# taz.de -- Foto-Ausstellung über Minenopfer: Eher quälend als therapeutisch | |
> In Frankfurt am Main zeigt der Fotograf Lukas Einsele | |
> Schwarz-weiß-Portraits von Minenopfern. Sie geben dem Unrecht ein Gesicht | |
> und sind ein politisches Statement. | |
Ein erlittenes Trauma hinterlässt selten Spuren im Gesicht, und doch stellt | |
der Fotokünstler Lukas Einsele 46 Gesichter von Minenopfern ins Zentrum | |
seines Projekts "One Step Beyond - Wiederbegegnung mit der Mine". Auf | |
Augenhöhe reihen sich die Schwarzweißporträts, in willkürlicher Folge | |
Frauen, Männer und Kinder, junge und alte, schwarze und weiße. Aus der | |
anonymen Statistik der abertausend Verstümmelten treten 46 Individuen | |
hervor, sie haben Namen, Alter, Beruf, Wohnort, ein Gesicht. Wären nicht | |
ihre ungeübten Skizzen vom Unglücksort unter ihre Porträts gehängt und ihre | |
Berichte über den Hergang der Tragödie als Übersetzung im Kopfhörer zu | |
hören, man käme kaum auf die Idee, dass sie alle den Verlust eines | |
Körperteils verkraften müssen. Die roten Akzente im Saal wollen nicht an | |
Blut erinnern. Es ist das Rot, mit dem Minensucher die Gefahr markieren und | |
ein ästhetisches Zugeständnis an die sparsame Szenerie, die alle | |
Aufmerksamkeit auf die Gesichter lenkt. | |
Trotz des gesellschaftspolitischen Inhalts versteht Lukas Einsele sein | |
zwischen 2001 und 2004 entstandenes Projekt als ein primär künstlerisches. | |
Als Künstler will der 45-Jährige mit seinen Fähigkeiten zu | |
gesellschaftlichen Veränderungen beitragen. Daher fehlen die üblichen | |
drastischen Aufnahmen zerfetzter Gliedmaßen, die zwar die Sensationsgier | |
bedienen, aber dann vom Bewusstsein der Betrachter doch als unerträglich | |
ausgegrenzt werden. Einsele reiste in vier der vielen Länder, in denen | |
Minen und Streubomben millionenfach im Boden lauern. Und obwohl es für die | |
Amputierten in Afghanistan, Angola, Bosnien und Herzegowina sowie | |
Kambodscha eher quälend als therapeutisch war, ihr Trauma redend erneut zu | |
durchleben, waren alle Angesprochenen dazu bereit. Sie wollten etwas | |
bewirken und begriffen sich als stellvertretend für viele Tausende. Ihre | |
Schilderungen sind präzise, selbst wenn die Mine bereits vor Jahren | |
zuschlug. | |
Appelle oder gar Wut enthalten sie nicht, die Menschen brauchen alle | |
Energie für die Neujustierung des Lebens mit der Prothese. Häufig | |
wiederholen sie ganze Passagen, als wollten sie die körperliche | |
Versehrtheit dadurch ungeschehen machen. Der kambodschanische Bauer Vuthy | |
Keo etwa sagt: "Um diese Jahreszeit sind die Reisfelder gelb. Wir nennen | |
sie die goldenen Felder, es sieht schön aus. Alles war wie immer, bis ich | |
auf die Mine trat." | |
Für die Fotos verschwand Einsele unter dem schwarzen Tuch einer | |
Großbildkamera und bannte die Gesichter frontal auf die Platten. Perfekt | |
ausgeleuchtet geben sie nicht nur jede Falte und jedes Härchen, sondern | |
auch ihre jeweilige Individualität preis. Nicht Opfer, sondern Menschen | |
blicken uns an, die ihre Würde bewahrt und vor ihrer neuen Situation nicht | |
kapituliert haben. Auge in Auge erkennt man sich selbst in ihnen wieder und | |
fühlt eine große Nähe. Denn die Porträts verraten nicht, dass die | |
Porträtierten zur geschundenen Mehrheit der Family of Man gehören, während | |
man selbst zufällig das bessere Los gezogen hat. | |
Das zum Projekt gehörige Buch zeigt dazu auch Farbaufnahmen, die Einsele | |
mit Andreas Zierhut realisierte. Aus Platzmangel präsentiert das Museum | |
leider nur einige im Untergeschoss. Sie dokumentieren die gefährliche und | |
zeitintensive Minensuche und die Rehabilitation der Opfer. Eine der | |
Aufnahmen zeigt die Afghanin Noor Haya, wie sie in einem Reha-Zentrum in | |
Dschalalabad das Laufen mit der Prothese lernt. Verschieden hohe Tischchen | |
simulieren eine Treppe, auf der Noor Haya wie eine Königin der Schmerzen | |
aufrecht steht und sich ihrer sichtbaren Beinprothese nicht schämt. Hier | |
wird besonders deutlich, dass der Titel "One Step Beyond" nicht nur den | |
"falschen" Schritt auf die Mine meint, sondern auch den mutigen Schritt | |
vorwärts nach dieser Zäsur. | |
Zu Recht wurde das großartige, von Catherine David herausgegebene Buch 2007 | |
mit dem Deutschen Fotobuchpreis ausgezeichnet. Unter anderem erklärt es die | |
mörderischen Tücken der unterschiedlichen Minentypen. Herstellung und | |
Einsatz von Antipersonenminen sind seit der Ottawa-Konvention von 1998 | |
verboten. Sie wäre kaum ohne den Druck durch die internationale Kampagne | |
für das Verbot von Landminen (ICBL) zustande gekommen, die 1997 mit dem | |
Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Allerdings haben bislang weder die | |
USA noch Russland oder China die Konvention unterschrieben. | |
Antifahrzeugminen sind weiterhin erlaubt. Immer häufiger werden Streubomben | |
und -munition eingesetzt, die viele Blindgänger hinterlassen. Sie finden | |
sich auch in den Beständen der Bundeswehr. Millionen von Minen liegen heute | |
auf Feldern, Wiesen und an Straßenrändern. Deshalb existiert das | |
Aktionsbündnis, dem in Deutschland 15 humanitäre Organisationen angehören, | |
unter dem Namen "landmine.de" weiter. | |
27 Feb 2008 | |
## AUTOREN | |
Ursula Wöll | |
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