# taz.de -- Aufregende 60er Jahre: Die Guten werden die Bösen sein | |
> So filmästhetisch aufregend waren die 60er-Jahre: Die Berlinale widmet | |
> ihre diesjährige Hommage Francesco Rosi. Seine Filme zeigen, wie anonyme | |
> Männergestalten sich zu Gangs formieren. | |
Bild: Zwischen Freiheitsheld und Verbrecher: "Salvatore Giuliano" | |
Das erste Etikett, mit dem Francesco Rosi meist bedacht wird, ist das vom | |
"politischen Kino". Vermeintlich ist das eine Einordnung ins Unbequeme, im | |
Fall von Rosi aber erscheint sie allzu bequem. Wer die Filme des | |
italienischen Altmeisters heute sieht, wird überrascht und auch ein wenig | |
befremdet sein - von ihnen geht eine Zwiespältigkeit aus, die sich mit dem | |
Stichwort des "Politischen" nicht ganz wegerklären lässt. | |
Das gilt vor allem im Rahmen der Berlinale: Mit jener Art von Politkitsch | |
mit guten Absichten, der hier oft gezeigt wird, haben Rosis Werke nichts | |
gemein. Das fängt damit an, dass Rosi dem Zuschauer selten die Sicherheit | |
gibt, durch Identifikation mit dem Helden auf der richtigen Seite zu | |
stehen. In seinen Filmen lassen sich die Guten von den Bösen oft kaum | |
unterscheiden. In "Salvatore Giuliano" (1961/62) etwa zeigt Rosi die | |
Geschichte eines legendären Banditen, der einerseits ein Freiheitsheld ist | |
und andererseits ein ganz normaler Verbrecher, und schildert sie als | |
fortdauernden Bandenkrieg von Polizei und Mafia in den Bergdörfern | |
Siziliens. | |
Was damals als dokumentarischer Stil gepriesen wurde, erscheint heute eher | |
als Unübersichtlichkeit. Der Titelheld ist über weite Strecken schlicht | |
abwesend, und die Frage, die der deutsche Verleihtitel "Wer erschoss | |
Salvatore G?" so plakativ stellt, wird alles andere als "befriedigend" | |
beantwortet. Auf der Berlinale von 1962 erhielt Rosi dafür den Silbernen | |
Bären für die beste Regie, woran sich auf seine Weise ablesen lässt, welch | |
filmästhetisch aufregende Zeit die 60er waren. | |
Rosi, 1922 in Neapel geboren, kam als Regieassistent von Luchino Visconti | |
und anderen italienischen Regiegrößen zum Kino. Vom neorealistischen Erbe | |
hat er die Vorliebe für Originalschauplätze und den Einsatz von Laien neben | |
Profis übernommen. Wie um sich davon abzusetzen, betont er jedoch auch | |
immer wieder, dass er von amerikanischen Filmen inspiriert gewesen sei, vom | |
Kino Elia Kazans und Jules Dassins. | |
Das vorwärtsdrängende Tempo seiner frühen Werke, der Blick für die | |
Männergesten der Selbstbehauptung, für anonyme Gestalten, die sich zur Gang | |
oder zum Mob formieren, belegt dies, während man gleichzeitig darüber | |
staunen kann, wie sehr ihm die Bewunderung für den Glamour des Bösen, für | |
die Exzesse des Unterwelt abgeht. Rosis Filme über die Mafia sind stets | |
Filme über Mafiastrukturen; das Konkurrieren um Aufmerksamkeit durch | |
Gewaltszenen ist ihnen fremd. Gewalt kommt vor, direkt und brutal, aber nie | |
mit Spekulation auf ihren Schauwert. | |
Sein zweiter Spielfilm, "I Magliari" (1959), trägt den schönen deutschen | |
Titel "Auf St. Pauli ist der Teufel los" und spielt unter Gastarbeitern in | |
Hamburg. Deutschland ist hier ein unwirtliches Land ohne Sonne, in dem der | |
junge Arbeiter Mario den Mut verliert. In einem Restaurant setzt er sich zu | |
unbekannten Landsleuten und wird vom freundlichsten von ihnen prompt übers | |
Ohr gehauen. Danach nimmt ihn dieser Totonno (Alberto Sordi) unter die | |
Fittiche und will ihn das Geschäft des Trickbetrugs lehren; Mario aber | |
erweist sich als unbegabt. In den Bandenkrieg, den die Italiener mit Polen | |
um ihr Terrain austragen, wird er trotzdem verwickelt. Der Film ist keine | |
sentimentale Gastarbeitersaga, er handelt vom Druck der Umstände, von dem | |
keine Moral und kein "innerer Anstand" befreien können. | |
Die meisten dieser Filme aus Francesco Rosis "politischer" Phase haben | |
Ermittlungscharakter: In "Mani sulla cittá" (1963), für den er den Goldenen | |
Löwen in Venedig gewann, untersucht er die Verflechtung von Politik und | |
Mafia in seiner Heimatstadt Neapel. In "Lucky Luciano" (1973) stellt er den | |
wahren Fall des in den USA verurteilten Mafioso Salvatore Luciano nach, der | |
1946 begnadigt und nach Italien abgeschoben wurde. Der erste Schauplatz der | |
Handlung ist das Quai, von dem sein Schiff ablegen soll. Dort kommt es zur | |
Ansammlung verschiedenster Gruppen: Schaulustige, Gewerkschafter, alte | |
Freunde, die in schwarzen Limousinen anreisen - es dauert lange, bis man | |
Lucky in Großaufnahme sieht. Aber selbst dann handelt der Film weniger von | |
seinem "Schicksal" als vielmehr von den Macht- und Ohnmachtsformationen, | |
die sich um seine Figur herum bilden. | |
In den Achtzigerjahren, heißt es, sei Rosi konventioneller geworden. Man | |
könnte aber auch sagen, dass sich sein Kino in dieser Zeit weiter vom | |
Zeitgeschmack entfernte. "Christus kam nur bis Eboli" von 1979 zum Beispiel | |
erscheint mit seinen langen Szenen, in denen Männer über Politik und das | |
Leben der Bauern räsonieren, ungeheuer altmodisch. Und doch beeindruckt | |
auch hier die Distanz, die Rosi zu seinem Helden einnimmt. Gian Maria | |
Volonté, der Akteur, mit dem er insgesamt fünf Filme machte, eignete sich | |
wie kein anderer für seine Vorliebe vom entpersönlichten Helden: Er ist | |
keiner, der zu Mitgefühl einlädt, eher schaut man ihm auf die Finger oder | |
auch auf die schlechten Zähne. Auf jeden Fall unterstellt man ihm | |
Absichten. Und auf die kam es Rosi an: "In der Ökonomie der Erzählung hat | |
das Persönliche keine wirkliche Bedeutung", hat er einmal gesagt. | |
Seinen letzten Spielfilm hat Rosi vor zehn Jahren gedreht, "Die Atempause" | |
nach Primo Levis Erzählung über seine Odyssee durch Osteuropa nach der | |
Befreiung aus dem Konzentrationslager Auschwitz. Es ist einer der wenigen | |
Filme Rosis, in denen der Held fast die ganze Zeit im Bild ist. Und | |
trotzdem ist auch er zunächst ein Abwesender, ein sprichwörtlicher Schatten | |
seiner selbst. Gegen die Erwartung lässt Rosi den Icherzähler erst spät und | |
zögerlich aus dem Off sprechen. Am Anfang gibt es nur ein kurzes "Wir": | |
"Wir fühlten uns für die Freiheit zu schwach und ausgemergelt." Über die | |
abgemagerte Gestalt von John Turturro macht Rosi begreifbar, wovon Levis | |
Bericht handelt: vom prekären Wiederfinden der eigenen Stimme und einer | |
persönlichen Identität. | |
12 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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