# taz.de -- Forscher über linke Stadtentwicklung: "Neoliberal sind immer die a… | |
> Linke Stadtpolitik ist keine Einbahnstraße ins selbstbestimmte Glück. | |
> Nicht in Zeiten, in denen Kreativität Vermarktungsfaktor ist. | |
> Stadtfoscher Armin Kuhn und Jenny Künkel über den Stand der Dinge. | |
Bild: Aus der gammeligen Kastanienallee wurde eine schicke Flaniermeile - auch … | |
taz: Frau Künkel, Herr Kuhn, Berlin hat gerade die | |
10-Millionen-Euro-Kampagne "be Berlin" gestartet, in der es unter anderem | |
mit dem Erfolg der Rütli-Schüler wirbt - typisch für die neoliberale Stadt? | |
Jenny Künkel: Auf jeden Fall. Städte konkurrieren verstärkt miteinander, | |
und städtische Eliten reagieren darauf mit Standortpolitik und | |
Wettbewerbsförderung. Sie versuchen Unternehmen anzuziehen, | |
Mittelschichten, TouristInnen. Dafür gilt das Image einer Stadt als | |
zentral. | |
Armin Kuhn: Dieses Bild versuchen die Städte durch Kampagnen zu schaffen | |
oder durch Großprojekte, die Hafencity in Hamburg zum Beispiel. Und durch | |
"Events", die über die Stadt oder zumindest den Stadtteil hinaus | |
ausstrahlen. | |
Klingt doch ganz gut. | |
Kuhn: Solche Großprojekte beschleunigen Umstrukturierungen, umstrittene | |
Projekte werden im Vorfeld "noch kurz" durchgedrückt. In Barcelona wurde | |
anlässlich der Olympischen Spiele 1992 die Innenstadt saniert, das | |
Fischerviertel abgerissen und durch ein schickes Hafenquartier mit | |
Stadtstrand ersetzt. | |
Künkel: An sich ist die Sanierung von Stadtvierteln nicht problematisch. | |
Problematisch ist, dass sie oft mit Verdrängung verbunden ist. In Barcelona | |
sind die Mieten in der Innenstadt stark gestiegen. Die Leute, die sich das | |
nicht mehr leisten können, ziehen weg. Dass das auch ein Ziel der Maßnahmen | |
ist, macht die Rhetorik deutlich, die solche Aufwertungen begleitet: da | |
wird von "revitalisierten Stadtvierteln" gesprochen. Dabei waren das sehr | |
vitale Gebiete. Es lebten und arbeiteten dort nur andere Gruppen, die nicht | |
so zahlungskräftig waren oder nicht weiß. | |
Was waren die Gründe für die Änderung in der Stadtpolitik? | |
Kuhn: Seit den 1980ern stand den Kommunen wegen der Änderung der | |
Wirtschaftspolitik immer weniger Geld zur Verfügung. Gleichzeitig nahmen | |
durch höhere Arbeitslosigkeit die sozialen Probleme zu. Auf der Suche nach | |
einer Lösung dieser verzwickten Situation kam es ab Mitte der 1980er zu | |
einer Öffnung der Stadtpolitik gegenüber neuen Akteuren. Mieterräte, Runde | |
Tische, BewohnerInnen durften mehr als zuvor mitbestimmen, was in ihrem | |
Viertel passiert. Hausprojekte und linke Initiativen bekamen Zuschüsse für | |
ihre Arbeit oder die Sanierung der Häuser. | |
Eine Ihrer Thesen ist, die städtischen sozialen Bewegungen hätten - teils | |
unwissentlich - zur Durchsetzung neoliberaler Politik beigetragen. | |
Künkel: Dass Forderungen von Bewegungen in offizielle Stadtpolitik | |
übernommen wurden, war ein Erfolg der Bewegungen und hart erkämpft. Dennoch | |
bleibt die Sache ambivalent. Die alternativen Projekte bildeten auch eine | |
innovative und materielle Ressource für die finanzschwachen Kommunen. | |
Wohlfahrtsstaatliche Leistungen wurden auf alternative Projekte abgewälzt. | |
Die halfen, die schlimmsten Verwerfungen der neoliberalen Politik | |
abzufedern, und trugen so zu einem reibungslosen Ablauf der | |
Umstrukturierungen, oft auch der Aufwertungsprozesse bei. | |
Kuhn: Die Integration war natürlich stark selektiv. Auf die offizielle | |
städtische Politik ließen sich jene Bewegungsteile ein, die einen | |
bestimmten Wissensstand besaßen, die sich auf die technokratischen Details | |
der Stadtplanung einlassen konnten oder wollten. Das führte zu einer | |
Spaltung zwischen einem integrierten, anerkannten Teil der Bewegung und dem | |
Rest, der noch härterer Repression ausgesetzt war. Die | |
Hausbesetzungsbewegung hat zur neoliberalen Umstrukturierung beigetragen, | |
aber sie hat auch darunter gelitten. | |
Lief das bei der nächsten Besetzungswelle Anfang der 90er ähnlich? | |
Kuhn: Wie die neoliberalen Muster funktionieren, sieht man an den | |
Besetzungsbewegungen der 1990er noch viel deutlicher. Zum einen, weil sich | |
neoliberale Politik zu der Zeit schon durchgesetzt hatte. Zum anderen lag | |
das auch an der Bewegung selbst. Es gab radikale Teile, insgesamt war die | |
Bewegung in den 1990ern aber viel unpolitischer. Die Besetzungen geschahen | |
teils schon mit der Absicht, die Häuser zu kaufen. Vor allem fehlte den | |
BesetzerInnen in den 1990ern aber der Rückhalt einer breiten | |
gesellschaftlichen Bewegung. | |
Deshalb sind "alternative" Berliner Bezirke der 1990er wie Prenzlauer Berg | |
heute die angesagtesten Viertel für die besserverdienende Mittelschicht? | |
Künkel: Die BesetzerInnen- und KünstlerInnenszene wurde selbst zum | |
Standortfaktor. Sie bereitete den Stadtteil quasi zur Aufwertung vor. Die | |
BesetzerInnen hatten oft selbst einen Mittelschichts-Hintergrund, ein hohes | |
Bildungsniveau und waren überwiegend weiße Deutsche. Und gerade die "Szene" | |
macht das Viertel attraktiv. Berlin wirbt ja immer noch mit seinen | |
kreativen, "alternativen" Stadtvierteln. Das ist gerade ein Problem des | |
Neoliberalismus: Es ist so schwierig, sich abzugrenzen, weil fast alles | |
vermarktet werden kann. Selbst das Sexgewerbe auf der Berliner | |
Oranienburger Straße oder in Hamburg-St. Pauli werden als "authentischer" | |
Teil eines Vergnügungsviertels für das Stadtmarketing entdeckt. | |
Heißt die Auftaktveranstaltung des Kongresses deshalb "Linker | |
Neoliberalismus"? | |
Kuhn: Wir wollen mit der Veranstaltung auch unsere eigene Arbeitsweise | |
problematisieren. Neoliberal, das sind in der Vorstellung vieler Linker | |
immer die anderen: Investoren von Großprojekten, die Stadtregierungen, | |
private Wachdienste, freie Träger, die ehemals städtische Dienstleistungen | |
übernehmen. Dabei unterscheiden sich die Arbeitsweise und die Organisation | |
vieler linker Projekte und Initiativen kaum von typisch "neoliberalen" | |
Unternehmen. Linke Projekte sind oft gerade Vorreiter, was das angeht: | |
Selbstausbeutung, Projektorientierung, kollektives Arbeiten, die Aufhebung | |
der Trennung von Erwerbsarbeit und Freizeit, so ein Spielen mit prekären | |
Identitäten. | |
Neoliberalismus und linke Bewegungen sind gar nicht so verschieden? | |
Kuhn: Es gibt Übereinstimmungen, was die Forderungen betrifft, strukturelle | |
Gemeinsamkeiten. Das ist verständlich, weil Neoliberalismus und neue | |
soziale Bewegungen ihren Ursprung in einem gemeinsamen Gegner haben. Die | |
sozialen Bewegungen, die in 1980ern entstanden sind - Öko-, Frauen-, | |
Besetzerbewegung und all die anderen -, kämpften gegen den Fordismus, gegen | |
starre Lebensentwürfe, gegen die Bevormundung durch einen | |
paternalistischen, bürokratischen Staat. Gegen den richtete sich auch der | |
Neoliberalismus. | |
Künkel: Selbstorganisation, Freiräume, Autonomie, die Basis vieler linker | |
Projekte, das waren im Fordismus provokante und systemkritische | |
Forderungen. Aber heute sind genau das die Anforderungen: | |
Eigenverantwortlichkeit, Kreativität, Flexibilität. | |
Ist das nicht positiv: Der Neoliberalismus erfüllt die Forderungen der | |
Linken? | |
Kuhn: Er erfüllt sie ja nicht so, wie sie gedacht waren. Es ist keine | |
Autonomie, wenn man ständig nach dem ökonomischen Wert einer Handlung | |
fragen muss, sich bewusst oder unbewusst an einer Verwertungslogik | |
orientiert. | |
Künkel: Einerseits wird kollektive Arbeit hoch bewertet, andererseits ist | |
es viel schwieriger, sich wirklich kollektiv zu organisieren. Die | |
Absicherung ist heute viel geringer als vor 20 Jahren, es gibt eine größere | |
Notwendigkeit, zu sehen, wie man überleben kann. Problematisch wird das, | |
wenn die ökonomischen Notwendigkeiten in die Bewegungen zurückwirken. Es | |
wird dann immer schwieriger, Projekte zu machen, die sich nicht auch noch | |
für den Lebenslauf mitnutzen lassen. | |
Also zurück zum Wohlfahrtsstaat, weil es dort für die Linke leichter war? | |
Kuhn: Auf keinen Fall. Die Forderung nach Selbstbestimmung ist ja nicht | |
diskreditiert, nur weil sie inzwischen Teil eines neoliberalen Projekts | |
ist. Im Gegenteil, es ist umso nötiger zu zeigen, dass Selbstbestimmung | |
mehr ist als individuelles Unternehmertum, Menschen mehr sind als | |
KonsumentInnen. Es ergeben sich in der neoliberalen Stadt neue Spielräume | |
und Angriffspunkte, und es gibt auch schon viele Beispiele, wie Gruppen die | |
nutzen. | |
Künkel: Es ist wichtig für soziale Bewegungen, materielle Aspekte wieder | |
stärker einzubeziehen, die Frage: Wovon leben wir überhaupt und wovon die | |
anderen? Und neue Formen der Kooperation zu suchen, die die Konkurrenzlogik | |
außer Kraft setzen, zwischen den Individuen und den Projekten. Das zu | |
diskutieren, ist auch ein Ziel der Konferenz. | |
INTERVIEW JULIANE SCHUMACHER | |
9 Apr 2008 | |
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