# taz.de -- die wahrheit: Wallende Haare waren sein Leben | |
> Emilio Cagliari - der große Rockfotograf und seine faszinierenden Bilder | |
> werden erstmals in einem Prachtband gefeiert | |
Bild: Rockstars fotografierte Emilio Cagliari in der ihm einzig akzeptablen äs… | |
"Ich galt als Träumer. Den anderen war ich immer zu langsam." Mit diesen | |
Worten beginnt Emilio Cagliari die Einleitung zu seinem Prachtband | |
"Backstage. 50 Jahre Rockfotografie", der in diesen Tagen anlässlich seines | |
65. Geburtstags erscheint. Immer zu langsam, die anderen schneller - das | |
ist ein hartes Los für jeden Jungen. | |
Für Emilio Cagliari, ein Kind Neapels, hatte Tempo von Anfang an eine | |
besondere Bedeutung: Sein Vater war Taxifahrer, seine Mutter nähte im | |
Akkord in einer Textilfabrik vor der Stadt. "Vater musste sie morgens mit | |
dem Taxi dorthin bringen, bevor seine Schicht begann", erzählt Cagliari. | |
"Er stellte fast jeden Tag einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf, damit er | |
uns rechtzeitig vor Schulbeginn wecken konnte. Abends, wenn er unsere | |
Mutter abholte, war er oft noch schneller. Wie sonst hätte sie unser Essen | |
für acht Uhr zubereiten können?" Die der Familie innewohnende "alltägliche | |
Hektik" übertrug sich auf die Kinder. Emilios ältester Bruder wurde später | |
Rennfahrer, die Schwestern gewannen Landeswettbewerbe als Stenotypistinnen. | |
Nur der kleine Emilio, der schnelle und laute Musik liebte, hinkte | |
hinterher. Er schrieb noch an Diktaten in der Schule, wenn alle anderen | |
längst heimgegangen waren, er trödelte beim Gang zum Markt und zog sich den | |
Ärger der Familie zu, wenn er erst nach dem Abendessen mit den dringend | |
verlangten Tomaten eintraf. "Ohrfeigen waren nicht selten." Vom | |
Fußballspielen mit den Kindern aus der Nachbarschaft wurde er | |
ausgeschlossen, weil sein Torjubel so verspätet einsetzte, dass er die | |
Mitspieler irritierte und im entscheidenden Fall eine Niederlage | |
einleitete. Emilio vereinsamte. | |
Das änderte sich, als er im Alter von zwölf Jahren die erste Kamera | |
geschenkt bekam - ein Fahrgast hatte sie auf der Rückbank des väterlichen | |
Taxis liegen lassen. "In der Familie hatte niemand Zeit, sich mit diesem | |
Gerät zu befassen", so Cagliari, "ich hingegen studierte das Objekt und | |
fand heraus, wie man es bedienen musste." Mit 14 Jahren entstanden die | |
ersten Bilder, heute im Besitz eines Schweizer Kunstsammlers: "Landschaften | |
auf dem Weg zu einer Textilfabrik". Emilios Vater war dazu übergegangen, | |
den Jüngsten im Auto schlafen zu lassen. So hielten sich die Verspätungen | |
zur ersten Schulstunde im Rahmen. Auf dem Rückweg nach Neapel machte der | |
zukünftige Starfotograf seine ersten Aufnahmen. Von den "Landschaften" sagt | |
der Kunstkritiker Simon Washburne: "Man kann sich nicht vorstellen, dass | |
Emilio Cagliari zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, welche Melancholie dem | |
Mezzogiorno innewohnt und welche Farben die Vergänglichkeit trägt. Doch | |
irgendwie scheinen diese Kenntnisse bereits in ihm vorhanden gewesen zu | |
sein." | |
Obwohl Emilio seine Bestimmung gefunden zu haben schien, wechselte er | |
dennoch das Thema. Nachdem der Vater seinen Schulabschluss beschlossen | |
hatte, erforschte Emilio das Nachtleben Neapels, im Besonderen die Bars und | |
Clubs, in denen Rock n Roll gespielt wurde. "Es war eine Offenbarung", | |
schreibt er, "ich wusste genau: Diese Bilder braucht die Welt." | |
Und sie tat es, denn Emilio Cagliari hatte ein untrügliches Gespür dafür, | |
welche Musiker oder Bands in den kommenden Jahren zu Weltruhm gelangen | |
würden. Zunächst begleitete er noch Eintagsfliegen wie die Terroni, doch | |
schon bald verkaufte er die ersten Exklusivaufnahmen des damals noch | |
langmähnigen Adriano Celentano; er stand in der ersten Reihe des Hamburger | |
"Star Clubs" und fotografierte die Beatles; er ging dem Gerücht nach, um | |
einen gewissen Mick Jagger habe sich eine sagenhafte Band formiert. | |
"Ich hielt einfach nur drauf", sagt Cagliari heute bescheiden und gibt | |
damit immer wieder Neidern Nahrung, die seine Kunst als "zufällig" oder gar | |
"austauschbar" bezeichnen. "Backstage. 50 Jahre Rockfotografie" straft sie | |
Lügen. Nicht nur, dass der Jubiliar bis heute seinem Beruf nachgeht und | |
somit auch die junge Generation der Rockmusik in seinem eigenwilligen Stil | |
porträtiert, er hat aus seinem Erfolgsrezept nie ein Geheimnis gemacht: "Es | |
gibt nur einen einzigen Moment, in dem der Fotograf abdrücken darf. Und den | |
musst du erwischen." | |
CAROLA RÖNNEBURG | |
2 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Carola Rönneburg | |
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