# taz.de -- Debatte Stammzellen: Moralisch und fortschrittlich | |
> Die embryonale Stammzellforschung hat versagt. Der Bundestag sollte ihr | |
> ein Ende machen und auf die wirklich erfolgversprechende adulte | |
> Stammzellforschung setzen. | |
Es gab mal eine Zeit in Amerika, da waren sich kluge Köpfe sicher: Die | |
Zukunft der Post wird es sein, sie mithilfe modernster Raketen von einem | |
Ort zum nächsten zu schießen. Von den Dreißiger- bis zu den Fünfzigerjahren | |
gab es immer wieder Versuche, dieser scheinbar bahnbrechende Technik zum | |
Durchbruch zu verhelfen. Der brillante amerikanische Sachbuchautor Bill | |
Bryson beschreibt dies brüllend komisch in seiner Autobiografie "The Life | |
and Times of the Thunderbolt Kid". Letztlich gab man die Idee auf, denn die | |
Fehlschläge waren zu zahlreich, die Kosten zu hoch. Mit der embryonalen | |
Stammzellforschung dürfte es ähnlich kommen. | |
Dies absehbare Ende der embryonalen Stammzellforschung aber sollte man | |
beschleunigen, und dafür gibt es demnächst einen guten Anlass. Am 11. April | |
wird der Bundestag entscheiden, ob die Beschränkungen bei der | |
verbrauchenden Forschung mit dem werdenden menschlichen Leben gelockert | |
werden - oder nicht. Nur zur Erinnerung: In Deutschland dürfen keine | |
Embryonen zu Forschungszwecken produziert und verbraucht, man könnte auch | |
sagen: getötet werden. Hier dürfen nur importierte Stammzelllinien benutzt | |
werden, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. | |
Nun fordern die hiesigen Wissenschaftler, die an embryonalen Stammzellen | |
forschen, und die Lobby um die Deutsche Forschungsgemeinschaft, dass dieser | |
Stichtag verschoben wird beziehungsweise ganz fällt. Die Abgeordneten, die | |
bei dieser Frage keinem Fraktionszwang unterworfen sind, sollten dieser | |
Forderung nicht nachkommen - und das aus guten Gründen. | |
Ein zentraler Grund ist die Erfolglosigkeit der embryonalen | |
Stammzellforschung. Seit etwa zehn Jahren wird mit viel Energie und noch | |
mehr Geld (meist aus öffentlicher Hand) geforscht. Dabei ist noch nicht | |
einmal im Entferntesten klar, ob diese Forschung irgendwann einmal den | |
Menschen zugutekommen kann. Im Gegenteil, alle Tierexperimente mit | |
embryonalen Stammzellen zeigen, dass sie ein hohes und offenbar kaum zu | |
kalkulierendes Krebsrisiko in sich bergen. Auch die Abstoßung dieser Zellen | |
durch das Immunsystem haben die Forscher noch nicht in den Griff gekriegt. | |
Die embryonale Stammzellforschung scheint also ausgesprochen | |
kontraproduktiv zu sein. Unter solchen Bedingungen ist auch reine | |
Grundlagenforschung nur schwer zu legitimieren. | |
Zudem besteht schon seit Jahren mit der adulten Stammzellforschung eine | |
Alternative, die im Gegensatz zur embryonalen Stammzellforschung die | |
Erwartungen der Forscher hinsichtlich klinischer Erfolge am Menschen nicht | |
nur erfüllt, sondern teilweise sogar übertroffen hat. Polemisch gesagt: Wo | |
es der embryonalen Stammzellforschung bestenfalls gelingt, Mäusen | |
Tumorzellen einzuspritzen, heilt oder lindert die adulte Stammzellforschung | |
bereits. | |
Und Deutschland ist in der adulten Stammzellforschung sogar weltweit in der | |
Spitzengruppe. Diese Kompetenz gilt es auszubauen, statt weiter Geld in der | |
problematischen embryonalen Stammzellforschung zu verpulvern. Der adulte | |
Stammzellforscher Colin McGuckin (Newcastle) berichtete bei einer | |
Bundestagsanhörung zum Thema, dass er im Namen der britischen Regierung | |
große Pharmaunternehmen in Indien, Korea und Japan besucht und dabei | |
festgestellt habe, dass in allen die embryonale Stammzellforschung entweder | |
schon aufgegeben wurde oder kurz vor dem Aus steht. | |
Gegen die embryonale Stammzellforschung spricht auch eine weitere | |
Entwicklung: die bahnbrechenden Forschungen des japanischen Forschers | |
Shinya Yamanaka. Denn Yamanaka ist es im November 2007 ebenso wie einer | |
US-Forschergruppe gelungen, menschliche Hautzellen so zu reprogrammieren, | |
dass sie mehr oder weniger wie embryonale Stammzellen funktionieren. | |
Diese iPS-Zellen sind die große Hoffnung aller Stammzellforscher. | |
Bezeichnend ist, dass sich der Schöpfer des Klonschafs Dolly, Ian Wilmut, | |
nun voll auf diese Technik konzentrieren will: "Die iPS-Zellen werden | |
früher oder später dem embryonalen Stammzellen den Rang ablaufen", wird er | |
zitiert. Die Nachricht ist klar: Die Forschung mit embryonalen Stammzellen | |
ist eine Sackgasse der Wissenschaft. | |
Aber braucht man die embryonale Stammzellforschung nicht, um die Ergebnisse | |
der adulten zu überprüfen? Das ist derzeit die letzte Rückzugslinie der | |
embryonalen Stammzellforscher - doch sie wird nicht lange halten. Denn | |
mittlerweile weiß man, dass dazu die embryonale Stammzellforschung nicht | |
nötig ist. Alle adulten Stammzellforscher kommen bei ihren derzeitigen | |
klinischen Studien völlig ohne den Bezug auf embryonale Stammzellen aus. | |
Auch bei den Therapien der adulten Stammzellforscher waren die Erkenntnisse | |
der embryonalen Forschung schlicht irrelevant. Wozu also einen | |
Forschungszweig künstlich am Leben erhalten, der noch nicht einmal als | |
Gegenprobe vonnöten ist? | |
Dagegen spricht schließlich auch das wichtigste Argument: Embryos genießen | |
von Anfang an die volle, unantastbare Menschenwürde, die das Grundgesetz in | |
Artikel 1 schützt. Dieser Schutz gilt ab dem Zeitpunkt, in dem Ei und | |
Samenzelle verschmelzen. Dies ist biologisch gesehen eindeutig der Moment, | |
in dem das menschlichen Leben beginnt. Spätere Grenzsetzungen sind | |
willkürlich und unlogisch. Dementsprechend garantiert auch das | |
Embryonenschutzgesetz die Menschenwürde. Andere Grundrechte wie die | |
Forschungsfreiheit stechen dieses erste und fundamentale Grundrecht des | |
Embryos nicht aus. | |
Das Gegenargument sei erwähnt: Schon jetzt wird dieses Grundrecht des | |
Menschen im Mutterleib eingeschränkt - etwa beim Abtreibungsrecht, bei der | |
Nutzung einer Spirale zur Verhütung oder bei der In-Vitro-Fertilisation. In | |
diesen Fällen aber sind die Grundrechte eines anderen Menschen, einer Frau | |
direkt betroffen. Bei der embryonalen Stammzellforschung muss die | |
Menschenwürde aber nur mit dem Recht auf Grundlagenforschung und einem | |
vagen Versprechen auf mögliche spätere Heilungsaussichten für Kranke | |
abgewogen werden. | |
Fazit: Die deutsche Gesellschaft sollte die embryonale Stammzellforschung, | |
die Raketenpost des 21. Jahrhunderts, sowohl aus rechtlichen wie aus | |
moralischen und pragmatischen Gründen aufgeben. Sie bringt nichts und | |
schadet nur. Dass man dabei eine sechs Jahre alte Entscheidung korrigiert | |
und mit dieser Position weltweit allein stünde, besser: voranschritte, | |
spricht nicht dagegen. Deutschland will auch aus der Atomkraft aus guten | |
Gründen aussteigen, selbst wenn man damit international gesehen ziemlich | |
einsam bleibt. Dafür exportieren heute deutsche Firmen ihre Technik zur | |
Nutzung regenerativer Energien mit viel Erfolg in alle Welt. Es gibt | |
Anzeichen, dass sich diese Erfolgsgeschichte bei der adulten | |
Stammzellforschung wiederholen könnte. | |
27 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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