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# taz.de -- Letztes Gespräch mit Charles Bukowski: "Ich schleppte den blutigen…
> Ein (vorläufig) letztes Gespräch mit dem Schriftsteller Charles Bukowski
> über den animalischen Drive, lapprige Typen im Poesie-Kurs und
> Totschläger an der Pissrinne.
Bild: Augenblick der Wahrheit: Charles Bukowski bei einer Lesung 1978.
taz: Mr. Bukowski, was hat Sie zum Schreiben gebracht?
Charles Bukowski: Der animalische Drive und die Energieleistungen meiner
Mitmenschen gaben mir nichts als Rätsel auf. Ich verstand nicht, wie einer
den ganzen Tag Autoreifen wechseln oder einen Speiseeiswagen durch die
Gegend schieben oder einem anderen, als Arzt oder Mörder, den Bauch
aufschlitzen konnte. Ich wollte mich nicht darauf einlassen und will es bis
heute nicht. Jeden Tag, um den ich dieses Leben und dieses System
bescheißen konnte, war für mich ein Sieg.
Um der Welt eins auszuwischen, wollten Sie Schriftsteller werden?
Kein großer, nur einer, der Geld dafür kriegt und davon lebt und kein Auto
braucht, keine Freundin; nicht jeden Tag zur Arbeit erscheinen müssen, nur
Schriftsteller sein, es rauspumpen, Tag für Tag, Tag und Nacht. Die Idee,
dass man ein Gedicht hinfetzen und etwas auf den Punkt bringen kann, hatte
was Verlockendes.
Eine ganze Weile, immerhin 35 Jahre lang, haben Sie es allerdings nicht
geschafft, dem "System", wie Sie es nennen, zu entkommen.
Die Welt bzw. ein Leben, das ich mir nicht immer aussuchen konnte, hat mich
geformt, aber nicht auf null gebracht - und ich habe geformt, was ich
konnte.
Was genau hat Sie "geformt"?
Ich habe auf meinen Schultern den blutigen halben Ochsen geschleppt, der
vor einer Minute noch lebte, ich bin damit durch den Schmant gewatet und
habe ihn an den stumpfen Haken an der Decke des Gefrierfleischtransporters
gehängt; ich habe die verdreckten Toiletten im Fleischmann Building
betreten mit einem nassen Mop in der Hand, als ihr schon wieder geschlafen
habt; ich habe Besoffene gefilzt und bin selber gefilzt worden; ich habe
vor einem Wettschalter der Pferderennbahn von Caliente gelegen, und ich
habe an einer Pissrinne gestanden und mit dem Totschläger eins auf den
Hinterkopf gekriegt, weil ich mich aus Versehen an eine Gangsterbraut
rangeschmissen hatte. Ich habe eine Frau mit einer Million Dollar
geheiratet, die einen steifen Hals hatte und überzeugt war, dass keiner sie
will; ich wollte ihr nur das Gegenteil bewiesen, und dann habe ich sie
wieder verlassen. Ich war Tankwart, habe in einer Hundekuchenfabrik im
Akkord gearbeitet, Weihnachtsbäume verkauft und Lastwagen gefahren, und ein
Bordell in Texas hat mich als Rausschmeißer angeheuert.
Dass Sie ein schriftstellerischer Autodidakt sind, weiß man ja. Was stört
Sie so an der Literatur von Akademikern?
Der alte Schwindel von einem Wissen, das gar nicht wirklich existiert und
deshalb mit dem Tarnanstrich einer hochgestochenen Terminologie daherkommen
muss. Eigentlich wurde da doch die meiste Zeit nur von Dingen geredet, die
überhaupt nichts zu tun hatten mit mir. Und Ego hin oder her - was war
schließlich wichtiger als ich? Die kranke Scheiße, die einem auf Schritt
und Tritt begegnete, die gezeichneten und verhunzten Gesichter, die fast
totale Sinnlosigkeit des Lebens - für diese Leute schien das kein Thema zu
sein. Das ärgerte mich, also fing ich selber an zu schreiben.
Anfangs haben Sie es schon probiert mit diesen Leuten. Was ist schief
gelaufen?
Am College hatte ich mal aus Verlegenheit einen Kurs in Creative Writing
belegt. Das waren Schwuchteln, Baby. Alberne, affektierte, lapprige
Wundertiere. Sie schrieben Gedichte über allerliebste Spinnen und Blumen
und Sterne und Familienpicknicks. Verglichen mit diesen Schlaffis waren die
Girls im Kurs die reinsten Bierkutscher, aber ihre Schreibe war genauso
mies. Der Dozent hockte im Schneidersitz auf einem gehäkelten Teppich, die
Augen glasig vor Dummheit und Apathie, und sie versammelten sich um ihn und
himmelten ihn an, die Weiber mit weiten wehenden langen Röcken und die
Jünglinge mit ihren verkniffenen kleinen Ärschen, die vom letzten Besuch in
der Sauna noch freudig nachzitterten. Sie lasen sich ihre Verse vor und
kicherten und nölten rum und tranken Tee und aßen Plätzchen dazu. Ja, lacht
ihr nur. Ich kam erst gar nicht dazu. Ich saß alleine an der Wand,
hohläugig und verkatert, und kämpfte mit dem Schlaf. "Bukowski", fragte
eines Tages der Dozent, "warum sagen Sie nie etwas? Was denken Sie?" "Alles
Stuss", sagte ich. "Seit Monaten höre ich hier nichts als Stuss." Und das
war das beste Gedicht des ganzen Semesters.
Warum haben Sie das Studium damals abgebrochen?
Ich weiß nicht, aber nach zwei Jahren College wollte ich nicht mehr. Ich
stieg aus und besorgte mir einen Job in einer Putzkolonne auf dem
Rangierbahnhof.
Im Rückblick, wie war diese Zeit für Sie?
Ich bin sicher, manche Professoren fanden mich zum Fürchten oder zogen es
jedenfalls vor, mich nicht in ihrem Unterricht zu haben. Ich hatte ein
schmales vernarbtes Gesicht und lümmelte herum, dräuend und verkatert. Ich
besorgte mir keins der vorgeschriebenen Bücher und weigerte mich, zu
lernen. Ich war unverschämt, cool und durch den Wind. Ich betrank mich und
kloppte mich jeden Abend. Meine Eltern bestritten meinen Unterhalt, weil
sie Schiss hatten. Ich war der ruppigste achtzehnjährige Drecksack auf
Erden. Im Unterricht sprang ich auf, schwang wirre Reden und widersprach
den Professoren in allem. Ich war unausstehlich und fand mich stark, aber
ich hatte Angst, mich um eine Position im Football-Team zu bewerben oder
eine zu fragen, ob sie mit mir ausgeht. Ich las nichts als Nietzsche und
Schopenhauer. Ich hatte Journalismus und Kunst belegt, und wenn wir einen
Text pro Woche schreiben sollten, gab ich sieben ab. Manche hielten mich
für ein Genie. Ich kam mir auch wie eins vor. Oder so wie ich dachte, dass
man sich als Genie vorkommt. Eines Tages, nach der Kunststunde, geriet ich
in eine Schlägerei mit dem 92 Kilo schweren Football-Verteidiger. Wir
balgten uns eine halbe Stunde auf dem Rasen. Leider ging niemand
dazwischen. Am Ende besiegte ich ihn. Zu meiner eigenen Überraschung. Eine
halbe Stunde hatte ich darauf gewartet, zu verlieren. Es passierte nicht.
Danach wurde ich populär. Damit konnte ich nicht umgehen, also gab ich mich
jetzt als wiedergeborener Nazi aus. Allerhand hasserfüllte Spinner liefen
mir nach. "Haut bloß ab", sagte ich und wurde der Eremit des Colleges.
Wie ging es weiter?
Ich wusste nicht, woher ich kam und wohin ich wollte. Ich fand mich nicht
mehr zurecht. Saß stundenlang in Hauseingängen, regte mich nicht, dachte an
nichts, bis man mich verscheuchte. Das soll nicht heißen, dass ich ein
Idiot war oder ein Narr. Es war nur so, dass mich nichts interessierte Ich
befand mich auf einem Weg, der so seltsam wie sinnlos war. Ich hatte keine
Ideen, keinen Plan. Ich schlief einfach so viel ich konnte und wartete ab.
Sie hatten offenbar kein gutes Verhältnis zu ihren Eltern.
Mein Vater hatte sich allerhand Sprüche gemerkt, die er ständig anbrachte.
"Wenn du nix zustande bringst, lutsch n leeres Ei aus!" "Mein Land, so oder
so!" "Früh in die Federn und früh wieder raus, macht dich gesund,
wohlhabend und schlau!" Meine Mutter schmunzelte, während er uns diese
Perlen hinstreute. Ich hielt den Mann für plemplem An dem Tag, als ich auf
ihn runterschaute in seinem Sarg, erwartete ich fast einen Spruch von ihm.
Als nichts kam, sagte ich etwas: "Tote haben nichts mehr zu erzählen!" Gott
sei Dank. Ich hatte genug gehört. Dann machten sie den Deckel drauf, und
ich ging mit meinem Onkel Jack Hamburger und Fritten essen. Wir saßen vor
unseren vollen Tellern, und Onkel Jack sagte: "Dein Vater war ein guter
Mann." "Jack", sagte ich, "gut für was?"
Gibt es eigentlich jemanden, den Sie bewundern?
Whitman wäre wahrscheinlich noch ein bisschen effizienter gewesen, wenn er
nicht so viel Zeit mit dem Abfummeln von jungen Matrosen vertan hätte. Aber
das ist nicht der Punkt Seit Whitman hat uns in der amerikanischen Dichtung
keiner mehr so die Augen geöffnet wie Allen Ginsberg. Dieser kleine
jüdisch-kommunistische Homo, wie ihn einmal ein rotznäsiger Kritiker
genannt hat, schreibt 99,8 Prozent von euch angeblichen Schwergewichtlern
jederzeit an die Wand.
Wie würden Sie sich selbst beurteilen?
Ich schätze, ich schreibe ganz passables Zeug, wenn auch nicht annähernd
gut genug. Ich werde langsam alt
Sie kommen gerade aus dem Krankenhaus.
Vierundsechzig Tage und Nächte in jenem Bau. Chemotherapie, Antibiotika,
Blut, das in mich reinläuft. Leukämie Ich sitze vor diesem Computer,
geschlaucht, nur halb am Leben, noch immer auf der Suche nach der Muse.
Nichts scheint, wie es mal war, und ich bin nur vorübergehend hier. Ich bin
nicht wiedergeboren. Ich jage dem Schicksal nur noch ein paar Tage ab, ein
paar Nächte
Haben Sie irgendwelche Vorkehrungen getroffen?
Eh ich schlafen gehe, staple ich die neuen Gedichte in der Mitte des
Schreibtischs, damit man sie findet, wenn mein Verwesungsgestank zu arg
wird Nicht dass mein Tod tragisch oder von Bedeutung sein wird (ich hab
dann alles hinter mir), aber die Gedichte werden meinen kleinkarierten
Kritikern beweisen, dass ich gut war bis zum Schluss. Oder gar noch besser.
INTERVIEW: FRANK SCHÄFER
Alle Bukowski-Zitate in diesem fiktiven Interview sind dem neuen Band
"Letzte Meldungen. Gedichte" entnommen. Die Versform wurde, wo es nötig
war, in Prosa aufgelöst
22 Jan 2008
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