Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Stammzellendebatte im Bundestag: Streit um Frischzellenkur
> Der Bundestag entscheidet über die Einfuhr embryonaler Stammzellen. Ohne
> Fraktionszwang. Für manche geht es um Leben und Tod, andere fürchten um
> die Freiheit der Wissenschaft.
Bild: Arbeit an der befruchteten Eizelle: Lizenz zum Töten oder lebensrettende…
Darum geht es also: Auf dem Bildschirm ist etwas zu sehen, was entfernt an
Schimmel oder Schaum erinnert, Tausende winzige Gebilde, halb so groß wie
Fingernägel. Kleine Kreise bilden sich heraus, kapseln sich ab, das alles
in 200facher Vergrößerung. Es ist das Bild dessen, was ein Mikroskop auf
einer handtellergroßen Petrischale zeigt.
Der Stammzellforscher Jürgen Hescheler bewegt das Schälchen unter dem
Mikroskop. Worauf er gerade schaut, ist Leben, beginnendes menschliches
Leben. Genauer sind es rund 10.000 embryonale Stammzellen im Labor des
Kölner Instituts für Neurophysiologie. Und die große ungelöste Frage heißt:
Haben diese unscheinbaren Bläschen, haben diese embryonalen Stammzellen
Menschenwürde?
Das ist der Kern einer komplizierten Debatte, die derzeit in der
Bundesrepublik in Politik und Gesellschaft mit Bitterkeit, Polemik und
wissenschaftlicher Korinthenkackerei geführt wird. Es geht im wörtlichen
Sinne um Leben und Tod. Am Freitag steht der Bundestag vor der
Entscheidung, ob deutsche Wissenschaftler aus dem Ausland neue, jüngere
embryonale Stammzellen beziehen und verbrauchen dürfen - manche sagen:
töten dürfen.
Anhörungssaal 3.101 des Bundestags. Der Forschungsausschuss hat zu einer
Anhörung zur "Änderung des Stammzellgesetzes" geladen. In dem stickigen
Raum herrscht eine aufgeladene, fast aggressive Atmosphäre. Der Forscher
Hans Schöler mault herum. "Ich finde es bezeichnend, dass man bis nach
England gehen muss, um jemanden zu finden, der an adulten Stammzellen
forscht", sagt er hinüber zu dem von der Insel angereisten Colin McGuckin,
der Professor für Regenerative Medizin in Newcastle ist. Einem anderen
Kollegen, ebenfalls anwesend, spricht Schöler gar ab, ein Forscher zu sein.
Hans Schöler arbeitet am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in
Münster, und er ist einer aus der Fraktion der Embryonalen, das heißt:
Schöler forscht an embryonalen Stammzellen. Und das ist fast
gleichbedeutend damit, dass er den Adulten, den Kollegen, die an adulten
Stammzellen forschen, ziemlich unverblümt klarmacht: Ihr habt doch keine
Ahnung!
Die Nerven liegen blank bei den hiesigen Wissenschaftlern, die an
embryonalen Stammzellen forschen. Ihr Forschungsobjekt ist mehr als
umstritten. Sie forschen an und zerstören dabei befruchtete Eizellen, aus
denen im Mutterleib normalerweise Menschen wachsen würden. Ihr Versprechen:
Mit diesen Zellen werden wir irgendwann einmal Krankheiten heilen können.
Ihr Problem: Auch nach zehn Jahren weltweiter Forschung haben sie praktisch
keine Erfolge vorzuweisen. All ihre Mühen sind bisher Grundlagenforschung.
Auch embryonale Stammzellforscher räumen ein, dass ihre Arbeit vielleicht
erst in 10 oder 30 Jahren bei der Therapie am Menschen Erfolge haben wird.
Wenn überhaupt.
Auch der Bundestag streitet. Es gibt eine offene, von allen
Fraktionszwängen befreite Debatte. Und das nicht zum ersten Mal. Schon vor
sechs Jahren hatten die Volksvertreter beschlossen, dass die embryonale
Stammzellforschung in Deutschland erlaubt ist - aber nur, wenn sie
ausschließlich Zellen benutzt, die aus dem Ausland kommen und bis zum
Stichtag 1. Januar 2002 entstanden sind. Den Forschern aber reicht das
nicht. Sie argumentieren, dass diese Zelllinien zu alt und inzwischen
verschmutzt seien. Deshalb wollen sie, dass der Bundestag den Stichtag
verschiebt: auf den 1. Mai 2007. Nur so kämen sie an neuere und angeblich
bessere Zelllinien.
Über solche Argumente der "embryonalen Eleven", wie er sagt, kann Bodo
Strauer in der Klinik für Kardiologie der Universität Düsseldorf
bestenfalls lächeln. Er forscht an adulten Stammzellen. Sie werden, anders
als embryonale Stammzellen, nicht aus befruchteten Eizellen gewonnen,
sondern aus dem Knochenmark von Patienten, weshalb sie ethisch problemlos
und jederzeit verfügbar sind. Und sie sind erfolgreich, erzählt der Mann,
der für viele Kardiologen ein Star seiner Zunft ist.
In einem seiner OPs zeigt Strauer an einem Computer schwarz-weiße
Röntgenfilme, die während jüngsten Operationen am Herzen entstanden sind:
Strauer spritzt dabei, vereinfacht gesagt, mit einem Katheter adulte
Stammzellen in den Teil des Herzens, der nach einem Infarkt
funktionsunfähig oder geschwächt ist - und erzielt damit respektable,
manchmal sogar staunenswerte Heilerfolge.
Über 500 Patienten habe er so erfolgreich behandeln können, sagt Strauer.
Die embryonale Stammzellforschung dagegen, so betont er, sei bisher nur
"reines Wunschdenken". Darin liegt für Strauer die Crux. Für die embryonale
Grundlagenforschung werde menschliches Leben "im Labor malträtiert". Man
dürfe sich mit dieser Forschung aber nicht "verzetteln", denn die adulte
Variante sei viel zukunftsträchtiger.
Allerdings ist Strauer nicht nur eine Koryphäe unter Forschern, auch die
katholische Kirche sieht ihn sehr gern. Es gibt Fotos, die Strauer
händeschüttelnd beim Papst zeigen. Das war bei einem Weltkongress
katholischer Ärzte, zu dem er als Experte geladen war - obwohl Strauer
evangelisch ist. In manchen kirchlichen Kreisen gilt der Forscher aus
Düsseldorf als eine Art Geheimwaffe gegen die embryonale
Stammzellforschung. Strauer beweist das, was die Bischofskonferenz für gut
erachtet. Eine Verschiebung des Stichtags lehnen die katholischen Bischöfe
ab, sie wollen am liebsten gar keine Forschung an den embryonalen
Stammzellen.
Der Streit über die embryonalen Stammzellen hat die beiden großen Kirchen
in Deutschland entzweit - in den Tiefen des Bundestags ist es ähnlich. Denn
hier bekämpfen sich die Abgeordneten in der Stammzellfrage mit allen
sauberen und unsauberen Tricks des parlamentarischen Systems. Viele, die
den Stichtag gern fallen sähen, würden die Chose am liebsten sehr schnell
und geräuschlos zu Ende bringen, ihre Gegner wollen das Ganze möglichst
lange in der Öffentlichkeit diskutiert sehen. Was alles so kompliziert
macht: Der Fraktionszwang ist in dieser Frage aufgehoben, alle Abgeordneten
können allein nach ihrem Gewissen gehen. Seit der ersten Lesung hat sich
das Parlament im Wesentlichen in vier Gruppen gespalten: Eine will die
Beschränkungen der Forschung an embryonalen Stammzellen ganz aufheben, eine
andere den Stichtag verschieben, eine dritte den Status quo erhalten und
eine vierte das völlige Ende der Forschung hierzulande. Aller Voraussicht
nach wird es am Ende darum gehen, ob der Stichtag verlegt wird oder nicht -
die anderen Anträge haben kaum Chancen. Die Entscheidung wird knapp.
Zurück nach Köln, zu den embryonalen Stammzellen in der Petrischale. "Einen
Embryo würde ich eine befruchtete Eizelle erst dann nennen, wenn sie sich
in der Gebärmutter eingenistet hat, also in gewisser Weise erstmals von der
Mutter angenommen wurde und damit überleben kann", sagt Jürgen Hescheler.
"Das entspricht unter anderem auch der jüdischen Auffassung und wurde
bereits von Aristoteles formuliert." Klar, dass Hescheler die völlige
Freigabe dieser Forschung fordert: "Ich erhalte jede Woche zwei, drei
Briefe, in denen mich Patienten bitten, sie mit embryonalen Stammzellen zu
therapieren - es ist erschreckend, dass diese Patienten dabei jedes Risiko
auf sich nehmen würden. Sie sagen, es sei ihnen egal, was da passieren
könnte, weil sie keine andere große Hoffnung mehr hätten."
Der umtriebige Forscher argumentiert wie viele seiner Kollegen: Seine
Forschung sei noch nötig, um die Erfolge der adulten Forschung zu
überprüfen. Und er hofft wie die meisten auf die neuesten Arbeiten des
Japaners Shinya Yamanaka. Demnach scheint es möglich, adulte Stammzellen so
zu reprogrammieren, dass sie wieder wie embryonale funktionieren. Solche
Zellen machten die Forschung an embryonalen Stammzellen überflüssig: "Wenn
diese Zellen erfolgreich sind, dann wäre ich bereit, längerfristig auf die
Forschung mit embryonalen Stammzellen zu verzichten." Dann bittet Hescheler
seine Mitarbeiter Manoj Kumar Grubta aus Indien und Qamar Lund aus
Pakistan, ihm "schlagende Zellen" zu bringen. Auf dem Bildschirm erscheint
ein faseriger Klumpen von einst embryonalen Stammzellen, die sich in
Herzzellen ausdifferenziert haben - und bereits rhythmisch zucken! Klar,
dass embryonale Stammzellforschung fasziniert.
10 Apr 2008
## AUTOREN
Philipp Gessler
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.