# taz.de -- Aus dem taz magazin: Jedem sein Gärtchen | |
> Jeder möchte die Früchte des Paradieses ernten. Nur wo liegt es? Eine | |
> Einkaufstour mit der Frage: Was ist Luxus? | |
Bild: " Für Sie 2,50." - Die Währung auf dem Markt sind der Charme des Verkä… | |
Das Tor zum Paradies öffnet sich elektronisch und erlaubt bis 22 Uhr, die | |
Früchte zu ernten. Gleich neben dem Eingang zur Delikatessenabteilung des | |
Kaufhofs am Berliner Alexanderplatz lagern in geflochtenen Körben Gemüse | |
und Obst aus aller Herren Länder. Neben italienischen Kohlrabi, | |
senegalesischen Cherrytomaten, deutschen Kartoffeln und israelischem | |
Majoran liegen bunte Früchte mit exotischen Namen: Fujiäpfel aus China, | |
Pitahayas aus Thailand, Tamarillos aus Kolumbien und Physalis "aus unserer | |
Werbung". Die Hinweistafeln geben Auskunft über Qualität, Herkunft und | |
sogar Geschmack. Die rote Obstbanane schmecke genauso wie die normale | |
Banane, erklärt das Schild. | |
Oha, der Geschmack scheint sekundär, solange das Auge mitisst. Was bedeutet | |
Luxus beim täglichen Einkauf? Die regelmäßigen Lebensmittelskandale, die | |
Furcht vor Gammelfleisch und versteckten Zusatzstoffen und die inflationäre | |
Verwendung des Biobegriffs bereichern den täglichen Einkauf um eine | |
durchaus sportliche Dimension. Wer auf ein Lexikon der Emulgatoren und auf | |
Lebensmittelgesetze im Einkaufswagen verzichtet, verlässt sich | |
gezwungenermaßen auf Kleingedrucktes und das Wohlwollen der | |
Lebensmittelindustrie. Die Feldforschung in "Feinschmeckerparadies", | |
Biomarkt und auf dem Gemüsemarkt kontert mit Fragen statt mit Antworten. | |
Im Kaufhof ist die Beschilderung hervorragend organisiert. Ein Gourmetweg | |
führt durch die Abteilung, die sich selbstbewusst "Garten Eden" nennt. Das | |
Sortiment auf 2.400 Quadratmetern umfasst etwa zehntausend verschiedene | |
Artikel, über hundertzwanzig Whiskysorten, mehr als tausend Weine, rund | |
dreihundertfünfzig Sorten Käse, zweihundertfünfzig Wurst- und | |
Schinkenspezialitäten sowie hundert Variationen Pralinen. | |
Spätestens in der Gewürzabteilung keimen koloniale Gefühle, wird der Griff | |
nach afrikanischem Pfeffer weltmännischer. Irgendwo hinter dem | |
"Konfitüre-Garten" - um die Rhetorik des Kaufhauses aufzugreifen -, rechts | |
des klimatisierten "Schinkenstudios" gelangt man zu den internationalen | |
Spezialitäten. Hier verführen chinesischer Stem-Ingwer in Sirup, | |
marokkanische Harissa in der Tube, eingelegte Moosbeeren aus der russischen | |
Küche oder 250 Gramm "Elixier aus grünen Kiefernzapfen". Die | |
Fischabteilung, "Neptuns Reich", verspricht "fangfrischen Fisch aus allen | |
Meeren der Welt" und strapaziert den Frischebegriff. | |
Der Unwissende lässt sich dennoch gern von der scheinbaren Transparenz | |
beeindrucken. Obwohl klein gedruckt, scheinen die Etiketten alle | |
verwendeten Zutaten zu erwähnen. Bei den Rauchwürstchen im Glas etwa ist | |
neben Nitritpökelsalz und verschiedenen Natriumarten sogar der "Rauch" | |
deklariert. Skeptischere Einkäufer werden mit einem der diversen Bio-Siegel | |
oder einer großformatigen Hinweistafel zur Rindfleischetikettierung | |
beruhigt. Daraus erschließt sich, dass VO (EG) 1760/2000 im Rahmen des | |
Orgainvent Systems DE-051998-BLES-0001-D der regelmäßig neutralen | |
Kontrollen Will heißen, dass sich selbst der bewusste und kritische | |
Einkäufer einen Experten als Begleiter durch den "Garten Eden" wünscht. | |
Die Metapher des Paradieses bietet sich an, mit dem entsprechenden Budget | |
lässt es sich gut leben. Luxus ist hier grenzenlose Auswahl, schneller | |
Zugriff auf ferne Länder, Opulenz und Exotik inklusive. | |
Einkaufen im Biomarkt ist bedeutend einfacher. Das Sortiment ist auf | |
Bioprodukte beschränkt, der Einkauf hier suggeriert per se Political | |
Correctness. Die LPG am Senefelderplatz etwa bietet auf tausendsechshundert | |
Quadratmeter Verkaufsfläche ein Sortiment von mehr als achtzehntausend | |
Artikeln feil. Wären Neonlicht und Rolltreppe nicht, man könnte sich in | |
einem Garten wähnen. | |
Gleich beim Eingang türmt sich Saisongemüse auf, das einen in Verlegenheit | |
bringt. Die Pastinake. Viel gerühmtes Feinschmeckergemüse, oft gekostet, | |
viel besprochen, nie in natura betrachtet. Wahrlich keine Schönheit, | |
faktisch eher Wurzelwerk denn zartes Pflänzchen. Ansprechend präsentiert in | |
grünen Plastikkistchen, garniert mit Hinweistafeln zu Saison und | |
Zubereitung. | |
Dahinter spendet ein Plastikbaum dem Probiertisch Schatten. Die drapierten | |
Orangen schmecken wie Sonne auf der Zunge, die Trauben erinnern an | |
vergessene Abende am Meer. Letztere werden zum Objekt der Begierde und | |
führen zum Kühlregal. In Plastik verschweißt, versprechen sie, sowohl | |
"organic" als auch "seedless" zu sein. Ein misstrauischer Blick auf das | |
Schild klärt die Herkunft: Südafrika. Daneben Mangos aus Kamerun. "Wir | |
gehen von einem mündigen Konsumenten aus", kommentiert Werner Schauerte, | |
Geschäftsführer der LPG BioMarkt, das Angebot. | |
Einzig die Plastiktüten für das Gemüse stören die ländliche Idylle unter | |
Neonlicht. Der Geschäftsleiter aber beruhigt, er verspricht, umgehend nach | |
biologischem Ersatz zu recherchieren. Auch der Kunde ohne Mitgliedskarte | |
ist hier König. Das Ladenkonzept soll zum Verweilen anregen, die | |
Mitarbeiter beraten lächelnd und stellen sich auf die Seite der Käufer. | |
Eine moderne Rolltreppe führt von der unteren in die obere Etage. Hier ist | |
geerntet und gelagert, was der Stadtmensch im Geiste anpflanzte. Süßholz | |
und Getreidekaffee waren gestern. Flips, Chips und Büchsenravioli, ja sogar | |
Tiefkühlpizza und Gleitcreme gibt es mittlerweile "bio". Vermarktet wird | |
die Ernte unter Labels wie Zwergenwiese, Biolust, Rapunzel, Ökoland, | |
Berchtesgadener Land, Naturland, Bionatura, Biopark, Biokreis | |
Auch die Biofront operiert mit Begriffen, die den Konsumenten verführen | |
sollen. Luxus ist hier ex negativo definiert, "ohne" und "frei von" sind | |
die Regel: Ohne Glutamate, ohne Nitritpökelsalz, ohne Phosphate, ohne | |
Zuckerzusatz, ohne Aromazusatz, ohne Bleichstoffe, farbstoff-, gluten-, | |
gentechnik-, laktose- und cholesterinfrei. Oder mindestens "frei von | |
allergenen Stoffen laut EU". Fast immer ist weniger mehr. | |
Biomarkt ist nicht gleich Biomarkt, verschiedene Couleurs prägen die | |
Landschaft, seit "bio" zum politischen Schlagwort und Hipnessfaktor verkam. | |
Vielen kleinen, alteingesessenen Bioläden läuft die Kundschaft weg zu den | |
großen Biosupermärkten wie BioCompany, McBio-Discount oder Viv, die laufend | |
neue Filialen eröffnen und denen Hartgesottene misstrauen. Er ziehe die | |
persönliche Atmosphäre eines Familienbetriebs den abgerichteten Verkäufern | |
der großen Ketten vor, meint etwa Dirk, Anfang dreißig, der seit über zehn | |
Jahren mehr oder weniger konsequent, trotz kleinsten Budgets, bio einkauft. | |
Wie viele andere will er über Herkunft und Herstellung seiner Nahrung | |
Bescheid wissen. Auf dem Weg vom Feld ins Regal liegen Ernte, Transport und | |
Lagerung. Nicht immer ist klar, ob alle Phasen den diversen biologischen | |
Standards genügen. | |
Thilo Bode, Chef der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, kritisiert | |
unter anderem genau diese Informationsasymmetrien, die den | |
Lebensmittelmarkt beherrschten, und fordert neue Regeln. Denn erst die | |
zwangsläufige Unmündigkeit der Konsumenten produziere Geiz beim | |
Lebensmitteleinkauf, schreibt er in seinem Buch "Abgespeist" (S. Fischer | |
Verlag). | |
Was die "Feinschmeckerabteilung" des Kaufhofs und die Holzkistchen im | |
Biomarkt in gepflegter Variante suggerieren, wird auf dem Gemüsemarkt am | |
Maybachufer in Berlin-Kreuzberg zelebriert. Wie ein König schreitet der | |
Kunde durch das schmale Gässchen, das die voll bestückten Marktstände links | |
und rechts zulassen. Pfiffe hier, Schreie dort, auf jedem Meter wilde | |
Versprechungen und verführerische Verheißung. Die Marktstände versuchen, | |
einander zu überbieten, wie in einem Kaleidoskop wechseln kräftiges Orange, | |
frisches Grün, zartes Gelb, schimmerndes Lila, beiges Weiß und knalliges | |
Rot. Unterwäsche in opulenten Größen und dezenten Farben, kitschige | |
Pantoffeln und knallige Fahrradschlösser ergänzen die chaotische | |
Atmosphäre. | |
Fragt eine Käuferin zurückhaltend "Wie viel kostet ?", antwortet der | |
Verkäufer charmant: "Für Sie zwei fünfzig." Kaum ist der Kunde überredet, | |
ergänzt der Verkäufer listig: "Aber Sie müssen nicht kaufen! Probieren Sie | |
zuerst, erst dann kaufen Sie!" Unter Geschnatter, leidenschaftlichem | |
Feilschen und Flattieren schiebt sich die Menge vorwärts. Über dem Markt | |
schwebt der Duft von gerösteten Sesamkringeln, eingelegten Oliven und | |
reifen Melonen. | |
Dass das Gemüse und Obst aus fernen Ländern kommt und die Deklarationen auf | |
den signalgelben Schildern oft unleserlich verschmiert sind, trübt die | |
Atmosphäre nur wenig. Woher kommt der Stangensellerie? Der Verkäufer zuckt | |
irritiert die Schultern. Weder kennt er die Herkunft noch hat er | |
Verständnis für die ihn skurril anmutende Frage. Die Anbieter von Biogemüse | |
wissen besser Bescheid. Sie stehen dezent ganz hinten auf dem Markt, bieten | |
Vollkornbrötchen an und Saisongemüse. Bio darf hier natürlich aussehen, | |
schrumpelige Äpfel und Minizucchini - alles andere gefährdet die | |
Glaubwürdigkeit. | |
Egal ob Bio oder nicht - die Verkäufer stehen entspannt hinter ihren | |
Ständen und trinken Tee. Sie tratschen und beobachten die Kundschaft. In | |
weiser Voraussicht versuchen sie, die Wünsche der Kunden zu erahnen. Oder | |
üben sich darin, neue zu wecken. "Chiquita, Chiquita", säuselt der eine, | |
"Frische Erdbeeren nur zwei Euro", ruft der andere. Die Währung auf dem | |
Markt sind der Charme des Verkäufers und die Hartnäckigkeit des Kunden. Das | |
ist Luxus, Schmeicheleien à discretion und die Qual der Wahl gibt es | |
kostenlos dazu. Zugunsten der Atmosphäre wird gern auf die Details | |
verzichtet, die das Bild von der Marktfrische trüben könnten. | |
Luxus ist aber auch, sich mündig zu fühlen. Die ungerechte Marktsituation | |
mit profitgierigen Verkäufern, geizigen Verbrauchern, verschwiegenen | |
Lobbyisten und die lasche Politik fungieren je nach Position als | |
Sündenböcke. Kurz: für den Konsumenten ist es naiver Luxus, das Gewissen an | |
der Kasse abzugeben. Denn jeder Händler will verkaufen, seine Strategien | |
sind immer auch eine Reaktion auf die Widersprüche, in die sich die | |
Konsumenten verstrickt haben. Erdbeeren haben im Februar nicht Saison, auch | |
wenn ein Bio-Siegel sie veredelt. Die verführerische Vielfalt und "Bio"-, | |
"Gourmet"- oder "Frische"-Garantien ändern daran nichts. Unabhängig vom | |
Garten, in dem Früchte geerntet werden, ist die Information elementare | |
Währung. Bis dahin muss mit Skepsis bezahlt werden. Sonst sehen wir vor | |
lauter Grün bald rot. | |
1 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Gina Bucher | |
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