# taz.de -- Kenias Flüchtlinge fürchten erneute Gewalt: Flucht nach Eldoret | |
> Seit dem Wahlsieg Kibakis wird in Kenia Jagd auf die Kikuyu gemacht. Wer | |
> kann, flieht ins Flüchtlingslager nach Eldoret. Doch die Sicherheit dort | |
> ist trügerisch. | |
Bild: Anna Girango kampiert mit zehn ihrer Kinder und Enkel auf dem Hof der St.… | |
ELDORET taz Margaret Njeri kann es gerade noch schaffen. Die Kenianerin vom | |
Stamm der Kikuyu sitzt in einem zerbeulten Matatu-Bus, sie hat einen | |
Teppich und ein paar Möbelstücken dabei, ein letztes Mal streift ihr Blick | |
über die notdürftig zusammengezimmerten Unterkünfte aus Holz und Planen. | |
Sechs Tage hat die mehrfache Großmutter hier, im Schatten der St. Johns | |
Cathedral im Zentrum von Eldoret, der Stadt in Westkenia, unter freiem | |
Himmel kampiert. Jetzt will sie ihre paar Besitztümer aus dem Rift Valley | |
retten, vor den Plünderern und dem drohenden Regen. Doch wo das sein soll, | |
weiß sie noch nicht. | |
"Ich habe auf einem kleinen Hof, etwa dreißig Kilometer von Eldoret | |
entfernt, gelebt", erzählt sie. "Vor einer Woche zog plötzlich eine | |
aufgebrachte Menge durch unseren Ort. 'Kikuyus, verschwindet!', haben sie | |
gerufen." Sie hatte noch Glück im Unglück. Freunde warnten sie per Handy | |
vor dem Mob, so konnte sie noch ein paar Sachen in Sicherheit bringen. | |
Alles andere, so vermutet sie, ist zusammen mit ihrem Haus und den Feldern | |
in Flammen aufgegangen. Ihre Hand streicht über einen Sack Mais. "Das ist | |
der letzte, den ich noch für meine Kinder habe. Ich kann ihn doch nicht | |
draußen im Regen stehen lassen, dann hätten wir nicht mal mehr zu essen." | |
Ihr ältester Sohn ist unterwegs, er sucht in einem Vorort von Eldoret nach | |
einem Haus für die Familie. Ob es da sicher ist? "Das weiß ich nicht", sagt | |
Margaret Njeri, "aber irgendwo müssen wir doch hin." | |
Vertriebene wie sie gibt es dieser Tage Tausende in Eldoret. Und wie sie | |
sind die meisten Kikuyu, die Volksgruppe, der auch der umstrittene neue | |
Präsident Mwai Kibaki angehört. Während aufgebrachte Horden von Kalenjin, | |
der Mehrheitsethnie in dieser Region Kenias, unaufhaltsam durch die Felder | |
und Gehöfte der ländlichen Region marodierten und regelrechte Jagd auf | |
Kikuyu machten, suchten ihre Opfer Schutz in Polizeistationen, Schulen und | |
Kirchen. Doch vor den Massenprotesten, zu denen die Opposition ab diesem | |
Mittwoch aufgerufen hat, scheinen auch diese Orte nicht mehr sicher genug. | |
Wer irgend kann, flüchtet in die Zentralprovinz, dort sind die Kikuyu in | |
der Mehrheit. | |
Am Busbahnhof von Eldoret herrscht Chaos. Reifen quietschen, Matatus | |
schieben sich durch die Menge, die Menschen versuchen sich zu den Türen der | |
großen Busse durchzukämpfen, dort werden die Tickets verkauft. Von hinten | |
hupen schon neue Busse. Männer mit nacktem Oberkörper binden auf den | |
Dächern der Fahrzeuge jede Menge Säcke und Koffer fest. "Wir wollen es vor | |
den Demonstrationen nach Nairobi schaffen, wer weiß, was passiert", keucht | |
James, gemeinsam mit seiner Schwester hat er zwei Plätze im "Eldoret | |
Express" in die Hauptstadt ergattert. | |
In seinen Armen hält er eine Tasche mit dem Aufdruck der kenianischen | |
Wahlkommission, jener Behörde, die viele hier für die explosive Lage im | |
Land verantwortlich machen. Deren Vorsitzender, Samuel Kivuitu, war es, der | |
Kibaki zum Präsidenten gekürt hat - trotz unzähliger Anhaltspunkte dafür, | |
dass die Wahl gefälscht wurde. Die Tasche weist James als Wahlbeobachter | |
aus - für welche Partei? Er grinst, zuckt mit den Schultern. Wie die | |
meisten Kikuyu hat auch er zu Präsident Kibaki gehalten. Und jetzt muss er | |
fliehen. | |
"Die Kikuyu verlassen Eldoret in Massen", bestätigt Thomas Ngoy. Eigentlich | |
ist er für die Ordnung hier am Busbahnhof verantwortlich, doch dieses | |
Vorhaben musste er wohl oder übel aufgeben. Wie viele Busse derzeit | |
Richtung Nakuru oder Nairobi fahren? "Ich habe den Überblick verloren, | |
vielleicht dreißig, vielleicht auch fünfzig", sagt er. | |
Auch die Luo, Angehörige der Volksgruppe von Raila Odinga, dem | |
Oppositionsführer, der den Wahlsieg für sich in Anspruch nimmt, fliehen. | |
Sie wollen nicht zwischen die Fronten geraten. Seit dem Morgen sind 2.500 | |
Soldaten und Polizisten einer kenianischen Spezialeinheit in Eldoret. Jeder | |
fürchtet, dass an diesem Mittwoch nach ein paar Tagen gespannter Ruhe die | |
Gewalt erneut ausbrechen wird. Bis dahin sollen die Busse wieder sicher im | |
Depot stehen. | |
Noch sind die Straßen frei, doch viele befürchten, dass militante | |
Oppositionsanhänger erneut Straßensperren errichten könnten. Busfahrer | |
erzählen sich die Geschichte von Paul Karuri, einem Kikuyu, der am Samstag | |
einen Bus mit 49 Flüchtlingen an Bord durch 15 solcher Straßensperren | |
manövriert hat. Für die anderen Fahrer, deren Job derzeit lebensgefährlich | |
ist, ist Karuri ein Held: An der ersten Straßensperre, wo mit Macheten | |
bewaffnete Milizen verlangten, er solle die Tür öffnen und alle Kikuyu | |
ausliefern, legte er den ersten Gang ein und fuhr den Verfolgern mit | |
Karacho davon. Das Gleiche brachte er an 13 weiteren Sperren fertig. An der | |
letzten, wo Milizen Strommasten über die Straße geworfen hatten, blieb er | |
stehen - und wie ein Wunder tauchten Polizisten auf, die die Passagiere des | |
Busses retteten. Ohne eine einzige Scheibe, die Karosserie von Steinen | |
komplett zerbeult, kam der Bus schließlich in Nairobi an - niemand war | |
verletzt. "Toll", lacht Henry, der Fahrer im "Eldoret Express". Doch selbst | |
zum Helden werden möchte er lieber nicht, er macht, dass er loskommt. | |
Wer sich die Bustickets nicht leisten kann oder wer nicht weiß, wohin er | |
fliehen soll, verschanzt sich auf dem Messegelände der Stadt. Es gilt als | |
relativ sicher. Wo sonst einmal im Jahr Landwirte stolz ihre Rinder und | |
Kohlköpfe präsentieren, hat das kenianische Rote Kreuz eine Zeltstadt | |
errichtet. "Wir sind fast 5.000 hier, und wir erwarten noch mehr, bevor es | |
wieder losgeht", erklärt John Deretu. Die Lagerinsassen haben ihn zu ihrem | |
Sprecher gewählt. Deretu ist selbst aus Burnt Forest geflohen, die Bewohner | |
des Dorfs in den Teeplantagen hatten besonders unter den Gewaltexzessen zu | |
leiden. "Es gibt Leute, die bei ihren Verwandten untergekommen sind", | |
erklärt er, "aber jetzt, vor den Demonstrationen, kommen viele noch | |
hierher, um sicher zu sein." Das Messegelände hat nur zwei Eingänge. | |
Mehrere Hundertschaften stehen bereit, um die Vertriebenen zu schützen. | |
Alle hier erzählen ähnliche Geschichten: Die Angreifer kamen zu Hunderten, | |
bewaffnet mit Schlagstöcken, mit Macheten oder Fackeln, sie suchten nach | |
Kikuyu. "Ich bin gerannt, gerannt, gerannt, bis ich zur Polizeistation | |
kam", sagt die zehnjährige Jen Njeri. Als sie Lastwagen vom Gelände fahren | |
sah, sprang sie kurz entschlossen auf. "Ich wusste nicht, wohin sie fahren, | |
aber ich bin auf die Ladefläche gesprungen, um bloß wegzukommen." Nun ist | |
sie hier im Auffanglager von Eldoret. Wie es ihren Eltern und Geschwistern | |
ergangen ist, weiß sie nicht, das Rote Kreuz sucht nach ihnen. | |
Dass es sich bei den Gewaltausbrüchen um spontane Handlungen handelt, | |
glaubt keiner der Flüchtlinge. Die Spannungen im Rift Valley reichen weit | |
zurück. Seit Kenias Gründungspräsident Jomo Kenyatta, selbst ein Kikuyu, in | |
den 60er-Jahren Farmer aus dem Hochland hier ansiedelte, gab es immer | |
wieder politisch aufgeheizte Verfolgungen. Doch so schlimm wie dieses Mal | |
war es noch nie, sagt Sarah Wanjiru. Sie wurde vor mehr als 40 Jahren im | |
Rift Valley geboren. "Das hat jemand geplant", ist sie überzeugt. "Überall | |
sind die Ausschreitungen zur gleichen Zeit losgegangen, und alle erzählen | |
die gleichen Geschichten - kein Zufall." | |
Die vertriebenen Kikuyu sind sich einig darüber, wer hinter den Unruhen | |
steckt: William Ruto, Spitzenpolitiker von Odingas Orange Democratic | |
Movement, der im Rift Valley einen sensationellen Sieg für die Opposition | |
geholt hat. "Ich erinnere mich, wie Ruto bei uns im Dorf war und gehetzt | |
hat: Ihr müsst putzen bei euch im Dorf, schmeißt die gewissen Leute raus", | |
erzählt einer, "und nach der Wahl ist genau das passiert." Dass die | |
Kalenjin die Kikuyu, von denen viele Geschäfte besitzen und große Farmen | |
bewirtschaften, stets als Bürger zweiter Klasse behandelt hätten, erzählen | |
andere. Doch die Opposition weist alle Vorwürfe von Kibakis Anhängern | |
zurück, sie habe einen Genozid oder "ethnische Säuberungen" organisiert. | |
Belege für einen organisierten Völkermord gibt es tatsächlich nicht. Doch | |
dass in diesem Wahlkampf gehetzt und gezündelt wurde wie nie zuvor in der | |
Geschichte Kenias, weiß jeder. | |
In Eldorets Vorstädten, wo viele arbeitslose Kalenjin-Jugendliche leben, | |
ist der aus Neid und Frust gespeiste Hass auf die Kikuyu so groß, dass es | |
wohl keiner Hetze bedarf. Wer einen Bewohner anspricht, wird sofort von | |
zehn, zwanzig anderen umringt, alle wollen Dampf ablassen. "Kibaki muss | |
verstehen, dass wir die Kikuyu nicht aus Spaß verfolgen, sondern weil er | |
die Wahl gestohlen hat", sagt Amos, der mit seinen kurz geschorenen Haaren | |
und dem Muscle Shirt wie eine Kampfmaschine aussieht. "Wir bestrafen die | |
Kikuyu, damit Kibaki aufwacht", tönt er. "Und wenn er das nicht tut, dann | |
sollte ihm klar sein: Das, was bisher passiert ist, ist nur der Anfang." | |
Samuel, ein anderer Wortführer, zieht einen Vergleich: "Das ist wie in | |
Ostdeutschland, wo damals die Russen einmarschiert sind - hier sind die | |
Kikuyu einmarschiert. Die sollen nach Hause ins Hochland zurück, das hier | |
ist unser Land." Für den Mittwoch haben sich die Kalenjin einiges | |
vorgenommen. "Wenn die Polizei auf uns schießt, setzen wir das ganze Land | |
in Brand", ruft Amos. Die Menge auf der staubigen Hauptstraße jubelt ihm | |
zu. | |
15 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Marc Engelhardt | |
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