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# taz.de -- Das Geheimnis der Glückskekse: Größe tötet den Zwerg!
> Das Schicksal wohnt in Brooklyn. Dort verwaltet eine Datenbank die
> Lebensweisheiten, die wir in Glückskeksen suchen. Eine Reise ins Archiv
> menschlicher Sehnsüchte.
Bild: Generische Sinnsprüche in geschmacksfreier Gebäckhülle.
Raschelnd zieht der Glückskeks am Nebentisch die Blicke auf sich. Langsam
schält er sich aus seiner rotgoldenen Hülle, macht sich frei, dreht und
wendet sich, um sich schutzlos der Runde auszuliefern, die ihn interessiert
wie ein exotisches Objekt betrachtet. In freudiger Erwartung wird er
entzweigebrochen, schwer atmend pickt sein Peiniger den Zettel aus dem
Innern, als hätte er das große Los gezogen. Wer gefunden werden will, muss
sich verbergen. Seine und der Menschheit Sehnsüchte sind ihm ins Gesicht
geschrieben, die freudvolle Erwartung, und dann der Moment, den seine Stirn
runzeln lässt: Sie bekommen ein verlockendes Angebot, handeln Sie! Ein
Versprechen, das einem die Welt zu Füßen legt, wer würde da widerstehen
wollen?
Die knapp formulierten Weisheiten stecken in fast geschmacklosen und doch
süß schmeckenden Keksen, die ihr Dasein als Glückskeks oder Fortune Cookie
fristen. Keiner mag sie wirklich, und doch ist ihnen gegönnt, was anderen
fehlt: In kurzen Sätzen ordnen sie die Wünsche und Hoffnungen, die die
Menschheit plagen. Rund 135 Zeichen passen auf die 58 mal 15 Zentimeter.
Genügend Platz also, um komplexe Phänomene wie Liebe, Freundschaft,
Reichtum oder Gesundheit kurz und knapp zu erklären, formuliert in
Ratschlägen, Rätseln, Hinweisen und Prophezeiungen. It is much wiser to
take advice than to give it.
Der Augenblick, der die Welt der Tischnachbarn kurz stillstehen lässt,
verleitet zu einer Spurensuche nach der Faszination, die die Menschen seit
Urzeiten in Atem hält. Gewünscht wird mindestens ein vager Hinweis, wenn
nicht eher eine konkrete Weissagung, wo sich das Glück aufhält. Kommt Zeit,
kommt Rat. Schließlich, so viel ist bekannt, ist das Glück spärlich gesät
und zerrinnt schnell, zu schnell in mancher Hände. Nicht nur Glücksspieler
wissen ein Lied davon zu singen. Das rare Gut, das bisher weder
Wissenschaft noch Religion zu mehren wussten, will man wenigstens in kurzen
Momenten genießen.
Für diese Augenblicke wird einiges in Kauf genommen. Wer nicht wagt, der
nicht gewinnt. Ganze Vogelschwärme wurden für Prognosen ausgenommen, der
Kaffeesatz etlicher Plantagen wurde minutiös untersucht, Blinde wurden
befragt und Sehende besucht. Die Vorhersage schlägt die Brücke zwischen
Hoffnung und Glück, wobei das eine des andern Grundlage ist. Die
Philosophie beschreibt das Prinzip Hoffnung als Antrieb, die Religion als
Tugend. Dem Glückskeks bedeuten solche Spitzfindigkeiten wenig, er begnügt
sich damit, den Menschen ein aufregendes Spiel mit der Hoffnung zu bieten.
Jeder ist seines Glückes eigenen Schmied. Die Hoffnung, der Zukunft mit
einem Glückskeks einen Schritt voraus zu sein.
Die Kekse selbst sind unspektakulär. Der Teig besteht aus Mehl, Zucker,
Wasser, Lecithin und Sojaöl. Entsprechend gelten sie ganze neun Monate lang
als frisch. Das Angebot beschränkt sich auf drei verschiedene
Geschmacksrichtungen: Zitrone, Schokolade und Vanille. Da sie fast
ausschließlich in asiatischen, vorwiegend chinesischen Geschäften und
Restaurants zu finden sind, lassen die Glückskekse auf eine jahrtausendalte
Tradition mit überlieferten Weisheiten aus dem alten China schließen.
Legenden und Geschichten über die Ursprünge gibt es denn auch zahlreiche.
Gut, dass Sie für unterschiedliche Wege offenbleiben. Ein taoistischer
Priester etwa soll im 14. Jahrhundert verbotene Botschaften in Mondkuchen
an den mongolischen Besatzern vorbeigeschmuggelt haben. Eine andere Legende
erzählt die rührselige Liebesgeschichte einer Prinzessin, die ihren
Liebsten nicht heiraten durfte und mit Hilfe der Kekse listig ihre Flucht
organisierte. Sie werden von allen für Ihre Ideen bewundert.
Tatsächlich aber geht die Tradition der Glückskekse auf die Idee eines
findigen chinesischen oder japanischen Emigranten in den USA Anfang des
letzten Jahrhunderts zurück. Eine selbst ernannte historische Kommission
behauptet zwar, der Japaner Makato Hagiwara sei der Erfinder, doch
verlässliche Quellenbelege existieren bislang nicht. Besser von vielem
nichts wissen, als alles besser zu wissen. Hagiwara soll um 1900 in San
Francisco den ersten Glückskeks präsentiert haben. Der emigrierte
Landschaftsgärtner konzipierte Ende des 19. Jahrhunderts den "Japanese Tea
Garden" in San Francisco und sah sich berufen, den Besuchern des Gartens
die japanische Kultur näherzubringen. Inspiriert von japanischen
Reiscrackern (Senbei), entwickelte Hagiwara den Glückskeks und verhalf ihm
zu seiner Geburtsstunde. Wer Gutes tut, schläft gut. Sein Mitstreiter David
Jung war Gründer der Hongkong Noodle Company in Los Angeles, und
beanspruchte denselben Titel für sich. A modest person doesnt talk about
oneself. Der eingewanderte Chinese wollte den Armen und Arbeitslosen, die
täglich am Fenster seines Shops zur nahen Wohlfahrtsstelle vorbeizogen, Mut
mit auf den Weg geben.
Heute stammen die meisten Glückskekse aus rund hundert Fabriken in den USA,
die hauptsächlich Westeuropa, Kanada und Zentralamerika beliefern. Die
größte Fabrik produziert in Brooklyn täglich viereinhalb Millionen Kekse.
In den 1990er Jahren scheiterte ein Versuch, die Glückskekse nach China zu
importieren. Einmal kann keinmal sein, und einmal kann genug sein. Vom
Erfolg der Kekse profitieren mittlerweile keineswegs nur die Amerikaner.
Bis in den Kraichgau hat sich das lukrative Geschäft mit den Glückskeksen
herumgesprochen. Dort produziert ein Familienbetrieb deutschlandweit am
meisten Kekse: jährlich über dreißig Millionen. Sie werden ein
unbeschwertes, langes Leben haben. Hauptabnehmer sind chinesische
Restaurants, Einzelhandel und Werbeagenturen. Letztere ködert das
Unternehmen mit dem Versprechen "maximaler Erinnerung": "Die positive
Assoziation des Glückskekses stärkt Ihr Marken-, Produkt- und Werbeimage.
Ihre Botschaft bleibt länger als gewöhnlich im Gedächtnis." Kein Wunder,
geschmacklich transportieren die Kekse ihre Botschaften kaum. Konzentrieren
Sie sich auf das Wesentliche.
Am Nebentisch leistet man dieser Forderung Gehorsam. Noch hat sich die
Aufregung keineswegs gelegt, die Tischnachbarn diskutieren eifrig die
Bilanz der heutigen Ausbeute. Einige sind so offen formuliert, dass die
andern davon träumen. Andere so präzise formuliert, dass sie die
Überraschung missen. Die meisten Botschaften scheint ein Allwissender
geschrieben zu haben. Der Glaube kann Berge versetzen. Obwohl man von der
großen Fabrik in Brooklyn weiß, stellt man sich gern einen ergrauten
Chinesen mit langem Spitzbart und in spartanischem Gewand vor, der in einem
konfuzianischen Steintempel Weisheiten einer höheren Gottheit empfängt.
Seine drei Assistenten lassen sich die Botschaften diktieren und faxen sie,
nach tagelangem Marsch durch die vernebelten Berge mit den grünen
Bambushainen, in die Stadt, wo sie in Handarbeit auf die Papierchen
gedruckt werden, die wir im Chinarestaurant aufgeregt auspacken.
Das Streben des Menschen nach Glück und Hoffnung ist letztlich die
Grundlage für die Erfolgsgeschichte der Glückskekse. Du wirst durch
Erfahrung profitieren. Die Geschichte der Glückskekse rückt damit in ein
anderes Licht und scheint ein gutes Beispiel für die
(Selbst-)Verwirklichung eines Einwanderers. Wer immer im Gestern und Morgen
lebt, verschläft das Heute. Dieser Hintergrund erstaunt kaum, passt er doch
perfekt zur amerikanischen Idee des pursuit of happiness.
Die Botschaften, die durch die Verbreitung der Glückskekse im Umlauf sind,
spiegeln nicht nur die amerikanische Psyche der letzten hundert Jahre
wider. Genauso kommentieren sie die ökonomische und kulturelle Erfolgsstory
der Glückskeksproduktion respektive eines klugen Geschäftsmannes. Es wäre
wohl ein leichtes, seine Biografie mit den Sätzen der Glückskekse zu
schreiben. Im amerikanischen Sprachraum ist denn auch ein "Fortune Cookie",
was hierzulande der Glückspilz ist: jemand, dem viel Glück beschieden ist.
Der Film "The Fortune Cookie" von Billy Wilder (1966) erzählt die
Geschichte eines solchen Glückspilzes. Und, wen wunderts, zum Release von
Wilders Film brachte die Produktionsfirma Glückskekse mit der Botschaft
Therell be a great movie in your future als Werbekampagne in Umlauf.
Die Hoffnung auf die große Rolle als Glückspilz besteht auch am Nebentisch
weiter: Das dortige Massaker setzt sich fort. Ermutigt durch die
Prophezeiungen der ersten Runde, bestellen die Nachbarn eine zweite,
spekulieren auf weitere Chancen. Dieses Mal lächelt einer zufrieden: You
are the master of every situation! bestätigt seinen lang gehegten Wunsch
ebenso wie seinen Glauben an eine zentrale Schaltstelle, die schützend über
sein Leben wacht und ihrem Schützling sporadisch bestätigende Signale
sendet.
Dem Glückskeks entfährt ein Schmunzeln - Gott sitzt in Brooklyn! Dort
sorgen ein emeritierter Professor und sein Team für den anscheinend
unerschöpflichen Fluss der Weisheiten, stellen die Sätze in einer Datenbank
zusammen und lassen sie von der Geschäftsleitung absegnen. Wissen ist
Macht. Über die Auswahlkriterien wie auch die Zusammensetzung der Jury ist
wenig bekannt, einzig Anweisungen an die Mitglieder wie "Dont have too
complicated a mind" oder "Think in ten-word sentences" geben einen Eindruck
von der Arbeitsweise der Jury wider. Auf diese Weise geraten kryptische
Sätze wie You will never lose your raincoat again in Umlauf.
Anders als bei ihrer Konkurrenz, etwa den italienischen Baci aus Peruggia
oder den düsteren Vorhersagen selbst ernannter Propheten, greift bei den
Glückskeksen die Kritik, es handle sich um leere Versprechungen, zu kurz.
Der Reiz der trockenen Kekse liegt gerade in den bedauernswert seltenen
Leerformeln. Dieses rare Sortiment an Perlen wie Sieh nichts Böses, denk
nichts Böses, und du wirst keinen Ärger haben lassen schmunzeln und
erfreuen den der Logik müden Geist. Die frühen Glückskekse beinhalteten in
erster Linie Sätze aus der Bibel, Zitate von Konfuzius, antiken Größen oder
amerikanischer Prominenten. Die Sätze repräsentieren entsprechend
Alltagsweisheiten, Aberglauben, Tugenden, Weisheiten und Ratschläge - die
sich auch nicht zwingend auf einen bestimmten Kulturkreis beziehen. Your
life will be easy and long. Seit den 1950er-Jahren finden Contests zur
Auswahl neuer Botschaften statt, um zeitgemäßere Formulierungen zu finden
und den Sätzen eine fröhlichere Note zu geben. Größe tötet den Zwerg.
In Krümeln liegen die Glückskekse auf dem Nebentisch. Die Tischrunde hat
sich aufgelöst, die verheißungsvollen Sätze mitgenommen und einzig die
blassen Resten dagelassen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
1 Feb 2008
## AUTOREN
Gina Bucher
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