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# taz.de -- Bhutan am Beginn der Demokratie: Öko-Idylle mit Glücksversprechen
> Einhundert Jahre haben die Könige von Bhutan ihr Land mit strenger Hand
> absolutistisch regiert und beschützt. Jetzt öffnet sich Bhutan immer mehr
> dem Westen
Bild: Das Königreich Bhutan wählt erstmals eine Nationalversammlung
Das sonnige Felsplateau ist von Reisfeldern umgeben. Eine Handvoll
dreistöckiger, bemalter Holzhäuser verteilt sich über das Tal. In der Ferne
ruft jemand laut nach seinen Rindern, in der Nähe dringt das Geräusch eines
alten Webstuhls aus einem Bauerngehöft. Dazu pfeift der Wind, hier auf über
2.000 Meter Höhe im Himalaja. Töne und Bilder überlagern sich - als säße
man bei meditativer Musik vor dem Hintergrund einer kitschigen Postkarte.
Aber in Bhutan erscheint vieles irreal.
An der einsamen Serpentinenstraße gegenüber stehen viele Menschen, obwohl
wenig passiert. Mit drei Fingern zieht Tsewang den Pfeil nach hinten,
spannt konzentriert den Bogen. „Zisch“ - einhundertzwanzig Meter entfernt
trifft der armlange Pfeil genau ins Schwarze einer kleinen Scheibe am
Boden. Fünf alte Bhutaner mit vom Betelnusskauen rot gefärbten Zähnen
jubilieren, singen das traditionelle Lied des erfolgreichen Schützen. Sie
heben die Arme, als seien sie Vögel, drehen sich gemeinsam, auf einem Bein
stehend. So will es die Tradition. Nicht Fußball, sondern Bogenschießen ist
hier Nationalsport, selbst bei Olympia ist das unbekannte Bhutan vertreten.
Aber neben den tief buddhistisch inspirierten Traditionen des Landes ist
die Gesellschaft im Wandel: Bhutan hat ein Parlament gewählt.
In Chunphel, einem Weiler in den Wolken, kommt die Demokratie in
Gummistiefeln ins Dorf. Dorji schwitzt, er trägt die Wahlkabine auf dem
Rücken. Auf blauen Brettern steht gut sichtbar „voting compartment“ - in
Englisch und in Dzongka, der Nationalsprache. Ein anderer trägt das große
Wahlbuch mit Farbfotos von jedem Wähler, denn Familiennamen gibt es in
Bhutan nicht. Der Treck der Wahlkommission ist über wackelige Hängebrücken
tagelang unterwegs in Bumthang, einer abgelegenen Region in Zentralbhutan.
Aus einfachen Bauernhäusern, traditionell mit einem großen Phallus und
vielen bunten Ornamenten geschmückt, werden sie wie Marsmenschen beäugt.
Wie in einer heiligen Prozession schreiten sie feierlich und still über die
sanften Hügel. Mit dem Wahltag in Bhutan beginnt eine neue Zeit. So ist
auch Dorji, der bald 60-jähriger Bauer mit der Wahlkabine, heute mal
Wahlhelfer. Er hat in Bhutan, kaum größer als Niedersachsen, jahrzehntelang
ungestört gelebt: hat seine Reisfelder bestellt, seine Rinder durch den
Frühnebel des Himalaja geführt, hat drei Kinder groß gezogen. Er hat
Butterlampen vor buddhistischen Altären entzündet, in den Klosterburgen den
Mönchen bei den farbenprächtigen Tänzen zugeschaut - und einmal hat er mit
eigenen Augen sogar den König von Bhutan gesehen, der im Auto an der fernen
Straße vorbeikam.
Ein Bild der Königsfamilie hängt über seinem Hausaltar gleich neben dem
unverzichtbaren Ofen, dem Mittelpunkt jedes bhutanischen Familienlebens.
Heute aber ist ein historischer Tag. Denn „Druk Yul“, das Land des
Donnerdrachens, wie es sich selber nennt, katapultiert sich aus dem
Mittelalter in die Neuzeit. Und: Der König selbst hat seine absolute Macht
eingesetzt, um diese Demokratie einzuführen. Eigentlich gegen den Willen
seines Volkes. Ein weltweit einmaliger Vorgang.
Groß ist die Angst, dass jetzt alles schlechter wird, dass es Streit gibt,
wie in den Nachbarländern. Alles ist neu. „Für menschliche Werte können wir
uns einsetzten, aber für sich selbst zu werben, das ist unbhutanisch“, sagt
einer der Wahlkandidaten, der gerade schüchtern von Haus zu Haus geht. Es
ist eine Demokratie von oben. Berechtigt ist die Angst vor dem
aufgezwungenen Pluralismus allemal, denn ein Jahrhundert lang haben Könige
das Land und seine kaum 800.000 Einwohner in einer Erbmonarchie zwar streng
kontrolliert, aber auch vergleichsweise gerecht verwaltet.
Bhutan gab sich traditionell verschlossen und bei Innovationen immer
vorsichtig - die eigene fragile Kultur musste geschützt werden. Der sanfte
Staat greift überall regelnd ein. Manche nennen den König einen
„Extremisten des Guten“, der wie ein besorgter Vater hier verbietet und
dort beschützt und der den Bürgern und dem Land das Recht auf ungebremste
Entwicklung immer wieder vorenthält. Doch so hat Bhutan viele Probleme der
Nachbarländer, von Gewalt über Korruption bis zu Aids, bisher erfolgreich
verhindern können. Lediglich das ungelöste Minderheitenproblem mit
Bhutanern nepalischer Herkunft, die zu Zehntausenden in Lagern an der
Grenze leben, ist noch immer ungelöst. Kritiker sprechen von einer
Ökodiktatur, die mutig der westlichen Welt des Konsums widerstand: Kein
Burger King oder McDonalds, kaum ausländische Investitionen. Mindestens 60
Prozent des Landes müssen laut Verfassung immer bewaldet bleiben, weitere
20 Prozent sind Nationalparks. Die Häuser müssen in bhutanischem
Holzbaustil gebaut werden, die Bürger sind angehalten, ihre Nationaltracht
statt etwa Jeans zu tragen. Flüsse, Tiere und Berge sind per Dekret streng
geschützt, im ganzen Land herrscht Rauchverbot.
In der kleinen „Om-Bar“, dem In-Treff der Jugend in der Hauptstadt Thimphu,
wird heimlich geraucht. Hier und da blitzt auch eine Jeans auf, in High
Heels stöckeln junge Mädchen fröstelnd über die groben Holzdielen. Im Land
ohne Heizungen begrüßen sie sich wie in Paris mit Wangenküsschen - und
scharen sich dann um kleine Heizlüfter und trinken bhutanisches „Druk
11000“ Bier. Überall hängen plötzlich Wahlplakate, aber über Politik mag
dennoch keiner reden. Man kennt sich schlicht nicht aus. In der dörflich
anmutenden Hauptstadt mit kaum 70.000 Einwohnern, wo zwischen dem einzigen
Kino und der einzigen Tankstelle noch immer ein Schutzmann mit
theaterreifen Gesten den Verkehr regelt, hat sich vieles verändert. Seit
ein paar Jahren gibt es Satellitenfernsehen und Handys, sogar Mönche sieht
man telefonierend in den jahrhundertealten Klöstern und Dzongs, die von
Touristen bei Tempelfesten gern besucht werden.
Punakha, die alte Königsstadt mit einer malerischen weißen Festung,
erreicht man nach der Fahrt über den Dochu-la-Pass. Auf über 3.000 Meter
Höhe geht der Blick über schneebedeckte Bergriesen an der Grenze zu Tibet.
Für die Abfahrt macht der Fahrer sogar den Motor aus - nach einhundert
Serpentinen ist man im Tal. Dort wird gerade der Bauernführer Sangay Ngedup
mit weißen Glücksschals wie ein König empfangen. Vor ein paar Monaten hat
er die „Bhutanische Volkspartei“ gegründet, eine von zwei Gruppierungen,
die Regierung und Opposition unter sich ausmachen. Ein paar Bergkuppen
weiter spricht vor einem Nomadenzelt Jigme Thinley, der andere große
Politiker, leise zu den Anhängern seiner „Harmoniepartei“ DPT. Inhaltlich
unterscheidet man sich kaum, beide Parteien wollen erst mal den Spuren des
Königs folgen - wer das nicht macht, hat wohl schon verloren. Doch das Volk
tut sich mit der Politik generell schwer. „Allein mein Finger wird mich am
Wahltag führen“, sagte ein Bauer lächelnd - und dreht dann viel lieber
wieder zwei Meter große Gebetsmühlen vor einem jener Tempel, die ihm viel
mehr bedeuten als diese neue Idee. Am Wahltag ist alles dann doch
überraschend einseitig bei Bhutans erster freier Wahl: Thinley, der
Außenpolitiker, gewinnt gegen Ngedup, den Bauernführer, haushoch - ändern
wird sich sowieso wenig.
Im Tal von Paro, wo der einzige Flughafen des Landes weithin sichtbar
direkt an eine Tempelburg grenzt, bestellen Bauern weiter mit Holzpflügen
ihre Felder. Die Dorfbewohner kauen Betelnuss, tragen weiter ihre seidenen,
kimonoartigen Mäntel. Willkommen in der Postkartenidylle. Und der König,
der sich selbst entmachtet hat, arbeitet weiter an Bhutans vorsichtiger
Entwicklung. Bhutan, das immer etwas andere Land, verspricht seit Jahren
offiziell, die Zufriedenheit der Bürger per Gesetz in den Mittelpunkt
seiner Politik zu stellen. Bruttosozialglück zähle mehr als das
Bruttosozialeinkommen. „Gross National Happiness“ hat der weise König
verordnet.
Mag die ganze Welt dem Geld hinterherrennen - Bhutan genügt es, am Glück zu
arbeiten. Tsewang, der tanzende Bogenschütze aus Bumthang, hat noch ein
paarmal getroffen, sein Dorf hat den Wettkampf schließlich gewonnen.
Gewählt hat Tsewang übrigens nicht. Dafür hatte er keine Zeit. Er hatte
Wichtigeres zu tun: Die Rinder mussten versorgt werden.
3 Apr 2008
## AUTOREN
Andreas Hilmer
## TAGS
Wahlen
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