# taz.de -- Berliner Galerie Neu: Bröckelnde Fassaden | |
> Mit Peter Saville holte sich die Berliner Galerie Neu ein klein wenig Pop | |
> ins Haus und ein Gespräch über Anfang und Ende semiotischer Guerillas. | |
Eine Frau, nennen wir sie Nicolette Krebitz, drapiert auf einem matten | |
Betonboden vor einem lodernden Kamin. Die Haare hochgesteckt, die Brille | |
golden, die linke Hand versunken im Fell eines dunkelbraunen Hundes. Einer | |
von beiden trägt ein Louis-Vuitton-Halsband. | |
Diese Szene, zu beobachten am Samstagabend in der Berliner Galerie Neu, | |
erinnerte in seiner widersprüchlichen, scheinbar aus dem Kontext gerückten | |
Eleganz an die Bilderwelten eines Bryan Ferry und dessen Band Roxy Music. | |
Und just mit ihnen fing das Kamingespräch zwischen dem Kunstjournalisten | |
Jörg Heiser und Peter Saville, Grafiker, Zeichenbastler und Poplegende, an. | |
Ein Rückblick auf ein Manchester der frühen 1970er-Jahre, in dem sich der | |
Designstudent Saville für die Körper- und Stilpolitiken des | |
Bergarbeitersohns und Dandys Ferry begeisterte. "Manchester war damals ein | |
kulturloser Ort. Bryan Ferry hat da eine Tür aufgestoßen, durch die ich | |
begeistert hindurchgestürmt bin." | |
Überall im Norden Englands hatten die Fassaden der Industriegesellschaft zu | |
bröckeln begonnen. Aber Roxy Music tanzten mit atemberaubender Eleganz auf | |
den Ruinen. Sie spielten mit den Zeichen, waren die semiotische Guerilla, | |
von der Umberto Eco gesprochen hat. Roxy Music negierten die Barrieren | |
zwischen Hoch- und Popkultur, zwischen Arbeiterklassensozialisation und | |
aristokratischer Dekadenz. Sophisticatedness hieß die neue Währung des Pop, | |
Vorsprung durch Wissen. Nur ein paar Jahre später werden Joy Division, eine | |
junge Postpunkband aus Manchester, jene postindustriellen | |
Ruinenlandschaften besingen. Und es ist Saville, der ihre Plattencover | |
entwirft. | |
An diesem Punkt beginnt die eigentliche Geschichte dieses Abends, der auch | |
die Präsentation von "Estate 1 - 127", der ersten umfassenden Werkschau des | |
Grafikdesigners, ist. Peter Saville ist zu smart und vor allem zu clever, | |
um sie einzig aus der Perspektive des Popboulevards zu erzählen. Joy | |
Division und die daraus hervorgegangenen New Order. Factory Records, für | |
das Peter Saville alle Plattencover entworfen hat. Tony Wilsons Clublegende | |
Hacienda, diese Lagerhalle voll Ibiza mitten im rezessiven Manchester. Der | |
Sommer der Liebe 1989, die Acid- Smileys auf den T-Shirts und die | |
Rave-Partys auf den Kornfeldern um Manchester und bald überall in der | |
popsozialisierten Welt. Dieses wirre, glückliche Leuchten. | |
"Später hatten wir einen E-Gitarre spielenden Premierminister", sagt Peter | |
Saville. Und meint damit vor allem das: "Das große subversive Projekt von | |
Pop als Umschichtung der Zeichen und damit der gesellschaftlichen Normen | |
hat sich erledigt. Die Ära der symbolischen Politik, der coolen Codes ist | |
doch vorbei. Spielt es denn wirklich noch eine Rolle, welche Farbe dein | |
Computer hat?" | |
Dabei sind es gerade diese coolen Codes, und das hat er nicht nur von Bryan | |
Ferry gelernt, mit denen Peter Saville sich auskennt. Deswegen wurde der | |
52-Jährige - der an diesem Abend in Chelsea-Boots, weißer Jeans und | |
schwarzem Rollkragenpullover auch visuell den zugeschütteten Graben | |
zwischen Pop- und Kunstbetrieb betreten hat - in den vergangenen Jahren von | |
Modedesignern wie Yohji Yamamoto und Stella McCartney engagiert. Deswegen | |
halten viele seiner Entwürfe für die Ewigkeit. Sein Cover für New Orders | |
größten Erfolg "Blue Monday" beispielsweise, im Design einer Floppy-Disc. | |
Auf der Hülle waren weder der Name des Songs noch des Künstlers abgedruckt. | |
Heute bewundert Peter Saville den iPod für seine Wirkungsmächtigkeit. Das | |
Ende des Plattencovers als sinnstiftendes Medium betrachtet er ohne | |
Melancholie. Stattdessen wirkt er etwa als Kreativdirektor seiner | |
Geburtsstadt Manchester, will den Menschen Angebote machen, den | |
aufgelassenen Stadtraum wieder mit Sinn und Sinnlichkeit zu füllen. | |
Auf die Kraft der Zeichen mag Peter Saville also auch im Zeitalter ihrer | |
überbordenden Fülle vertrauen. Dafür wird er am Ende der eloquenten | |
Kaminplauderei auch vom eingangs erwähnten Hund umgarnt. | |
17 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Clemens Niedenthal | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |