipp Gessler
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