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# taz.de -- Krankenhäuser in Existenznot: Klinik auf der Bahre
> Deutsche Kliniken stecken in der Finanz-Misere - Lohnsteigerungen
> verschärfen die Situation. Doch die drastische Schrumpfkur ist politisch
> gewollt.
Bild: Kliniken sind selbst zum Patienten geworden. Die Politik hat ihnen eine Z…
Es ist verrückt. Einerseits freut sich Krankenschwester und
Stationsleiterin Petra Hieckmann über den Tarifabschluss im öffentlichen
Dienst, 25 Euro mehr hat sie künftig am Monatsende. Andererseits fürchtet
die 51-Jährige die Folgen: "Wir sind bereits schlecht besetzt. Wenn weitere
Stellen wegfallen, könnten wir das Niveau nicht halten."
Hieckmann arbeitet auf der Inneren des Heidekreis-Klinikums, einem
kommunalen Krankenhaus in Niedersachsen. Ihr Dilemma passt in den
Meinungskampf, der derzeit über Deutschlands Krankenhäusern tobt. Die
Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sagt ein großes Kliniksterben
voraus. Ein Drittel der bundesweit rund 2.100 Krankenhäuser seien von der
Insolvenz bedroht. Der Vorwurf der Klinikchefs, den sie in großformatigen
Anzeigen überregionaler Zeitungen erheben: Die Politik hungert die Häuser
aus.
Neu ist diese Klage nicht, doch zwei aktuelle Entscheidungen stellen
tatsächlich viele Kliniken, die der öffentlichen Hand gehören, vor massive
Probleme. Am Dienstag einigten sich Arbeitgeber und die Ärztegewerkschaft
Marburger Bund auf satte Gehaltsaufschläge, durch den Tarifabschluss im
öffentlichen Dienst steigen auch die Löhne für Krankenschwestern, Pfleger
und andere Angestellte (siehe Kasten). "Diese Lohnerhöhungen sind nicht
finanzierbar", sagt DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Die
Tariferhöhungen kosteten die Kliniken für dieses und das nächste Jahr 1,5
Milliarden Euro. "Wenn die Politik nicht gegensteuert, geraten die Häuser
in eine aussichtslose Situation."
Das Problem: Die Kosten der Kliniken schießen seit Jahren in die Höhe:
Explodierende Energie- und Lebensmittelpreise, die letzte Gesundheitsreform
bürdete den Kliniken eine Sanierungsabgabe für Krankenkassen von 660
Millionen Euro auf. Die Einnahmen aber erhöhen sich nur minimal. Denn das
Budget, das die Krankenkassen an die Kliniken überweisen, hat die Politik
strikt begrenzt. Seine Erhöhung ist von der Entwicklung der sogenannten
Grundlohnrate abhängig. Für 2008 bedeutet das laut DKG eine Steigerung von
gerade mal 0,64 Prozent, also rund 320 Millionen Euro.
Um fehlende Einnahmen auszugleichen, haben Deutschlands kommunale Kliniken
- immer noch rund ein Drittel aller Häuser, die über die Hälfte aller
Betten verfügen - drastische Schrumpfkuren hinter sich.
Unternehmenskonstruktionen aus der Privatwirtschaft sind die Regel. Das
Heidekreis-Klinikum ist als gemeinnützige GmbH organisiert. Seine zwei
Häuser liegen in Soltau und Walsrode, Städtchen in der Lüneburger Heide.
Knapp 480 Betten, 1.100 Mitarbeiter, 13 Abteilungen, von Chirurgie über
Innere bis Psychiatrie. Ein Durchschnittshaus.
Die Zahlen hinter den neuen, roten Klinkerfassaden verwaltet Norbert
Jurczyk, der Geschäftsführer. Er sagt: "Das Konstrukt ist verrückt. Bei den
Einnahmen werden wir von der Politik zur Planwirtschaft gezwungen, bei den
Ausgaben unterliegen wir voll den Gesetzen des Marktes." Das bisschen mehr
Geld für Krankenschwester Hieckmann bedeutet für ihn ein massives
Etatproblem: 50 Millionen Euro umfasst der Haushalt des
Heidekreis-Klinikums im Jahr 2007, 35 Millionen kostet das Personal, 15
Millionen fallen für Sachgüter an. Das Personal macht - wie bei allen
Kliniken - den dicksten Brocken aus, im Schnitt sind es zwei Drittel. Im
vergangenen Jahr hat Jurczyk ein paar zehntausend Euro im Plus
erwirtschaftet - "eine schwarze Null", sagt er. Im Jahr davor verbuchte er
noch ein Plus von einer Million Euro.
Wie zwei Torpedos zischen die Tarifabschlüsse nun auf seine
Zwei-Jahres-Planung zu. Der Kalkulationsprofi hat ausgerechnet, welche
Sprengkraft sie entfalten werden, wenn die Politik den Einschlag nicht
verhindert. Den schmalen Budgeterhöhungen stehen zu große Steigerungen
gegenüber. Posten Nummer 1: das Personal. Für Ärzte und Angestellte wie
Krankenschwestern und Pfleger sind 2008 460.000 Euro nicht gegenfinanziert,
2009 sind es 1,1 Millionen.
Posten Nummer 2: Sachkosten, die für Arzneimittel, Energie, Fremdaufträge
der Wäscherei und anderes anfallen. Allein die Pharmaindustrie verteuert
ihre Produkte um 7 Prozent im Jahr, bei den Energiekosten sind die
Teuerungsraten zweistellig. 2008 kalkuliert Jurczyk deshalb eine halbe
Million Euro mehr Ausgaben, 2009 noch mal 380.000 - wieder ohne
Gegenfinanzierung über die Krankenkassen. Macht unterm Strich im ersten
Jahr 960.000 Euro, im zweiten Jahr knapp 1,5 Millionen, die Jurczyk aus dem
Etat schneiden muss. "Wenn der Gesetzgeber uns weiter allein lässt, drückt
er uns in die roten Zahlen."
20 volle Stellen müsste der Geschäftsführer im Gegenzug streichen, was bei
über 1.000 Stellen noch vertretbar klingt. "Aber in Bereichen, die nicht
zum Kerngeschäft gehören, sind wir schon an der Grenze des Machbaren, etwa
in der Gebäudereinigung oder der Küche. - Als Nächstes trifft es die
Pflege."
20 weniger also, und im Heidekreis-Klinikum arbeiten nur 250 Pflegekräfte.
Die Stationen sind bereits am Limit, glaubt Schwester Hieckmann. Auf ihrer
Internistischen Station gibt es zwölf Vollzeitstellen. "In den vergangenen
Jahren ist die Belastung stark gestiegen", berichtet die 51-Jährige.
Während sie 2004 noch sechs Leute im Frühdienst einteilen konnte, sind es
heute nur noch vier.
Gleichzeitig wird der Arbeitstakt immer schneller: Mehr Patienten, höhere
Anforderungen, mehr Papierkram. "Gespräche, in denen Patienten von ihren
Sorgen erzählen können, bleiben auf der Strecke", sagt Hieckmann. "Manchmal
stelle ich eine Frage nicht, weil tatsächlich Redebedarf da sein könnte -
ich aber schnell zum nächsten muss."
Die politische Zwangsdiät ist gewollt. Seit den 90er-Jahren heißt es von
der Politik: Deutschlands Krankenhauslandschaft muss abspecken. Doch heute
stellt sich die Frage, machen Einsparungen noch Sinn?
Die Position der Kliniken ist klar: Das Einsparpotenzial sei aufgebraucht.
Nun wird gefordert, dass der Deckel auf den Krankenhausausgaben weg muss -
und auch die Sanierungsabgabe für die Krankenhäuser gehört gestrichen.
Von Engpässen keine Spur, meint dagegen der SPD-Gesundheitsexperte Karl
Lauterbach. Insbesondere in den Großstädten könne ein Viertel der Häuser
schließen, ohne dass sich das negativ für die Patienten auswirke. Im
Gegenteil. "Viele Kliniken haben weder die notwendige Größe noch
ausreichende Erfahrung, um immer komplizierter werdende Behandlungen
durchzuführen."
Auch das SPD-geführte Bundesgesundheitsministerium weist man die
"Schwarzmalerei" zurück, wie es Staatssekretärin Marion Caspers-Merk in der
vergangenen Woche in einem Brief an die SPD- und CDU Bundestagsfraktionen
formulierte. Das Krankenhaus gebe es eben nicht, betont Caspers-Merk.
Klinikchef Jurczyk sieht sich noch in einer glücklichen Lage. Seine Gebäude
sind saniert, der Ruf der Klinik im Landkreis ist gut, in den vergangenen
Jahren konnte Jurczyk Rücklagen für Notzeiten bilden. "In anderen Häusern
sieht es viel dramatischer aus als bei uns." Das Problem: Das
Deckelungsprinzip behandelt alle gleich - die profitable Privatklinik, das
renommierte Uni-Klinikum und die kommunale Klitsche in der Provinz. Jedes
Haus steht anders da.
Auch SPD-Frau Caspers-Merk leugnet nicht, dass es Kliniken gibt, die
gebraucht werden und in Finanznöten stecken. Sie verweist aber darauf, dass
große private Klinikketten durchaus Renditen von um die 10 Prozent
erwirtschaften. Auch sie würden von einer Erhöhung des Budgets profitieren,
und ein weiterer Teil der Beiträge der gesetzlich Versicherten in die
Taschen der Aktionäre fließen.
## McKinsey kommt
Ihr Ministerium will am liebsten gar nichts zur Revolte der Kliniken sagen.
"Wie soll ein Bundesministerium entscheiden, ob ein Krankenhausbetrieb in
der Lausitz eingestellt, aber beispielsweise in Deggendorf beibehalten
werden soll?", fragt eine Sprecherin. Krankenhausplanung sei Ländersache.
Sie sind für Krankenhaus-Investitionen zuständig, etwa für den Ausbau des
Heidekreis-Klinikums. Diese Aufgabe aber erfüllten sie nicht. "Die
Situation der Krankenhäuser wäre deutlich besser, wenn die Länder ihren
Investionsverpflichtungen nachkommen würden."
Staatssekretärin Caspers-Merk munitioniert sich mit einer Untersuchung der
Beratungsgesellschaft McKinsey. Die Einsparpotenziale: Eine
Standardisierung von Behandlungsabläufen, eine bessere Organisation der
OP-Bereichs und der Notfallaufnahmen, eine neue Arbeitsaufteilung zwischen
Ärzten und Pflegekräften und eine Begrenzung der Intensivmedizin auf
Patienten, die sie wirklich brauchen.
Einige dieser Vorschläge hält auch Sebastian Klinke für sinnvoll. Der
Politikwissenschaftler, der am Wissenschaftszentrum Berlin untersucht die
Veränderung von Medizin und Pflege im neuen Finanzierungssystem der
Krankenhäuser. Er sagt: "Viele Kliniken organisieren ihr Haus unter dem
Kostendruck nicht neu, sondern fangen unüberlegt an zu sparen." Da würden
in einigen Kliniken ohne organisatorische Vorbereitung Stationen
zusammengelegt und "plötzlich werden die Patienten von Personal behandelt,
das für die entsprechenden Krankheiten gar nicht ausgebildet ist". Ganze
Stockwerke würden zugemacht und in den anderen drei bis vier Patienten in
einem Zimmer untergebracht. Klinke sagt: "Die Versorgung in den
Krankenhäusern wird sich verschlechtern."
9 Apr 2008
## AUTOREN
S. am Orde
U. Schulte
## TAGS
Krankenkassen
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