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# taz.de -- Der Weg zum Neuen Öko: Öko macht echt glücklich
> Die Entwicklung zum bewussten Konsumenten mündet in einen Lebensstil des
> verantwortungsbewussten Konsumbürgers. Engagiert materialistisch: Das ist
> eine zeitgemäße Definition von links.
Bild: Es irrt, wer denkt, es gehe um Biokarotten, Wellness und ein bisschen CO2…
Und du willst Öko sein?"
Meine Frau.
So was sagt sie öfter.
Sie meint es nicht so.
Hoffe ich.
Dennoch fühle ich mich ansatzweise beleidigt.
"Na hör mal! Wir reden ständig über dieses Zeug." Sie nickt. Sagt aber
nichts.
"Ich meine: energetische Modernisierung! So was spreche ich inzwischen
nicht nur so selbstverständlich aus wie 'Paradigmenwechsel'; ich weiß
sogar, was es heißt." - "Wenn überhaupt einer, dann bin ich hier der Öko,
denn ich fahre immer mit dem Fahrrad. Du redest nur davon." Es gebe bei mir
die berühmte Diskrepanz zwischen dem Bewusstsein und dem Sein. "Was für ein
Sein?" - "Das Dauernd-mit-dem-Auto-Unterwegssein."
Kurz darauf sagte mir ein Freund, er erwähne mich jetzt immer in seinen
Vorträgen zur Nachhaltigkeit. "Ach wirklich?", fragte ich geschmeichelt.
"Ja, als Beispiel für Leute, die so stolz auf ihre Energiesparlampen sind,
dass sie in allen Zimmern das Licht brennen lassen." Gut, Freundschaften
sind temporäre Erscheinungen. Sie kommen und gehen. Unlängst aber saß ich
mit ein paar jüngeren Menschen zusammen, mit denen ich mich wohlfühle. Und
einer bemerkte scheinbar en passant, Himmler sei "ja auch ein Öko gewesen".
Ich sagte: "Und Sokrates nicht zu vergessen." Den kannten sie nicht. Leute!
Es stimmt, dass ich die Kinder morgens immer noch nicht mit dem Fahrrad zur
Schule bringe und auch nicht mit der U-Bahn. Und die Lichter haben bei uns
auch schon früher in allen Räumen gebrannt, das machen wir nicht erst, seit
wir Ökostrom haben. Dass Himmler mal frei laufende Hühner gezüchtet hat, da
können doch die Hühner nichts dafür. Also bitte. Und trotzdem hilft es
nichts: Ich bin ein Neuer Öko.
Ich kam damals aus einem kalifornischen Kino. Hatte gerade Al Gores
Klimafilm "An Inconvenient Truth" gesehen. Ich weiß noch, wie ich auf die
Pacific Avenue trat und dachte: Mist. Jetzt muss sich etwas ändern. Und
zwar bei mir. Offenbar war es so, dass ein Unwohlsein mit dem Äußeren, also
der Gefahr einer Klimakatastrophe, und eines im Inneren (einigen Aspekten
meines Lebens) zusammenkamen. Es klingt selbstverständlich erbärmlich
antiintellektuell, wenn man von einem Al-Gore-Film bekehrt wird.
Unter dem Eindruck dieses ganzen Marketinggeschreis vom "Weltretten",
dachte ich zunächst auch: Wie soll ich es bloß mit meinem gesunden Zynismus
vereinbaren, ein bewusster Konsument sein zu wollen, der die Welt rettet?
Ich mache mich doch lächerlich ohne Ende.
Ich entschied mich, auf den Anspruch zu verzichten, die Welt zu retten. Und
dafür, einfach anzufangen. Meine Erfahrung: Es braucht ein Symbol wie Al
Gore, das den universellen Ansatz der Sache verdeutlicht. Und es braucht
Freunde und Vorbilder im täglichen Leben, die zunächst mal zeigen, dass es
geht. Ohne komplett uncool zu werden und im Ansehen der Peergroup zu
sinken, der liebsten Menschen oder auch nur irgendwelcher Arschlöcher.
Mein Lehrmeister ist mein Bruder. "Sehr gut, sehr gut", sagt er immer, wenn
ich ihm Meldung mache. "Aber das könnt ihr noch viel besser." Offenbar hat
er mal einen Kurs in Mitarbeitermotivation gemacht. Vielleicht sollte ich
erwähnen, dass er mich zum Kauf eines Dreiliterautos zwang. Eigentlich
wollte ich einen Minivan. Damit fing es an - lange vor Gore.
Der Kauf dieses Dreiliterautos war der beste Kauf meines Lebens, und
deshalb wollte ich mehr. Nicht mehr Konsum. Sondern besseren Konsum. Die
Logik der vielbeschworenen Moralisierung der Märkte lautet: Wenn viele
anfangen, bewusst zu konsumieren, wird die Ohnmacht des Individuums
aufgehoben. Und der Markt verändert sich zugunsten der Konsumenten und zum
Besseren. Naiv? Es ist eine Win-win-Situation. Im schlechtesten Fall wird
das eigene Leben besser.
Manchmal fragen mich Leute, ob ich ein "Lohas" sei. Nein, bin ich nicht.
"Lohas" heißt "Lifestyle of Health and Sustainability" und ist ein
Marketingbegriff, der erfunden wurde, um der Wirtschaft eine Zielgruppe
schmackhaft zu machen - lange vor der Jahreswende 06/07 und der
breitflächigen Klimaberichterstattung.
Es irrt auch, wer immer noch denkt, es gehe letztlich um ein paar
Biokarotten, Wellness, ein fair gehandeltes T-Shirt und ein bisschen
CO2-Begrenzung. Lebensstil und Konsumorientierung von Neuen Ökos basieren
auch, aber nicht primär auf persönlicher Gesundheit und Ernährung: Sie sind
Ausdruck und Zuspitzung der Bereitschaft, eine entscheidende Zukunftsfrage
der Gesellschaft anzugehen, die Energiefrage. Es gibt Lohas, die das
genauso sehen. Es gibt aber auch Lohas, die nicht mal wissen, dass ihr
"Ökostrom" eine Mogelpackung eines Atom- und Kohlestromkonzerns ist.
Neue Ökos entstehen derzeit in diversen Schichten, Milieus und Gruppen der
Gesellschaft. Sie können sich aus Lifestylegrünen entwickeln, aus
Ernährungsbewussten, aus Hedonisten, aus CSU-Wählern, aus jungen
Engagierten, aus Älteren, die gerade aus der Rushhour des Lebens
rausgekommen sind und den Kopf jetzt frei haben. Was sie eint: dass sie
durch die intensivierte Beschäftigung mit dem Problem der Klimaveränderung
pragmatisch angefangen haben, jenseits der Oberfläche ihr Leben und Denken
zu überprüfen und in der Folge zu verändern - ohne sich von objektiven
Problemen und Widersprüchen aufhalten zu lassen.
Falls Sie sich jetzt fragen, ob sie einer sind oder werden: Der sanfte
Einstieg in ein konsumbewusstes und ökologisiertes Leben beginnt häufig mit
dem Wechsel zu Ökostrom. Dann geht es los. In meinem Fall heißt das:
Ökostrom, Dreiliterauto, moderne, energieeffiziente Geräte, bewusster
Einkauf von Lebensmitteln unter Gesundheits- und Klimaschutzaspekten, unter
anderem weniger und besseres Fleisch. Wahlentscheidungen auf Grundlage des
ökologischen Programms. Boykott von sozial- und ökologisch nicht
akzeptablen Unternehmen. Weder Inlandsflüge noch Kurztrips in europäische
Städte per Billigflieger mehr. Diverse Ökostromwechsel initiiert.
Erfolgreiche Versuche, Kollegen für das Thema zu sensibilisieren. Ein
bisher nicht erfolgreicher Versuch, einen Arbeitgeber von der Notwendigkeit
der CO2-Neutralität zu überzeugen. Einen Sohn so beeinflusst, dass er einen
anmotzt, wenn man seinen CD-Player auf "Pause" stellt statt auszuschalten.
Und leider auch: eine unbekannte Zahl von Menschen entfremdet. "Früher
warst du aber lustiger." Mein Freund Minki. Ach, echt? Es macht einen
sauer, wenn einer sagt, dass man früher lustiger war. Und dann noch ein
Minivanbesitzer. Ich merke aber selbst, dass ich manchmal zum CO2-Dozieren
neige, statt mich ordnungsgemäß mit Fußball, der SPD oder der Bedienung zu
beschäftigen.
Minki sagt, ich sei als Mittvierziger in einer Lebensphase, in der ich Halt
suchte. "Du konzentrierst dich auf dein Privatleben, schon klar." - "Du
doch auch?" - "Nein, denn ich habe noch Karriereperspektiven." - "Mit Mitte
dreißig? Hahaha." - "Zumindest spüre ich noch nicht die nachlassende
Funktionalität und Attraktivität meines Körpers und meiner Arbeitskraft."
Okay, okay, ich schon. Aber was will er mir sagen? "Dass ich auf
Energiesparlampen abfahre, weil ich endlich gemerkt habe, dass ich keine
Karriere mache und die Weiber auch nicht mehr auf mich stehen, Minki?" -
"You got it." Ich schaute so, dass er sehen musste, wie absurd ich das
fand. Dann ging ich nach Hause und dachte drüber nach.
Wie wurde ich, was ich bin? Ich mache es kurz. Früher hatte ich lange
Haare. Ich dachte, das sei subversiv. Dabei trugen es alle. Dann hatte ich
eine Kunstlederjacke mit einem "Atomkraft? Nein danke"-Aufkleber. Das sah
richtig scheiße aus. Ich dachte, das sei politisch und nonkonformistisch
und eine Absage an die Diktatur der oberflächlichen Ästhetik. Als die
Französischlehrerin doch tatsächlich eine unangesagte Wörterarbeit
schreiben wollte, ohne die letzte Arbeit zurückgegeben zu haben, führte ich
die Revolte an. Dann Einsamkeit. Dann Liebe. Daneben konzentrierte ich mich
zwei Jahrzehnte lang darauf, Pop zu studieren und meine Kritik am Firnis
der Verhältnisse mit dem Mittel der Ironie auszudrücken Dann: erstes Kind.
Mehr Arbeit. Früher raus. Kaum noch Kino. Abends manchmal müde. Dann:
zweites Kind. Noch mehr Arbeit. Kein Kino. Kita. Schule. Noch früher raus.
Abends immer müde. Ich weiß, was Sie jetzt denken. Was Minki auch denkt.
Typisch narzisstisch gekränkte Übergangsgeneration. Vor sich die wackeren
Achtundsechziger und Achtundsiebziger. Und selber immer nur zugekuckt und
sich eingeredet, dass das die einzig wahre Haltung sei. Und nachdem der
letzte Zug abgefahren ist, hat der arme Junge sich dann in die tollkühne
und doch bequeme Idee reingesteigert, die Welt und das Klima mit
Ökokonsumbürgertum retten zu wollen.
Nee, hab ich nicht. Es ist einfach Zeit für ein paar Korrekturen. Weniger
zurückblicken, komplette Überarbeitung einer diffusen Gegenkultur- und
Kapitalismuskritikvorstellung. Nicht mehr Bedeutung für das eigene Leben in
Popsongs suchen. Ich habe auch zu oft das Bild des toten Benno Ohnesorg
angeschaut. Kommt nichts mehr raus dabei.
Ich sehe es so: Gesellschaftliche Rollen sind Möglichkeiten des Ausdrucks,
sie entfremden nicht automatisch. Man kann eine neue ausprobieren und
merken, dass man sich komplett wohlfühlt damit. Mein Grundgefühl ist: Jetzt
will ich doch mal sehen, was hier noch so alles geht. Bestimmt eine ganze
Menge. Für so eine Einstellung ist ein gewisses Maß an Pathos und auch an
Naivität nötig. Es war ein großer Moment, als ich kapierte: Ich bin bereit
dafür. (Hier fehlt die ironische Pointe, die das abmildern würde.) Es ist
wie Babyboardsurfen im Pazifik bei sechzehn Grad: Es fällt schwer,
reinzugehen. Aber wenn man drin ist, wird es großartig.
Sie redeten über Autos. Ich chauffierte meine Tochter und ihre Freundinnen
zum Ballettunterricht. Das heißt: Meine Tochter redete über Autos. Meine
Tochter: "Wenn Autos wenig Benzin brauchen, wird die Umwelt nicht so
verschmutzt. Aber diese Hammer, die brauchen hundert Liter oder sogar noch
mehr." Die Freundinnen (entsetzt): "Wahnsinn." Meine Tochter (wichtig):
"Und unser A2 braucht drei Liter. Oder?" Damit war ich angesprochen. "Ja,
über Land", sagte ich. "Dreieinhalb auf der Autobahn, drei Komma neun in
der Stadt." Anerkennendes Gemurmel auf dem Rücksitz. Offenbar wurde das
nicht zum ersten Mal besprochen. Meine Tochter: "Wie viel braucht ihr
denn?" Karlas Tochter wusste nicht, was sie verbrauchte, schätzte aber:
"Wenig." Minkis Göre sagte: "Wir brauchen fünf Liter. Oder vier." Auch
Anerkennung. Nur ich hüstelte. Vier oder fünf Liter? Mit Minkis Minivan?
Dass ich nicht lache. Und nun die Frage: Ist das in Ordnung, wenn
Neunjährige über Spritverbrauch reden?
Meine Frau und ich haben darüber länger geredet, und wir finden: Ja.
Selbstverständlich äußern wir unsere Begeisterung über Dinge, die wir
lieben und die wir gut und wichtig finden. Das macht der liebevolle
Hummer-Vater oder Kohlestrom-Lobbyist ja wohl auch. Wir sind ja, wie
Umfragen zeigen, die ersten Menschen seit langem, die mehrheitlich nicht
mehr davon ausgehen, dass es ihren Kindern einmal bessergehen wird. Aber
bestimmte Dinge, die mich geprägt haben, gehören nicht zum Leben meiner
Kinder. "Wer ist dieser Dicke neben Angela Merkel?" - "Das ist Helmut
Kohl." - "Wahnsinn." Mehr sagt mein Sohn nicht. Und Fischer ist für ihn ein
Ergänzungsspieler, der mal im Kader des VfL Wolfsburg war.
Bestimmte andere Dinge dagegen gehören für die Kinder einfach dazu. Dass
man ein eigenes Zimmer hat. Dass man über Benzinverbrauch von Autos redet,
auch mal über Kohlekraftwerke und warum es ein Problem ist, wenn es immer
wärmer wird. Ich stehe eigentlich nicht auf Al Gores Betonung unserer
Verantwortung für die Welt unserer Kinder und Enkel. Es ist nur so, dass
ich sie neuerdings spüre. Ich meine: Unsereins kann nächtelang nicht
schlafen, weil er über die richtige Schule für die Kinder grübelt, da wird
man sich doch auch ein paar weitere Gedanken über ihre Zukunft machen
dürfen.
Warum wird das neue Ökobewusstsein skeptisch beäugt? Erstens hat das
historische Gründe. Der klassische Öko galt traditionell als Feindbild
schlechthin. Das böse Ö-Wort. Der moralische Zeigefinger. Die blassen
Gesichter. Der schlechte Geschmack. Vor allem: das Moment des Verzichtens.
Ich erlebe aber nicht Lustverzicht, sondern Lustgewinn. Die Parole lautet
nicht: Weniger Konsum ist besser. Es geht auch nicht um Prestige- und
Markenkonsum (Teurer ist besser). Vor allem geht es nicht um das klassische
kapitalistische Manifest (Mehr ist besser). Die Parole lautet: Besser ist
besser. Besser kann auch weniger sein. Auch wenn ich sehr wohl moralisches
Wachstumspotenzial auf diesem Planeten sehe: Es geht nicht um moralische
Überlegenheit, es geht um Effizienz und Weiterentwicklung der Konsumkultur.
Konkret: der Kriterien für erstrebenswerte Produkte.
Neue Ökos werden jetzt gern als "Selbstverwöhner" kritisiert.
Wohlstandspack, das ein bisschen die Welt retten wolle, aber nur so, dass
es nicht wehtue. Das sich in Wahrheit mit sozialen und ökologischen
Kaufkriterien bloß den neuesten Kitzel besorge, den Manufactum nicht mehr
bringe - ein gutes Gewissen. Und mit diesem elitären Abgrenzungsgehabe
zudem perfide all jene Schlechterverdienenden als minderwertige Klimakiller
denunziere, die sich Ökostrom und Biofleisch nicht leisten könnten. Aus
meiner Erfahrung kann ich sagen: Reich muss man nicht sein, um bewusst
konsumieren zu können. Aber den Kopf frei haben von existenzieller Angst,
dass muss man schon.
Und sich abgrenzen? Klar: Mit dem Kauf von echtem Ökostrom grenze ich mich
von den vier großen Kohle- und Atomenergiekonzernen ab. Die Annahme, man
agiere primär, um ein gutes Gewissen zu bekommen, kann ich auch nicht
bestätigen. Erstens geht es nicht um das Gewissen. Zweitens wächst mit der
eigenen Entwicklung die Erkenntnis, dass es viel mehr zu tun gibt. Und die
Lust darauf, es auszuprobieren.
Ich kenne allerdings auch Menschen, die sich keine Badewanne mehr einlassen
können, ohne daran zu denken, dass mit der Wassermenge ein kleines
afrikanisches Dorf einen Tag seinen Durst löschen könnte. Ich bade
selbstverständlich weiter. Es geht nicht darum, symbolisch ein, zwei Dinge
zu tun oder zu lassen, es geht darum, die wichtigen Dinge zu tun. Wie
schnell die Energiewende kommt, hängt zum Beispiel davon ab, welche
Politiker wir für welche Programme wählen. Wie weitreichend die
Bewusstseins- und Konsumrevolution sein wird, die wir anzetteln, wie viel
die Produktpolitik leisten kann, die wir machen, hängt davon ab, wie viele
einsteigen und wie konsequent wir die Sache durchziehen. Was ich sicher
weiß: Meine persönliche Modernisierung funktioniert auch ohne Chinesen und
Inder.
Unser Familienplan lautet daher wie folgt: Wir wollen nicht
hundertprozentig korrekt und moralisch sein, sondern lediglich achtzig
Prozent weniger Energie verbrauchen. Den Verbrauch fossiler Energie stellen
wir in naher Zukunft ein. Den Ökostrom, den wir künftig jährlich
verbrauchen, wollen wir selbst produzieren oder produzieren lassen, indem
wir Anteile an Gemeinschaftsanlagen kaufen. Das erste Unternehmen, das
einen bezahlbaren Plug-in-Hybrid anbietet, also ein Elektroauto, kriegt
unser Geld. Und damit zu einem unangenehmen Thema. Unser jährlicher
Amerikaflug ist gestrichen. Meine CO2-Jahresbilanz betrug trotz Optimierung
unterschiedlichster Bereiche 16,2 Tonnen. Das ist ein Drittel mehr, als der
Durchschnittsdeutsche raushaut. Siebzehnmal so viel wie ein Afrikaner.
Allein die Hälfte verursacht ein Hin- und Rückflug Berlin-San Francisco. Zu
viel. Das ist hart, denn ich habe wieder angefangen, vom Pazifik zu
träumen. Und selbst die Kinder, die sonst immer murrten, wenn wir sie zur
Golden Gate Bridge schleppten, schwärmen plötzlich von Kalifornien. Wir
Erwachsenen sind entschlossen, hart zu bleiben.
Es ist spannend, für eine neue, zeitgemäße Kultur zu werben und zu stehen,
die Natur und Klimawandel selbstverständlich integriert. Viel cooler, als
in altes Denken zurückzufallen oder sich im Gestrüpp von Antikapitalismus,
Gegenkulturillusion und dem langweiligen Gegeneinanderausspielen der
ökologischen und sozialen Fragen zu verheddern. Die Sorge, ob ich mit
fröhlichem Ökokonsum mein Kleinbürgertum ausstelle oder den
Raubtierkapitalismus unterstütze, überlasse ich gern den Feuilletonisten
und Altmarxisten, die eh nichts Besseres zu tun haben.
Damit will ich nicht sagen, dass die komplizierten gesellschaftlichen
Konflikte der Zukunft alle über Konsum zu lösen seien. Nur: Altes Denken
kann die neuen Probleme nicht lösen. Jede Form von "Straßenkampf" taugt
bestenfalls für die Showbühne in den "Tagesthemen". Jede Definition von
"Neuer Bürgerlichkeit", die sozialökologisches Bewusstsein nicht als
grundlegendes Moment integriert, ist Gewäsch. Die Bejahung des Marktes ist
einerseits keine Absolution für alles und alle Zeiten. Das Ziel der
Abschaffung des Energiemonopols in Deutschland und eine etwaige
Verstaatlichung der Netze kann man andererseits auch verfolgen, ohne
deshalb Sozialismus einführen zu wollen.
Die Idee ist: Konsumbürger und Umweltpolitik gehen eine Allianz ein, die
sich gegenseitig stärkt. Dafür braucht es Menschen, die nicht aus dem Off
mit den Verhältnissen hadern. Es braucht Menschen, die real in der
Konsumgesellschaft stehen, sie verstanden haben und auf dieser Grundlage
agieren, protestieren, unterstützen und ablehnen - und sich nicht von den
tatsächlich existierenden und teilweise eklatanten Widersprüchen kirre
machen lassen.
In der Schule unserer Kinder engagieren wir uns, wir engagieren uns am
Arbeitsplatz und für den Fußballklub, warum sollten wir ausgerechnet die
Umwelt und den Markt den anderen überlassen? Mit dem Aufstieg der neuen
ökobürgerlichen Bewegung wird nicht nur eine Neudefinition des ehemaligen
Kampfbegriffs "ökologischer Lebensstil" nötig, sondern auch eine des Wortes
"Engagement".
Die Entwicklung zum bewussten Konsumenten und Neuen Öko mündet in einen
neuen Lebensstil des verantwortungsbewussten Konsumbürgers. Das pralle
Dasein wird weder im grünen Lifestyle aus der Künast-Minidenkfabrik
gesucht, noch im Antibürgerlichen, sondern in einer neuen Verknüpfung des
Privaten und des Öffentlichen, des Konsums und des Engagements. Engagiert
materialistisch: Das ist eine zeitgemäße Definition von links.
Es braucht wohl kaum mehr erwähnt zu werden: Wenn die Grünen keine Grünen
sind - dann kriegen sie die Stimmen der postideologischen ökolibertären
Mittelschicht genauso wenig wie die Kohle-SPD oder die Linkspartei. Wenn
die politische und gesellschaftliche Elite nicht schleunigst in die Gänge
kommt, wird sie durch eine neue Elite ersetzt. Eine, die in der Lage ist,
ein Leitbild zu formulieren und zu leben in der entscheidenden Frage der
Energie- und Klimafrage. Diese Elite sind dann wir.
1 Mar 2008
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Greenpeace
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