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# taz.de -- Filmfestival Rotterdam: Chinesen mit Perücken
> Das Rotterdamer Filmfestival präsentierte chinesische Regisseure, die von
> der Kulturrevolution kalt erwischt wurden. Danach drehten sie Filme, ohne
> eindeutige Moral.
Bild: Ein Film im Film, dessen Ende offen ist: Szene aus "The Alley" von Yang Y…
Man rauft sich die Haare und ringt mit den Händen. Durch die freie Natur
bewegt man sich ausschließlich hopsend, und wenn sich zwei umarmen, rennen
sie oft vorher sekundenlang auf einander zu. Auf den ersten Blick knüpfen
die Filme der vierten Generation chinesischer Filmemacher an eine
theatralische, revolutionäre Ästhetik an, wie man sie mit alten russischen
Filmen verbindet. Trotzdem handelt es sich bei diesen um Hybride aus einer
aufregenden Zeit, die mehr verhandeln, als es auf den ersten Blick scheint.
Das Filmfest in Rotterdam ist ein Eldorado für alle, die sich fürs
asiatische Kino interessieren, das hier auch in diesem Jahr gefeiert wurde,
während man sich mit einem Interimsdirektor gleichzeitig auf der Suche nach
einem neuen Image zu befinden scheint. Wie in den Jahren zuvor waren neue,
kleine und oft wunderbare Filme aus China, Japan und Korea zu finden, aus
Indonesien und den Philippinen. Tiger Awards bekamen unter anderem der
thailändische Regisseur Aditya Assarat für seinen traumwandlerisch-schönen
Film "Wonderful Town", der von der subkutanen sozialen Verrohung nach dem
Tsunami erzählt und demnächst im Forum der Berlinale zu sehen sein wird -
und der malaysische Regisseur Liew Seng Tat für "Flower In The Pocket" über
die hart arbeitende chinesische Gemeinde in Malaysia. Der Höhepunkt in
punkto Engagement für den asiatischen Film bildete in diesem Jahr in
Rotterdam aber eine Retrospektive von Filmen der vierten Generation
chinesischer Filmemacher, die in China berühmt, aber im Westen bislang
unbekannt sind.
Diese Filmemacher schlossen ihr Filmstudium an der Pekinger Filmakademie
bereits in den Sechzigern ab, dann aber wurden ihre Karrieren wie die aller
Kulturschaffenden Chinas durch die Kulturrevolution brutal unterbrochen.
Ihre ersten Filme, die sie so oft erst mit Ende Dreißig machen konnten,
fallen in eine Umbruchszeit. Nach der Kulturrevolution Ende der siebziger
Jahre galt es nicht nur, ein kollektives Trauma zu bewältigen, es herrschte
auch Aufbruchstimmung. Vieles schien möglich, was vorher nie und nach der
Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 kaum mehr erlaubt war. Es galt,
die Suche nach neuen Werten wie Humanismus und Zivilcourage aufzunehmen und
den Durst des Publikums nach Unterhaltung zu stillen. Gleichzeitig löste
das neu erwachende Interesse für westliche Kultur ungeahnte
Experimentierfreude aus.
So kommt es, dass die zwölf Filme, die der amerikanische Filmkritiker
Shelly Kraicer für die Rotterdamer Retrospektive ausgesucht hat, vier
Charakteristika gemeinsam haben: Sie erinnern an die strahlend
sozialistischen Helden in einer vollkommen neuen Welt ihrer Vorgängerfilme,
sie gehen aber auch mit kommerziell erfolgreichen Liebesgeschichten ans
Herz. Sie sind anklagende Wunden-, Narben- und Bewältigungsfilme. Die
Filmemacher der vierten Generation hatten aber auch die Filme Tarkowskis
und Godards gesehen und experimentierten mit langen Einstellungen oder
rabiaten Schnitten, Spiegelungen und Brechungen. Einfaches Einfühlen wird
zugunsten der Erkenntnis vereitelt, dass es stets viele Perspektiven gibt.
Keine dieser Geschichten hat eine eindeutige Moral - mit dieser Einsicht
waren die Filmemacher der vierten Generation sogar manchmal den
Filmemachern der fünften Generation voraus. Sie wurden 1984 mit Chen Kaiges
erstem Film "Gelbe Erde" weltbekannt und werden, wie diese Retrospektive
zeigt, im Westen zu unrecht als die Ersten angesehen, die sich vom
Sozialistischen Realismus abwandten. Während sich Chen Kaige oder auch
Zhang Yimou in ihren frühen Filmen oft eindeutig mit einem weiblichen
"Opfer" patriarchalischer Strukturen in armen ländlichen Regionen
identifizierten, präsentiert "In The Wild Mountains" von Yan Xueshu eine
selbstbewusste Bäuerin, die sich einfach nimmt, was sie will: Zuerst einen
anderen Mann, dann mehr Wohlstand. Ihr Handeln scheint anstößig, dennoch
ist sie Sympathieträgerin. Im Dorf dieser Bäuerin gibt es keine einfachen
Guten und Bösen, Unterdrücker und Unterdrückte.
Eines der erstaunlichsten Beispiele für das inspirierende Oszillieren
dieser Filme der vierten Generation, die formal wie inhaltlich mit vielen
Wirklichkeiten laborieren und darum eine echte Entdeckung sind, ist "The
Alley" von Yang Yanjin aus dem Jahr 1981. Der Film, der die Produktion
eines anderen Films zum Thema hat, beginnt mit dem Besuch eines Halbblinden
bei einem Regisseur nach der Kulturrevolution. Mit der Bitte, daraus ein
Drehbuch zu machen, erzählt der Halbblinde dem Regisseur von der Romanze
während der Kulturrevolution zwischen ihm und einem jungen Mädchen, das
sich als Junge verkleidet. Ihre Haare wurden von den Roten Garden
abgeschnitten, die sie wegen ihrer "bourgeoisen" Mutter quälen und
demütigen. Der junge Mann will ihr anderntags eine Perücke stehlen, er wird
aber von den Roten Garden gefasst. Zur Strafe treten sie ihm buchstäblich
die Augen aus. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist das Mädchen
weggezogen.
Anstatt es nun aber bei dieser Liebesgeschichte zu belassen, die etwa so
backfischig geschauspielert ist wie eine Liebesgeschichte in einem
"revolutionären" Film, anstatt sich auch mit der überraschenden Wandlung
des Films in eine schonungslose Enthüllungsgeschichte zufrieden zu geben,
denken sich der ehemalige Fahrer und der Regisseur nun drei alternative
Filmenden aus. In der ersten Version trifft sich das Paar zufällig wieder,
der Mann ist geschockt, wie zynisch die junge Frau geworden ist. In den
anderen Versionen finden die beiden wieder zueinander. Ein Wechselbad der
Gefühle, das einzusehen zwingt: Keines dieser Enden ist realistisch. Die
beiden werden jeder für sich mit den Verletzungen fertigwerden müssen. Am
Wahrscheinlichsten ist das, was für konventionellen Filmstoff kaum taugt.
4 Feb 2008
## AUTOREN
Susanne Messmer
Susanne Messmer
## TAGS
Matt Damon
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