Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Integration: Auf Augenhöhe
> Der Besuch des türkischen Premiers hat zu Recht eine Debatte ausgelöst.
> Seine Kritik der "Assimilation" wirft die Frage auf: Welche Integration
> will Deutschland?
Er kam, sah und polarisierte. Mit seinem Besuch in Deutschland hat der
türkische Premier die politische Szene aufgewühlt. Nach seiner
versöhnlichen Rede in Ludwigshafen verschreckte er mit dem forschen
Vorschlag, türkischsprachige Bildungseinrichtungen zu gründen und türkische
Lehrer nach Deutschland zu entsenden, nicht nur Angela Merkel. Und mit
seinen markigen Worten vor 18 000 Fans in der Köln-Arena, "Assimilation sei
ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", hat er eine neue
Integrationsdebatte ausgelöst.
Sein Auftritt in Köln war eine eindrucksvolle Machtbekundung. Kein
deutscher Politiker - keine Angela Merkel und kein Cem Özdemir, schon gar
keine Maria Böhmer - schaffen es, so viele Deutschtürken zu einer
politischen Großveranstaltung zusammen zu bringen. Daher war es vernünftig
von Merkel, sich am Freitag gemeinsam mit dem türkischen Premier im
Kanzleramt den Fragen von deutsch-türkischen Jugendlichen zu stellen. Will
sie diese Zielgruppe erreichen, kann der Gast aus Ankara dabei nur
hilfreich sein.
Angela Merkel hat mit dem türkischen Premier eine Menge gemein. Unter
Merkel hat sich die Union von ihrer Lebenslüge verabschiedet, Deutschland
sei "kein Einwanderungsland"; sie hat der Union das völkische Denken
weitgehend ausgetrieben und sich für eine aktive Integrationspolitik
entschieden. Erdogan wiederum hat die islamische Protestbewegung seines
ehemaligen Mentors Necmettin Erbakan in der Türkei in eine religiös
grundierte Volkspartei überführt und mit Demokratie, Rechtsstaat und Europa
versöhnt; als Vorbild dienten ihm dabei die Christlichen Demokraten in
Europa. Beide sind also konservative Modernisierer. Doch wenn es um die
türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland geht, sind Merkel und Erdogan
Konkurrenten.
Die Deutschtürken können froh sein, dass um sie gebuhlt wird. Bislang
wurden sie von beiden Seiten ja eher ignoriert. Für die Türkei waren sie
lange so etwas wie arme Verwandte in der Fremde, für die man sich schämte.
Und alle deutschen Regierungen, von Helmut Schmidt bis Helmut Kohl, hatten
gehofft, dass die Einwanderer aus der Türkei eines Tages ihre Koffer packen
und gehen würden. Neonazis verliehen diesem Wunsch in den Neunzigerjahren
mit ihren mörderischen Taten Nachdruck. Es waren die wenigen Realpolitiker
wie Heiner Geißler, Rita Süßmuth und Barbara John, die als erste in der
Union von der Realität einer "multikulturellen Gesellschaft" sprachen, der
man sich zu stellen habe. Die Mehrheit ihrer Partei aber hat in dieser
Frage schlicht jahrzehntelang geschlafen, wie selbstkritische
Christdemokraten heute freimütig einräumen.
Die Versäumnisse der Vergangenheit lassen sich aber nicht einfach
ungeschehen machen. Und so ist das einzig Erstaunliche an den immer neuen
Debatten um die Integration das Erstaunen so vieler Deutscher darüber, dass
die Dinge jetzt so sind, wie sie sind. Dass sich viele türkischstämmige
Migranten, selbst wenn sie in dritter Generation in Deutschland leben,
stärker der Türkei als zu Deutschland zugehörig fühlen. Dass sie sich ihre
Meinung über türkische Zeitungen oder Satelliten-Sender aus Istanbul
bilden. Und dass sie sich von einem Politiker aus der Türkei besser
vertreten fühlen als von deutschen Integrationsbeauftragten oder
notorischen "Islam-Kritikern".
Rund 1,75 Millionen Einwanderer in Deutschland besitzen die türkische
Staatsbürgerschaft; nur etwa 500 000 Türken haben sich in den letzten
Jahren einbürgern lassen. Kein andereseuropäisches Land hat innerhalb
seiner Grenzen so viele "Ausländer" produziert. Doch es ist, als litten die
Deutschen an einer kollektiven Amnesie. Viele halten die Migranten gar für
undankbar, weil sie sich nicht in Scharen einbürgern ließen, nachdem man
1998 nach langem Ringen endlich das Staatsbürgerschaftsgesetz änderte. Aber
war das wirklich zu erwarten?
Wenn Angela Merkel heute behauptet, sie sei die Bundeskanzlerin der
türkischstämmigen Einwanderer, dann ist das zumindest gewagt. Denn noch
immer ist die deutsche Integrationspolitik widersprüchlich. Unter Rot-Grün
wurde das Staatsbürgerschaftsrecht nach zähen Verhandlungen halbherzig
geändert: Immerhin erhalten hier geborene Einwanderkinder heute einen
deutschen Pass. Doch indem sie die Einbürgerung wieder erschwert,
Kopftuch-Verbote für Lehrerinnen erlassen und den Ehegattennachzug mit
Schikanen belegt hat, zeigt die deutsche Politik, dass sie Einwanderer nach
wie vor als Bürger zweiter Klasse betrachtet.
Erdogans harsche Kritik der "Assimilation" mag der deutschen Realität
insgesamt nicht gerecht werden. Doch sie wirft zu Recht die Frage auf:
Welches Integrationskonzept hat man denn in Deutschland? Die CDU
verabschiedet sich zögerlich von der Haltung, die Einwanderer seien ein
Problem, dass sich bei Bedarf abschieben lasse - Roland Koch hat ja erst
kürzlich die Abschiebung für straffällige "ausländische" Jugendliche
gefordert. Und die Union redet von "Leitkultur" und meint damit, dass sich
die Einwanderer halt "irgendwie anpassen" müssten.
Dieser deutsche Paternalismus gerät jetzt in Konflikt mit dem türkischen
Paternalismus. Erdogans Vorstoß für türkischsprachige Schulen und
Universitäten in Deutschland mag bildungspolitisch fragwürdig sein. Doch
die pikierten Reaktionen zeigen vor allem, dass er damit einen wunden Punkt
trifft: dass das deutsche Bildungssystem massenweise Verlierer produziert.
Ob es in Deutschland für rein türkische Schulen überhaupt eine Nachfrage
gäbe, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Denn die meisten Eltern
dürften ihre Kinder wohl weiter auf deutsche, staatliche Schulen schicken
als auf türkische Privatschulen - schon allein aus finanziellen Gründen.
Und dass Deutsch lernen Vorrang haben sollte, sagt sogar Erdogan selbst.
Es gäbe "Gesprächsbedarf", ermahnt Kanzlerin Merkel nun den türkischen
Premier wie eine Schuldirektorin einen aufsässigen Schüler. Diese Haltung
allerdings übersieht, dass es höchste Zeit ist, den Dialog über Integration
auf Augenhöhe zu führen - und zwar mit den Einwanderern selbst. Ob sich die
Mehrheit von ihnen eher für eine Assimilation oder für die "Wahrung ihrer
kulturellen Identität" entscheidet, was immer das ist - das müssen sie
selbst wissen. Eine liberale Demokratie muss diesen kulturellen Pluralismus
aushalten. Es ist jedenfalls naiv, sich zu beklagen, dass sich die
Deutschtürken an der Türkei orientieren, wenn man von Integration redet,
aber einen Kotau will. Wer möchte, dass Einwanderer und ihre Kinder in
Deutschland heimisch werden, muss ihre Einbürgerung in jedem Fall
erleichtern - und nicht erschweren, wie es diese Regierung getan hat.
Und, was Erdogan angeht: Assimilation sei ein "Verbrechen gegen die
Menschlichkeit", hat er in Köln getönt. Seine Worte müssen jedem Kurden in
den Ohren klingeln, der in der Türkei für sein Recht auf die eigene Sprache
eintritt. Daran kann man den türkischen Premier ruhig erinnern.
12 Feb 2008
## AUTOREN
Daniel Bax
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.