# taz.de -- Zwanziger Jahre - Krimi: Berlin vertraulich | |
> Aus der Zeit, als Kaiser-Doubles beim Pornofilm begehrt waren: Volker | |
> Kutscher schreibt einen Krimi über die wilden Zwanziger. | |
Bild: Mit Vorbildfunktion: Die Herren aus L.A. Confidential | |
Das nennt man wohl Pech: Da darf ein junger Kommissar endlich einen | |
Mordfall lösen - und steht, am Tatort angekommen, ausgerechnet vor der | |
Leiche des Mannes, den er selbst auf dem Gewissen hat. Es geschah zwar aus | |
Notwehr, aber peinlicherweise unter Kokaineinfluss. Die Idee, den Toten | |
einfach in einer Baugrube verschwinden zu lassen, war keine gute, wie sich | |
herausstellt. Auch sonst zeichnet sich Gideon Rath eher durch zu viel | |
Ehrgeiz denn durch Cleverness aus. Nach Dienstschluss durchstreift er ohne | |
Wissen seiner Vorgesetzten den "wilden Osten" der Reichshauptstadt, um | |
einen Mord aufzuklären, an dem seine Kollegen gescheitert sind. Im | |
Polizeipräsidium am Alexanderplatz, der "Roten Burg", hält man den "Neuen | |
aus der Provinz" aufgrund seiner Beziehungen zum Polizeipräsidenten für | |
einen Arschkriecher. Ein Grund mehr für Rath, es allen zeigen zu wollen. | |
Doch wäre nicht der Zufall auf Raths Seite, sein erster Fall bliebe | |
ungelöst. | |
Rath ist die Hauptfigur in Volker Kutschers Krimi "Der nasse Fisch", der im | |
April und Mai des Jahres 1929 spielt. Noch sind die goldenen Zwanziger also | |
nicht zu Ende, der Schampus fließt in Strömen, und "dieser" Hitler, dessen | |
Bild bei einem der Verdächtigen an der Wand hängt, ist für Rath vorerst nur | |
"ein komischer Kauz mit Charlie-Chaplin-Bart, der genauso humorlos | |
dreinblickte wie Wilhelm zwo". | |
Auch für seine neuen Kollegen sind die Braunhemden kaum ein Thema. Umso | |
mehr die Kommunisten, man erwartet einen Umsturzversuch. Als die Berliner | |
Polizei am berühmt-berüchtigten "Blutmai" gegen demonstrierende Arbeiter | |
vorgeht und über 30 Menschen sterben, gerät Rath versehentlich selbst in | |
die Schusslinie. Eigentlich ist er der Sitte zugeteilt. Eher fasziniert als | |
angewidert von der vibrierenden Atmosphäre des Berliner Nachtlebens, muss | |
er Razzien in Nachtklubs durchführen und die Studios der florierenden | |
Pornoindustrie ausheben. | |
Interessanter als die Jagd nach standhaften Bismarck- und Kaiser-Doubles | |
ist für Rath eine Leiche, die aus dem Landwehrkanal gefischt wird, Hände | |
und Füße zu Brei zerschlagen. Rath ermittelt auf eigene Faust. Und kommt | |
einer mysteriösen Verschwörung auf die Spur, bei der emigrierte russische | |
Adlige, kommunistische Sektierer, kriminelle Ringvereine, der "Stahlhelm", | |
Waffenschiebereien und eine tonnenschwere Ladung Gold eine Rolle spielen. | |
Keine Frage, die Weimarer Republik bietet den perfekten Hintergrund, um im | |
boomenden Subgenre des Historienkrimis neue Akzente zu setzen. Und der | |
Kölner Autor versteht sein Handwerk. "Der nasse Fisch" besticht durch | |
genaue Recherche und meist treffsichere Dialoge, und die knapp 500 Seiten | |
sind trotz gelegentlicher Längen spannend zu lesen, mag auch der Ausgang | |
etwas zu sehr an James Ellroys "L. A. Confidential" erinnern. Dennoch | |
wundert man sich, dass Kutschers Krimi bei Kiepenheuer & Witsch gleich als | |
Spitzentitel geführt wird. Ob man dem Autor damit wirklich einen Gefallen | |
getan hat? Bei so viel Vorschusslorbeeren erwartet man doch Aufregenderes | |
als "nur" einen soliden Krimi. | |
Anders als sein Held vermeidet Kutscher Risiken. Man merkt, das | |
Zeitgeschichtliche soll hier mehr als bloße Fassade sein, aber letztlich | |
bleibt es bei der guten Absicht. Gerade der Hauptfigur hätten ein paar | |
politisch unkorrekte, aber historisch übliche Ecken und Kanten gutgetan. | |
Während sein neuer Vorgesetzter mit dem Spitznamen "Parabellum-Wolter" als | |
Kriegsveteran der Dolchstoßlegende anhängt, ist Rath etwas zu sehr als | |
Sympathieträger konstruiert: Er ist unpolitisch, hört am liebsten die | |
Jazzplatten, die ihm sein in die USA ausgewanderter Bruder schickt, und ist | |
heilfroh, den Krieg nur noch in der Ausbildungskaserne erlebt zu haben. Da | |
ist es geradezu erfrischend, dass Rath Ressentiments zumindest gegen | |
Kommunisten hegt: "Kommunisten, das waren für ihn Auswüchse des | |
Lumpenproletariats, das es in allen größeren Städten gab. Wer in diesem | |
Milieu aufwuchs, hatte kaum eine Chance; er wurde entweder Verbrecher oder | |
Kommunist. Oder beides." | |
Vom grassierenden Antisemitismus ist fast nichts zu lesen, überhaupt kommen | |
jüdische Figuren kaum vor. Warum spielt der damalige Polizeipräsident | |
Zörgiebel eine wichtige Rolle, nicht aber der berühmte "Vipoprä" Bernhard | |
Weiß, von dem man nur nebenbei erfährt, dass er mit einer | |
Diffamierungskampagne zu kämpfen hat? Auch die Nazis treten auffallend | |
lange nicht in Erscheinung - um sich zum Schluss dann doch Aber das Ende | |
muss man nicht verraten. | |
26 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Oliver Pfohlmann | |
## TAGS | |
Volker Kutscher | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |