# taz.de -- Umstrittenes Pferde-Galopprennen: Der Tag der Buchmacher | |
> Beim Grand National hält der Brite geliebte Traditionen hoch: Pferde | |
> stürzen, der Adel defiliert, und Tierschützer von Animal Aid wettern | |
> gegen "eine tödliche Industrie". | |
Bild: Beinahe so umstritten wie das Rennen selbst: die Zuschauerinnen. | |
DUBLIN taz Die Vorfreude ist groß bei den englischen Buchmachern. Das Grand | |
National, das heute in Aintree bei Liverpool ausgetragen wird, lockt auch | |
Menschen ins Wettbüro, die nicht viel von Pferden verstehen. Das muss man | |
beim Grand National nicht, eine Wette ist wie ein Lotterielos. Vier Mal in | |
der Geschichte gewann sogar der krasseste Außenseiter mit einer Wettquote | |
von 100:1, weil die Favoriten auf der Strecke geblieben waren - im wahrsten | |
Sinn des Wortes: In den letzten zehn Jahren sind 30 Pferde in Aintree | |
gestorben. Mehr als 23 Pferde, wie im Jahr 1984, sind nie ins Ziel | |
gekommen. 1928 waren es nur zwei. | |
Deshalb ruft das Rennen Jahr für Jahr Tierschützer auf den Plan. Auch | |
diesmal hat die Organisation Animal Aid die "Horse Racing Awareness Week" | |
ausgerufen - die Woche, in der man sich Pferderennen ins Bewusstsein rufen | |
soll. "Wenn Menschen wetten, finanzieren sie eine rücksichtslose, tödliche | |
Industrie", heißt es in der Presseerklärung, die mit der vom vorigen Jahr | |
identisch ist. Auch heute wird es wieder Demonstrationen vor den Wettbüros | |
geben. | |
Anhaben können die Proteste der Popularität des berühmtesten | |
Hindernisrennens der Welt nichts. 600 Millionen Zuschauer weltweit | |
verfolgen das Rennen im Fernsehen. Es geht über zwei Runden mit einer | |
Gesamtlänge von 7,2 km und 30 Hindernissen. Manche haben Namen wie "The | |
Chair" oder "Canal Turn". | |
Das schwierigste Hindernis ist die Nr. 6, "Beechers Brook", mit einem | |
Graben auf der tiefer liegenden Seite. Es ist benannt nach Captain Martin | |
Beecher, der hier 1839 stürzte. Inzwischen hat man das Hindernis etwas | |
entschärft, und man hat weitere Zugeständnisse an die Tierschützer gemacht. | |
Bei keinem anderen Rennen der Welt sind so viele Veterinäre im Einsatz. | |
Darüber hinaus, so betonen die Veranstalter, gibt es strenge Regeln für den | |
Gebrauch der Peitsche. Für die Missachtung dieser Regeln interessiert sich | |
nicht nur die Rennleitung, sondern auch die Polizei. Die ermittelt zurzeit | |
gegen den Jockey Eddie Ahern, der im Dezember bei einem Rennen in Southwell | |
sein Pferd absichtlich traktiert hatte, damit er seine Sperre in einer Zeit | |
absitzen konnte, in der keine wichtigen Rennen stattfanden. Es ist wie bei | |
einem Fußballer, der sich die fünfte Gelbe Karte abholt, damit er für das | |
nächste, unwichtige Spiel gesperrt ist und danach wieder mit weißer Weste | |
antreten kann. | |
Das erste Grand National fand 1839 statt, obwohl einige Historiker | |
behaupten, dass das Rennen bereits seit 1836 in Aintree ausgetragen wurde. | |
Während des Ersten Weltkriegs war die Rennbahn geschlossen, man musste 1916 | |
bis 1918 nach Gatwick auf das Gelände ausweichen, auf dem heute der | |
Londoner Flughafen steht. | |
Peter Simple war 1853 mit 15 Jahren der älteste Sieger, Bruce Hobbs 1938 | |
mit 17 der jüngste. Simple war ein Pferd, Hobbs ein Jockey. Sehr beliebt | |
ist das Grand National auch bei der Königsfamilie. 1900 gewann Ambush II, | |
das Pferd des späteren Königs Edward VII. 1956 hätte die Queen Mother den | |
Erfolg beinahe wiederholt, doch ihr Pferd Devon Loch, das deutlich in | |
Führung lag, machte 45 Meter vor dem Ziel aus unerklärlichen Gründen einen | |
Luftsprung und warf den Jockey ab. | |
2005 wurde das Rennen wegen der Hochzeit von Prinz Charles und Camilla | |
Parker-Bowles um 25 Minuten verschoben. 1997 musste man es aufgrund von | |
Bombendrohungen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) sogar absagen und | |
zwei Tage später nachholen. Das schwärzeste Jahr war jedoch 1993. Das | |
Startband schnellte nicht richtig hoch, aber 30 Jockeys hielten die rote | |
Fahne, die einen Fehlstart signalisiert, für ein Protestbanner von | |
Tierschützern und ignorierten sie. Das Rennen wurde für ungültig erklärt. | |
Das Grand National hat zwei Spielfilme inspiriert: "Champions", der die | |
Geschichte von Bob Champion erzählt, der das Rennen 1981 gewann, obwohl ihm | |
die Ärzte zwei Jahre zuvor wegen seines Krebsleidens nur noch wenige Monate | |
gaben; und "National Velvet" mit Elizabeth Taylor, eine romantische Story | |
um eine junge Trainerin, deren Pferd am Ende siegt. In Wirklichkeit ist das | |
Grand National eher Männersache. Nur zwölf Stuten haben es jemals gewonnen, | |
und erst 1977 nahm zum ersten Mal ein weiblicher Jockey teil. Charlotte | |
Brews Pferd scheute vor dem viertletzten Hindernis. | |
Nach den neuen Regeln dürfen nur Pferde starten, die mindestens sechs Jahre | |
alt sind. Das Teilnehmerfeld ist auf 40 Pferde begrenzt, 99 sind in diesem | |
Jahr angemeldet worden. Das Grand National ist ein Handicap-Rennen, das | |
heißt, dass die Pferde je nach den bisher gezeigten Leistungen | |
unterschiedliche Gewichte tragen müssen. Klarer Favorit ist heute Cloudy | |
Lane. Trainer Donald McCain war schon als Kleinkind mit dem Grand National | |
vertraut: Sein Vater Ginger McCain trainierte Red Rum, der 1973, 1974 und | |
1977 in Aintree gewann. In den beiden dazwischen liegenden Jahren wurde er | |
Zweiter. Das hat kein anderes Pferd geschafft, aber Red Rum war ja mehr als | |
ein Pferd, er war eine Institution. Nach seinem letzten Sieg in Aintree | |
begann für ihn der Ernst des Lebens. Er reiste durch das Land und eröffnete | |
Supermärkte und Wettbüros, stand auf der Bühne, fuhr Fahrstuhl und trat bei | |
Wohltätigkeitsveranstaltungen auf. Und jedes Jahr führte er die Parade in | |
Aintree an, wo eine lebensgroße Statue an ihn erinnert. Zu seinem 30. | |
Geburtstag im Mai 1994 hatte McCain dem Pferd eine Karottentorte gebacken, | |
zur Feier reisten Jockeys und Pferdenarren aus allen Ecken des Vereinigten | |
Königreiches an. | |
Ein Jahr später erlitt das Pferd einen Kreislaufkollaps und musste | |
eingeschläfert werden. In Menschenjahren gerechnet ist er hundert geworden. | |
"Der alte Knabe hatte ein wundervolles Leben und war mein bester Freund", | |
sagte McCain. Man hat Red Rum unter der Ziellinie in Aintree begraben. | |
McCain gewann das Grand National 2004 noch einmal mit Amberleigh House. Die | |
Chancen, dass sein Sohn ihm das nachmachen kann, stehen gut: Laut | |
Wetterbericht soll es heute trocken und mild bleiben, und das liegt Cloudy | |
Lane. Allerdings könnte ihm der von Arthur Moore trainierte King Johns | |
Castle gefährlich werden. Moores Vater Dan hatte 1975 LEscargot geritten | |
und Red Rum besiegt. | |
5 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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