# taz.de -- Stammzellendebatte: Mein Ei gehört mir | |
> Die Forschung mit embryonalen Stammzellen muss streng reglementiert | |
> bleiben. Sonst könnten Frauen zu "Rohstofflieferantinnen" für Eizellen | |
> oder Embryonen werden. | |
Bild: Die Eizellen werden tiefgefroren in flüssigem Stickstoff zwischengelagert | |
Embryonale Stammzellforschung hat massive Auswirkungen auf Frauen und deren | |
Gesundheit. Dies geht in der aktuellen Debatte über den Import von | |
embryonalen Stammzellen meist unter, da die Heilsversprechen und | |
Lebensschutzargumente im Vordergrund stehen. | |
Bei einer Änderung der Stichtagsregelung geht es angeblich nur darum, neue | |
embryonale Stammzellen importieren zu dürfen, die von "überzähligen" | |
tiefgefrorenen Embryonen in anderen Ländern stammten. Deshalb hätte der Ruf | |
nach neuen embryonalen Stammzellen hierzulande nichts zu tun mit einer | |
Benutzung von Frauen als "Rohstofflieferantinnen" für die Forschung. Doch | |
stimmt das wirklich? | |
Die embryonale Stammzellforschung ist eng mit der Fortpflanzungsmedizin | |
verknüpft. Ohne künstliche Befruchtung gäbe es keine "überzähligen" | |
Embryonen. Schon bei der Einführung der In-vitro-Fertilisation (IVF), also | |
der Befruchtung außerhalb des Körpers, wurde vor dem Missbrauch der neuen | |
Technik gewarnt. Kritiker fürchteten, dass Forscher Interesse sowohl an | |
Eizellen als auch an den Embryonen haben könnten - und dass Frauen mit | |
höheren Dosen gesundheitsgefährdender Hormone behandelt würden, damit sie | |
zusätzlich Eizellen für die Forschung produzierten. Aus gutem Grund ist | |
darum im deutschen Embryonenschutzgesetz nicht nur die Herstellung von | |
Embryonen für Forschungszwecke, sondern auch die Eizellspende verboten. | |
Anders als bei einer Blut- oder einer Spermaspende ist die Gewinnung von | |
Eizellen für die Frauen ein gesundheitsgefährdender Eingriff. Sowohl die | |
Hormonstimulation als auch der operative Eingriff, bei dem die Eizellen | |
entnommen werden, können zu (lebens-)gefährlichen Nebenwirkungen führen. | |
Welche Entwicklungen im Bereich der embryonalen Stammzellforschung und | |
Fortpflanzungsmedizin möglich sind, wenn es keine rechtlichen | |
Einschränkungen gibt, zeigt ein Blick in Länder wie Großbritannien, Spanien | |
oder die USA. Dort existiert ein immer engeres Zusammenspiel zwischen der | |
embryonalen Stammzellforschung und der Fortpflanzungsmedizin - mit der | |
Möglichkeit, gezielt überzählige Embryonen oder Eizellen für die Forschung | |
zu schaffen. Im Zuge dessen wird der Ruf nach "frischen" Embryonen immer | |
lauter. Tiefgefrorene "überzählige" Embryonen seien zu alt und das Auftauen | |
gefährde die Erfolge der embryonalen Stammzellforschung, lauten die Klagen. | |
Bei der Anhörung zur Stammzellforschung im Deutschen Bundestag berichtete | |
die Professorin Regine Kollek, Mitglied im Deutschen Ethikrat, dass in | |
Großbritannien und Spanien inzwischen sogenannte "Egg-sharing"-Programme | |
existieren. Frauen erhalten hier einen erheblichen Preisnachlass auf ihre | |
IVF-Behandlung - wenn sie dazu bereit sind, frische, zusätzlich erzeugte | |
und in diesem Sinne "überzählige" Embryonen oder Eizellen aus ihrer eigenen | |
IVF-Behandlung für die Stammzellenforschung abzugeben. Im | |
"Egg-sharing"-Programm, das 2007 in Glasgow gestartet wurde, bekommen | |
Frauen für die Eizellspende einen Preisnachlass von fast 2.000 Pfund. | |
Inzwischen hat die britische Fortpflanzungsbehörde ihre Regeln so weit | |
geändert, dass sogar die Eizellspende von Frauen für die Stammzellforschung | |
zulässig ist, selbst wenn die Frau sich keiner künstlichen Befruchtung | |
unterzieht. Auch in Spanien ist die Eizell- und Embryonenspende für die | |
Forschung inzwischen erlaubt. Frauen erhalten dafür eine "Entschädigung" | |
von rund 1.000 Euro. | |
Ist es denkbar, dass eine Verschiebung oder Streichung des Stichtages es | |
ermöglichen soll, dass embryonale Stammzelllinien nach Deutschland | |
importiert werden, die nicht aus tiefgefrorenen, sondern aus "frischen" und | |
bezahlten Embryonen entwickelt wurden? Auszuschließen ist es jedenfalls | |
nicht. Das derzeit gültige Stammzellgesetz schreibt vor, dass bloß | |
embryonale Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen importiert werden | |
dürfen, dass die Einwilligung der Eltern oder nur der Frau zur Verwendung | |
des Embryos für die Stammzellforschung vorliegen muss und dass keine | |
direkte Bezahlung erfolgt sein darf. | |
Doch "überzählig" ist nicht gleichzusetzen mit zufällig übriggeblieben, | |
sondern kann auch zusätzlich erzeugt sein für Forschungszwecke. Die Frage, | |
ob die "Entschädigung" als Bezahlung im Sinne des Stammzellgesetzes | |
angesehen oder wenigstens von der zuständigen Stammzellkommission | |
nachgeprüft wird, darf bezweifelt werden. | |
Immer wieder wird von konservativer und christlicher Seite suggeriert, dass | |
man auch gegen Abtreibung eintreten müsse, wenn man sich für den Schutz von | |
Embryonen bei der Stammzellforschung einsetze. Diese Gleichsetzung ist | |
falsch. Bei der Abtreibung geht es um eine schwierige Konfliktsituation | |
einer Frau. Ihr eigenes zukünftiges Leben und das in ihr wachsende Leben | |
des Embryos stehen dabei in direktem Konflikt. Der Bundestag hat 1995 nach | |
langer und verantwortungsbewusster Diskussion eine Mehrheit für die | |
Regelungen des § 218 gefunden. Die grundsätzliche Schutzwürdigkeit des | |
Embryos steht dabei - so sieht es auch das Bundesverfassungsgericht - nicht | |
zur Disposition. Anders ist es bei der Stammzellforschung. Dort handelt es | |
sich um den fremdnützigen Zugriff auf einen Embryo durch Forscherinnen und | |
Forscher. Sie wollen den Embryo für ihre Interessen benutzen - und die | |
sind, wie man am Beispiel des Patentanspruchs des deutschen | |
Stammzellforschers Oliver Brüstle sieht, durchaus auch wirtschaftlicher | |
Natur. | |
Deshalb gilt es den vor rund fünf Jahren gefundenen Kompromiss in der | |
Stammzellforschung zu bestätigen. Denn er macht Grundlagenforschung | |
möglich, lässt aber keine weitere Vernichtung oder Herstellung von | |
Embryonen zu Forschungszwecken zu. Seit der Verabschiedung dieses | |
Kompromisses wurden keine überzeugenden neuen ethischen, rechtlichen oder | |
wissenschaftlichen Argumente vorgelegt, die eine Änderung des | |
Stammzellgesetzes ausreichend begründen. Heute wie damals gibt es keine | |
Aussicht darauf, dass embryonale Stammzellen zur Therapie von Krankheiten | |
eingesetzt werden können. Versuche mit adulten Stammzellen hingegen geben | |
diesbezüglich durchaus Anlass zur Hoffnung. | |
Auch wenn einige Forscherinnen und Forscher immer wieder behaupten, dass | |
die in Deutschland zugelassenen embryonalen Stammzellen kontaminiert und | |
genetisch verändert seien und Grundlagenforschung damit unmöglich machten, | |
entspricht dies nicht den derzeit bekannten wissenschaftlichen Tatsachen. | |
Forschungsprojekte anderer Länder, die mit genau jenen Stammzelllinien | |
arbeiten, die in Deutschland verfügbar sind, belegen dies. Bei einer | |
weiteren Öffnung des Stammzellgesetzes besteht die Gefahr, dass Embryonen, | |
die gezielt zu Forschungszwecken erzeugt und "verbraucht" wurden, auch in | |
Deutschland verwendet werden. Damit würden Frauen nicht nur in europäischen | |
Ländern immer stärker zur Lieferung des "Rohstoffs" Eizellen gedrängt. Und | |
das ist inakzeptabel. | |
10 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Biggi Bender | |
Priska Hinz | |
## TAGS | |
Eizellspende | |
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