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# taz.de -- Very British: Tempel im Park
> Schon immer galt der Gotische Tempel, der im berühmten Stowe Landscape
> Garden steht, als skurriles Bauwerk. Er bot Parkbesuchern Schutz bei
> Regen
Bild: Das gotische Hotel im Stowe Landscape Gardens
Unser Taxi fährt eine kilometerlange schnurgerade Straße entlang, bis zum
Eingang des renommierten Elite-Internats "Stowe School". Very British. Und
elitär. Der Schulpförtner händigt uns den Schlüssel zu unserer Unterkunft
aus, zu unserem eigenen Tempel (!), der sich wie das Internat auf dem
Gelände der berühmten Stowe Landscape Gardens befindet. Jungen in Weiß
rennen über den Rasen, sicher auf dem Weg zu einem Kricket-Spiel. Hier ist
die legendäre britische Klassengesellschaft auf Schritt und Tritt spürbar,
und nun gehören wir - als Gäste - also auch zum erlauchten Kreis. Wir
fahren und fahren in dem wunderbar wilden Parkgelände umher -
Hinweisschilder gibt es keine. Schließlich biegen wir in einen Feldweg ein.
Da endlich, am Ende einer baumgesäumten Allee, thront er, der imposante
"Gothic Temple", oben auf einem Hügel neben einer pittoresk windgebeugten
Zeder. Uns ist, als stiegen wir in ein altenglisches Landschaftsgemälde.
Und das ist auch gar nicht mal so abwegig, wie sich noch herausstellen
soll.
Der tempelartige Bau mit seinen gotisch spitz zulaufenden Fenstern und
gezackten Türmen wirkt von außen riesig und ehrfurchtgebietend, fast schon
ein wenig einschüchternd. Doch als wir die massive, mit metallenen Fratzen
beschlagene Holztür öffnen, stehen wir in einem luftigen, domartigen Raum,
viel übersichtlicher und daher auch heimeliger als erwartet. Nach oben hin
öffnet er sich in eine prächtige Kuppel, von goldfarbenem Mosaik verziert.
Wir stehen und staunen.
Die Architektur ist genial: Der Grundriss des Gebäudes ist dreieickig, doch
in jedem der drei Ecktürme befindet sich ein rundes Zimmer, und auch der
offene hohe Raum im Zentrum, das Wohnzimmer, bildet durch die Kuppel einen
Kreis im Dreieck. Eine umlaufende Galerie im ersten Stock wiederholt noch
einmal die Rundung. Die sakrale Atmosphäre wird durch die wohnliche
Einrichtung gemildert. Die Farbgestaltung ist bunt, modern. Eine Ess- sowie
eine gemütliche, knallbunte Sofaecke, Bücherschränke und -vitrinen,
bestückt mit Lesestoff über die Historie und die Natur des Parks, und
französische Türen in den hohen gotischen Fenstern, die zum Park
hinausführen.
Die Ecktürme beherbergen allesamt runde Zimmer: eine gut ausgestattete
(runde) Küche, ein (rundes) Bad mit freistehender Wanne und bunten
Fenstern, oben die zwei (runden) Schlafzimmer. - Rudolf Steiner hätte hier
seine helle Freude gehabt! Im ersten Stock blickt man von der kreisrunden
Galerie wie von einem Aussichtsring hinab ins Wohnzimmer oder auch nach
draußen in den Park: Antike Sekretäre und steinerne Sitzbänke laden zum
kreativen oder auch kontemplativen Verweilen ein - bei grandiosem Ausblick
auf die exakt in dieses Blickfeld platzierten Monumente, Tempel und Seen
der berühmten Stowe Landscape Gardens.
James Gibbs, Stararchitekt seiner Zeit und Schöpfer anderer
architektonischer Meisterwerke wie der berühmten Konzertkirche St. Martin
in the Fields in London, schuf den Gothic Temple 1741 bis 1745 als eine
sogenannte Folly, ein kurioses Gebäude, das nicht unbedingt einen
praktischen Nutzen erfüllen musste. In der Tat wurde der Gotische Tempel
nie etwa als Gotteshaus oder Ähnliches genutzt, er erfüllte vielmehr
ziemlich irdische Zwecke: Er diente nämlich der distinguierten Gesellschaft
um Lord Cobham als Regenschutz auf ihren ausgedehnten Spaziergängen durch
den Park. Die fantastische 360-Grad-Panorama-Aussicht vom Dach über der
Kuppel ist auch heute noch ein besonderes Erlebnis. Der Tempel wurde
bewusst so exponiert auf einem Hügel platziert: Sehen, aber auch gesehen
werden, das war das Motto.
Der Gotische Tempel war ein weithin sichtbares politisches Statement seines
Auftraggebers und eine Rebellion Lord Cobhams gegen die Politik seiner
Zeit. Auch unter dem Namen Tempel der Freiheit bekannt, gilt der Gotische
Tempel als Höhepunkt von Cobhams politischer Gartenkunst in Stowe. Sein
berühmter Landschaftsgärtner Lancelot Capabilty Brown trieb seine ureigene
Technik des painting with nature in Stowe zur Meisterschaft: er formte und
komponierte die Landschaft des Parks wie ein Gemälde, indem er durch Bäume,
Monumente, Follies, Brücken, Seen oder auch durch Weite genau kalkulierte
rhythmische Akzente setzte und dem umherschweifenden Auge Orte zum
Verweilen bot. Er wollte jedoch nicht nur ästhetisch erfreuen, sondern auch
den Geist anregen. Die Sorgfalt der Komposition ist deutlich zu spüren,
daher fühlten wir uns beim Anblick des Tempels wohl auch sofort an Malerei
erinnert.
Und nun wohnen wir also in einem Stück vollendeter englischer
Landschaftskunst des 18. Jahrhunderts. Dies ist ein wahrhaft magischer Ort
voll verborgener Bedeutung, politischer Auseinandersetzung und
aristokratischer Annehmlichkeiten des 18. Jahrhunderts. Das Ambiente des
Tempels, der etwas muffige Geruch, die unverputzten Sandsteinwände und das
Fehlen jedweder moderner Kommunikationsmittel wie Telefon, Radio oder gar
TV, all das hilft, uns in die Welt des 18. Jahrhunderts zurückzuversetzen.
Neugierige Blicke und ungläubige Fragen der Spaziergänger, ob wir hier
wohnten und ob man den Tempel wirklich mieten könne, holen uns zurück ins
Hier und Jetzt. Ja, dies ist nach wie vor ein äußerst privilegierter Ort.
Die Lage mitten im wunderschönen Park, bei den Eintritt zahlenden
Tagesgästen beliebt für Picknicks, und die vielfältige Flora und Fauna sind
ein wahrhaft fürstlicher Genuss. Wilde Kaninchen hoppeln davon,
Eichhörnchen, Reiher, Blesshühner, Teichhühner, Gänse, Enten, Schwäne,
sogar schwarze, Spechte, Haubentaucher, Meerschwalben, Baumläufer und
Turmfalken sind hier zu finden. Ebenso wie üppige Wasserlilien, hoch
emporragendes Sumpfgras, über die Teiche hängende Weiden: Der Park um den
Gotischen Tempel ist ein wunderschönes Naturparadies, zum Spazieren und
Sinnieren. Ein wahrer Luxus!
Wenn am Abend der Park schließt und kein Tourist mehr zu sehen ist, senkt
sich eine ätherisch-friedliche Stimmung über die Landschaft. Ich blicke aus
dem Fenster und sehe den Mond aufgehen über der palladischen Brücke -
pittoresk wie ein Gemälde.
VERY BRITISH UND SEHR ELITÄR
29 Kilometer nordöstlich von Oxford. Sehr abgelegen, inmitten der 140
Hektar großen National-Trust-Parkanlagen Stowe Landscape Gardens. Ohne
eigenes Auto kostet ein Einkauf per Taxi im 5 Kilometer entfernten
Buckingham um die 9,00 Euro.
Gothic Temple, Stowe Landscape Gardens, Buckinghamshire, Großbritannien
(+44-16 28) 82 59 25.
Das Gebäude wird durch den Landmark Trust verwaltet, eine gemeinnützige
Organisation zur Restaurierung und Erhaltung historischer Gebäude von
nationaler Bedeutung. 2 DZ, Vermietung nur für 3, 4 oder 7 Tage, 7 Tage
1.066,00 Euro , 2.270,00 Euro. [1][www.landmarktrust.org.uk]
Die Führung durch das enthusiastische Personal des National Trust ist sehr
zu empfehlen. Der 140 Hektar große Park mit seinem 16 Kilometer langen
Wegenetz gilt neben den Londoner Kew Gardens als bedeutendster englischer
Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts. Mehr als 40 Monumente, Rotunden,
Tempel, Statuen, Brücken und ornamentale Seen sind zu besichtigen, 27 von
ihnen sind als schützenswerte historische Gebäude ersten Grades
klassifiziert.
Fast alle Gebäude und ihre spezifische Anordnung im Park haben eine
besondere, oftmals politische Bedeutung. Die "Seite der Tugend" (Circle of
Virtue) mit dem "Tempel der Freundschaft" und dem Gotischen Tempel etwa
fungiert als Gegengewicht zur "untugendhaften" Seite mit dem "Tempel der
unerwiderten Liebe", dem "Tempel des Bacchus" und der "Couch der Freuden".
Auch Teile der traditionellen Privatschule "Stowe School", eines imposanten
Baus aus dem 17. Jahrhundert, kann man besichtigen. Zu den ehemaligen
Schülern zählen beispielsweise Prinz Rainier III. von Monaco.
Kostenlose Führungen von zwei Stunden, zwei- bis dreimal täglich, außer
montags und dienstags, dann bleibt der Park für die Öffentlichkeit
geschlossen. (+44-12 80) 82 28 50,
[2][www.nationaltrust.org.uk/stowegardens]
9 Apr 2008
## LINKS
[1] http://www.landmarktrust.org.uk/
[2] http://www.nationaltrust.org.uk/stowegardens
## AUTOREN
Bettina Kowalewski
## TAGS
Reiseland Großbritannien
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