# taz.de -- Durchbruch in der Gentechnik: Leben aus der Retorte | |
> US-Genforschern gelang es weltweit zum ersten Mal, das Erbgut eines | |
> Bakteriums künstlich herzustellen. Damit erzeugte Bakterien könnten | |
> giftige Abfälle entsorgen - oder als Biowaffen dienen. | |
Bild: Leben aus Bauteilen entstehen lassen. | |
WASHINGTON taz/dpa Erstmals ist es Forschern um den umstrittenen | |
US-Gentechniker Craig Venter gelungen das komplette Erbgut eines Bakteriums | |
im Labor nachzubauen. Als Vorlage nutzten sie das bereits sequenzierte | |
Genom des Bakteriums Mycoplasma genitalium. Das von Venters Forscherteam | |
aus künstlich hergestellten DNA-Abschnitten zusammengesetzte | |
Bakterienchromosom besteht aus rund 580.000 Bausteinen. Es ist damit das | |
bisher größte, synthetisch Stück für Stück nachgebaute DNA-Molekül. | |
Venters Retorten-DNA ist nicht das erste synthetisch nachgebaute Erbgut. | |
Bisher gelang dies jedoch nur bei Viren, deren Erbgut um ein Vielfaches | |
kleiner ist. So wurde bereits die DNA des Poliovirus und des Erregers der | |
"Spanischen Grippe" von 1918 nachgebaut. Craig Venters selbst gelang es | |
2003 das Erbgut des für Menschen ungefährlichen phiX-Virus zu | |
reproduzieren. | |
Für Venter ist die jetzt konstruierte Mycoplasma-DNA nur ein weiterer | |
Schritt für die Herstellung von synthetischen Lebewesen. Er möchte | |
künstliche, lebensfähige Bakterien mit gänzlich neuen Eigenschaften | |
herzustellen. Diese sollen biotechnologisch genutzt werden. Sie könnten | |
etwa zur Herstellung von Biokraftstoffen, zur Entsorgung giftiger Abfälle | |
oder zur Beseitigung des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid dienen. Aber auch | |
als gefährlicher Biowaffen eingesetzt werden. | |
Mit der von Venters Forscherteam angewandten Technik ließen sich | |
grundsätzlich auch andere größere DNA-Moleküle aus chemischen | |
Einzelbausteinen herstellen - oder auch solche aus einer Mischung | |
natürlicher und künstlicher Bausteine, berichtet das Wissenschaftler-Team | |
im Fachmagazin Science. Der ersten künstlich erschaffenen Bakterien-DNA | |
gaben sie den Namen M. genitalium JCVI-1.0. Er verweist sowohl auf das | |
Original als auch auf den Erschaffungsort. Mycoplasma genitalium besitzt | |
mit insgesamt nur 485 proteinbildenden Genen das kleinste Genom überhaupt. | |
Beim Nachbau gingen die Forscher in einer Art Kaskade vor. Sie ließen sich | |
zunächst von einem kommerziellen Anbieter Abschnitte des Erbguts aus | |
jeweils fünf- bis siebentausend Basenpaaren liefern. In dieser Größe sei | |
die Synthese von DNA aus Einzelbausteinen bereits Standard, schreiben die | |
Forscher. | |
Die Teilstücke fügten sie zu größeren Abschnitten zusammen, die dann wieder | |
zu noch größeren Fragmenten verbunden wurden - so lange, bis die | |
Wissenschaftler schließlich vier verschiedene Abschnitte besaßen, die | |
jeweils ein Viertel des Ursprungsgenoms umfassten. | |
Bis zu diesem Schritt erfolgte der Zusammenbau der Einzelbaustücke im | |
Reagenzglas, die jeweils resultierenden Fragmente vermehrten die Forscher | |
anschließend in Bakterien. Die Viertel-Genome schließlich verknüpften sie | |
in einer Hefezelle zum vollständigen Kunst-Genom. Anschließend bestimmten | |
die Wissenschaftler die Abfolge der Bausteine in ihrem Nachbau. Die Analyse | |
ergab eine exakte Übereinstimmung mit dem Original. | |
Als nächsten Schritt wollen die Forscher die künstliche DNA in eine | |
Bakterienhülle überführen und versuchen sie so zum Leben zu "erwecken". | |
Bisher hat Venter nur die DNA, sie kann sich aber nicht selbst | |
reproduzieren. Dazu müsste die DNA in ein Bakterium überführt werden, dem | |
zuvor die eigene DNA entfernt wurde. Im Zusammenspiel mit der synthetischen | |
DNA müsste dieses unvollständige Bakterium sich dann auch vermehren können. | |
Dieser Schritt steht noch aus. Ob das überhaupt gelingt, ist noch unklar. | |
"Venter behauptet zwar, er habe die weltweit längste DNA synthetisiert. | |
Doch die Länge allein ist nicht alles", sagte dazu Jim Thomas von der | |
ETC-Group. Die kanadische Organisation fordert schon seit längerem ein | |
Moratorium für die künstliche Herstellung von Lebewesen. Bevor ein solches | |
Projekt begonnen werde, müssten erst die sozialen, wirtschaftlichen und | |
ökologischen Folgen diskutiert werden, fordert die ETC-Group. "Die | |
Gesellschaft ist darauf nicht vorbereitet". | |
Hamilton Smith, der an den Venter-Arbeiten mitgewirkt hat, weist auch | |
darauf, dass zwischen synthetischen Lebewesen und gänzlich neu geschaffenen | |
- den artifiziellen - Lebewesen unterschieden werden müsse. Synthetisches | |
Leben ist nur nachgebaut - es ist nicht neu kreiert. In weiteren Versuchen | |
will das Venter-Team das Kunst-Genom nachträglich wieder um jeweils einige | |
Gene reduzieren, um herauszufinden, welche für das Überleben des Bakteriums | |
verzichtbar sind. Vorherige Versuche hatten gezeigt, dass etwa 100 Gene | |
scheinbar nicht zwingend notwendig sind, da das Bakterium sich weiter | |
vermehrte, wenn diese einzeln ausgeschaltet wurden. Ob und welche | |
Kombinationen dieser Gene gleichzeitig verzichtbar sind, ist aber bisher | |
auch noch unklar. | |
24 Jan 2008 | |
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