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# taz.de -- Deutsche Filmgeschichte: Grandioser Spleen
> Münchener Aktivismus, Männerblicke als Leitmotiv: Mit "Gegenschuss" und
> "Auge in Auge" zeigt das Berlinale Special zwei Kompilationsfilme zur
> deutschen Filmgeschichte
Bild: Scheitern als Gruppe: Gegenschuss
Als die Studentenbewegung 1968 gegen Obrigkeiten und Establishments
protestierte, amüsierten sich die deutschen Kinogänger (seit Einführung des
Farbfernsehens nur noch ein Bruchteil früherer Publikumsmassen) mit Walt
Disneys "Dschungelbuch", Oswalt Kolles filmischer Sex-Nachhilfe und mit den
bayerischen Schülerstreichen der "Lümmel"-Filme. Der 1962 in Oberhausen
verkündete Aufbruch der Filmemacher drang kaum in die Kinos durch. Ideen
für neue Filme waren da, inspiriert von den "neuen Wellen", die überall auf
der Welt auf die Festivals und in die Kunstkinos drängten. Aber es gab für
den Nachwuchs-, den Underground- und anderweitig nichtkommerziellen Film
keine Produktionsmittel, kaum Filmförderung, keine Verleihstrukturen.
Werner Herzog klaute seine erste 35-mm-Kamera aus den ungenutzten Beständen
eines Filmbildungsinstituts, Rainer Werner Fassbinder wich wegen seines
gebremsten Filmemacherdebüts zunächst aufs Theater aus, Wim Wenders träumte
als Münchener Filmstudent den Traum von amerikanischen Roadmovies und
Rockmusik, Alexander Kluge analysierte die verfahrene Lage des Nachwuchses.
Konnte man nicht die damals neue Idee freiwilliger Kollektive, die irgendwo
zwischen Pragmatismus und libidinösem Privatsozialismus oszillierte, auf
ein Modell genossenschaftlicher Filmproduktion übertragen? Dieser grandiose
Spleen führte zur Gründung des Münchener Filmverlags der Autoren. Von
dessen Protagonisten und Mitspielern, ihren schrägen innovativen
fantastischen Filmen und ihrem Scheitern als Gruppe und Geschäftspartner
erzählt der Oral-History-Film "Gegenschuss - Aufbruch der Filmemacher". Das
Herz des unterhaltsamen Patchworkfilms ist der im vergangenen Jahr
verstorbene Produzent und Verleiher Laurens Straub. "Kino ist das Größte,
auch wenn wir begreifen müssen, dass es nicht so ist" - mit solchen Bonmots
und einer rabulistischen Kunst des Anekdotenerzählens setzt sich Straub ein
schönes Denkmal.
Ende der Sechzigerjahre war er einer der Motoren des Filmverlags, wurde ein
Jahrzehnt später jedoch ausgebootet, als es zum Streit zwischen den
erfolgreicheren Gesellschaftern Wenders, Fassbinder und Bohm und dem Rest
der Gruppe kam, die "schwierige" Filme produzierten. Warum die
Schuldenberge wuchsen und wie es trotzdem weiterging, wird nur angerissen.
"Gegenschuss" konzentriert sich auf die Aufbruchsphase, auf ein lakonisches
Zeitbild der Münchener Künstlerszene, in der man sich mit schwarzen Mänteln
und langen Haaren zum Flippern traf und die Platzhirsche an der Jukebox
ihren Musikgeschmack durchsetzten.
Dominik Wessely, ein Exstudent von Straub, hat das Gruppenporträt zusammen
mit der exzellenten Schnittmeisterin Anja Pohl und Rainer Kölmel, dem
späteren Besitzer des Filmverlags und Filmrechtehändler, fertiggestellt, am
Drehbuch und den persönlich gestimmten Interviews war Laurens Straub noch
beteiligt. Nicht zuletzt durch diesen vergessenen Insider ist "Gegenschuss"
auch ein Film über die Kraft des Erzählens, die Filme durchsetzen hilft.
Einen anderen Ansatz verfolgt "Auge in Auge", der zweite Kompilationsfilm
zur deutschen Filmgeschichte, der auf der Berlinale Premiere feiert. Der
Filmhistoriker Hans Helmut Prinzler und der Kritiker Michael Althen nehmen
einen auf die Reise durch eine Motivgeschichte des deutschen Films mit. Mit
einem gut austarierten Rhythmus aus schnellen Leitmotiv-Montagen und
ruhigeren Passagen, in denen Filmemacher zu Wort kommen, feiern sie die
kleinen Momente und die großen Meisterwerke, die die Schönheit, Evidenz und
Sinnlichkeit des deutschen Films ausmachen. Michael Althens
Märchenonkelstimme macht die Wundertüte mit Urbildern auf, die 110 Jahre
deutscher Filmgeschichte durchziehen, auf deutsche Mentalitäten verweisen
und doch eine Reihe von überraschend originellen Miniszenen darstellen. Ein
Kapitel über schmerzvolle Männerblicke reißt das Leitmotiv typisch
deutscher Beklemmung an, ein anderes über Frauenblicke zelebriert
glamouröse Skepsis und Selbstgewissheit. Landschaften, Reisen, die Kunst
des Rauchens sind weitere schöne Assoziationsketten. Dazwischen die
Fassaden deutscher Kinos, an deren Programmtafeln die Filme angekündigt
stehen, von deren Faszination Wim Wenders, Christian Petzold, Doris Dörrie,
Dominik Graf und eine Handvoll weiterer Regisseure in sehr persönlichen
Statements erzählen. Beide Kompilationsfilme sind vergnügliche
Geschichtslektionen, die nicht ohne Melancholie den Blick dafür schärfen,
was im aktuellen Film droht verloren zu gehen.
16 Feb 2008
## AUTOREN
Tilman von Rohden
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