# taz.de -- 30 Jahre Tunix-Kongress: Macht Schluss mit Tunix! | |
> Ey, Leute, diese ganze Tunixnostalgie: Ist die eigentlich mehr als | |
> Selbstbeweihräucherung und ziemlich unpolitisch? Ein Spätgeborener fragt | |
> nach. | |
Ich hatte in den Neunzigerjahren meine Erfahrungen mit Sitzblockaden | |
gemacht. Ich war durch Chiapas gereist. Einkaufen in einer selbst | |
organisierten Food-Coop war eine Selbstverständlichkeit in unserer Groß-WG. | |
Und die für alle alternativ Bewegten obligatorischen Anders-leben-Seminare | |
in den Kommunen Niederkaufungen und Lutter hatte ich ebenfalls belegt. Und | |
trotzdem: Sosehr die Hinterlassenschaften dieser Veranstaltung mich und | |
viele meiner politischen Weggefährten in meiner Jugend- und Studentenzeit | |
geprägt haben - der Tunixkongress selbst war nie ein Thema. | |
Das hat keineswegs mit mangelndem Interesse an linker Geschichte zu tun. | |
Von den Massenprotesten gegen die Startbahn West war ich durchaus | |
fasziniert. Bei Erzählungen älterer Genossen von Brokdorf und Grohnde bekam | |
ich leuchtende Augen. Die Beschäftigung mit dem Deutschen Herbst war ein | |
Muss. Der "Aufstieg und Niedergang des SDS", Adornos Schriften und ein | |
Reader zum Vietnamkongress von 1968 stehen noch in meinem Regal. Einen | |
Reader vom Tunixkongress hatte ich mal vor Jahren in einem linken | |
Antiquariat tatsächlich in den Händen - ich habe ihn gleich wieder in die | |
Grabbelkiste zurückgelegt. | |
Ich hatte ein ambivalentes Verhältnis zum Tunixkongress, der angeblichen | |
Geburtsstunde der Alternativbewegung. Aufgewachsen in den Achtzigern in | |
einer westdeutschen Kleinstadt, war ich dort durch das alternative | |
Jugendzentrum überhaupt erst sensibel geworden für Themen wie Atomkraft, | |
Feminismus, Kollektivismus, Ernährung und Antifaschismus. Es war genau das | |
linke Gegenmilieu mit all seinen subkulturellen Komponenten, das mich | |
identitätsstiftend von meinen gameboybegeisterten Mitschülern abhob. Doch | |
bald merkte ich: Die abgeschottete Selbstbeschäftigung in großen Teilen | |
dieses Milieus ist auch das eigentliche Problem. | |
Wusste ich aus Erzählungen, dass der Ausstieg aus bürgerlichen | |
Verhältnissen und die Suche nach alternativen Arbeits- und Lebensmodellen | |
Ende der Siebziger noch von vielen betrieben wurde, war diese Szene | |
anderthalb Dekaden später auf überschaubare Größe geschrumpft. Gesundes | |
Bioessen galt zwar immer weniger als Hirngespinst von Müslizotteln. Aber | |
die Zahl derer, die bereit waren, den Kollektivgedanken auch im | |
Lebensalltag zu verinnerlichen, wurde kleiner. Der Aufbau einer "eigenen | |
schönen und politisch korrekten Welt" führte in eine unpolitische | |
Sackgasse. | |
Und so galt es im Zuge meiner weiteren politischen Entwicklung, mich von | |
den Ideen des Tunixkongresses zu emanzipieren - ein weitaus schwierigerer | |
Prozess, als sich mit ihnen anzufreunden. | |
25 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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