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# taz.de -- Grenzschutz in Transnistrien: Granaten und Gefrierfleisch
> Transnistrien ist ein rechtsfreier Raum, ein ideales Terrain für
> Schmuggler. Die europäischen Eubam-Mission versucht sich am Schutz der
> Grenze.
Bild: Versucht, den Durchblick zu behalten: die Eubam-Truppe.
ODESSA taz Beim Abendessen in einem Nobelrestaurant der ukrainischen
Schwarzmeer-Stadt Odessa biegt sich förmlich der Tisch unter den
Köstlichkeiten, die für die Delegation aus Brüssel aufgefahren worden sind.
Eubam-General Ferenc Banfi hat das Festmahl organisiert, um den Gästen aus
dem Europaparlament die Arbeit seiner Truppe zu erläutern. Das Geld, mit
dem er an der ukrainisch-moldawischen Grenze Aufklärungsarbeit leistet und
Schulungen durchführt, muss in Brüssel bewilligt werden.
Die Pasteten, Wurstspezialitäten und Fleischsalate lösen bei den Gästen
gemischte Gefühle aus. Denn vor wenigen Stunden haben sie von den Experten
der EU-Grenzmission Eubam erfahren, dass der Schmuggel mit gefrorenem
Hühnerfleisch, Schlachtschweinen und Rinderzungen in der Region ein
blühendes Geschäft ist. Die Lebensmittel werden im Hafen von Odessa
ausgeladen und per Transit zollfrei durch die Ukraine in die autonome
moldawische Teilrepublik Transnistrien gebracht. Dort werden 140 Euro
Einfuhrzoll pro Tonne fällig - 200 Euro weniger als in der Ukraine. Mit
unappetitlichen Nebenwirkungen.
Transnistrien gehört zwar zu Moldawien, hat sich aber als unabhängig
erklärt und verweigert moldawischen Polizei- und Grenzbeamten den Zutritt.
Auf 400 Kilometer Grenzlänge schiebt es sich entlang des Flusses Dnjestr
als quasi rechtsfreier Raum zwischen Moldawien und die Ukraine. Für
Schmuggler ist es ein leichtes, das mittlerweile angetaute Gefrierfleisch
dort aufzuteilen, in kleinen Portionen auf offenen Lastern über die grüne
Grenze zurückzuschaffen und auf dem ukrainischen Schwarzmarkt zu verhökern.
Die Gesundheitsrisiken sind enorm, dem ukrainischen Staat entgehen jedes
Jahr Millionen Euro an Einfuhrzöllen.
Kein Wunder also, dass die ukrainische Regierung einverstanden war, als die
Europäische Union 2005 eine Border Assistance Mission (Eubam) anbot. Kurios
ist, dass auch Igor Smirnow, der selbsternannte Staatschef Transnistriens,
die EU willkommen heißt. Eubam operiert zwar nicht auf transnistrischem
Gebiet, wird aber von der transnistrischen "Regierung" für seine Arbeit
gelobt. Smirnow erklärte, Eubam habe mit dem Gerücht aufgeräumt, über
Transnistrien würden Waffen geschmuggelt.
Auf ukrainischer Seite tauchen die Waffen nicht auf, wie Eubam-Mitarbeiter
bestätigen, die den ukrainischen Grenzposten unangemeldete Kontrollbesuche
abstatten. Dennoch gilt Transnistrien als großes schwarzes Loch in der
ukrainisch-moldawischen Grenze. Viele der etwa 500.000 Bewohner stammen aus
Russland, allein 140.000 russische Rentner sollen dort leben. In ehemaligen
sowjetischen Kasernen lagern noch 20.000 Tonnen russische Munition, die von
1.200 russischen Soldaten bewacht werden. Das große Stahlwerk, die
Textilfabrik und das Kraftwerk sind in russischem Privatbesitz. Im übrigen
Moldawien gibt es so gut wie keine Industrie.
Niemand weiß, ob in den elf transnistrischen Waffenfabriken noch produziert
wird. In den russischen Munitionslagern werden Kalaschnikows,
Raketenabschussrampen, Sprengköpfe und Granaten vermutet. Nach
OSZE-Erkenntnissen sind 70 tragbare Flugabwehrwaffen verschwunden, wie sie
in Afghanistan von den Taliban benutzt werden. Daneben nimmt sich die
illegale Zigarettenfabrik und der Zollbetrug mit Fleischimporten wie eine
Lappalie aus.
Auch Moldawien, das noch vor Albanien als ärmstes Land Europas gilt, würde
die Eubam-Mission am liebsten unbegrenzt verlängern. Vor allem die jungen
Leute sehen die Eubam-Beamten in den schicken blauen Uniformen mit gelben
Sternen als Zeichen der Hoffnung, irgendwann wie ihre rumänischen Nachbarn
im Westen Teil der Europäischen Union werden zu können. Offiziell leben 4,5
Millionen Menschen in Moldawien, von denen die meisten Rumänisch sprechen.
Doch die Rate der illegal nach Russland, der Türkei und in die Emirate
geschmuggelten Moldawier gilt als enorm hoch. Viele Felder liegen brach.
Moldawier arbeiten in der Türkei auf dem Bau, in Russland und den Emiraten
in der Sexindustrie, Kinder werden im Ausland zum Betteln gezwungen. "Organ
harvesting", also Organhandel ist nach Angaben der OSZE ein wachsendes
Problem.
Wie wichtig seine Arbeit auf diesem östlichen Vorposten der EU ist, muss
dem ungarischen Polizeigeneral Ferenc Banfi keiner erzählen. Schließlich
hat sein kleines Land gerade erst erfolgreich dafür gefochten, dem
Schengenraum der Europäischen Union beitreten zu dürfen und damit neuer
"Frontstaat" in Europas Osten zu werden. Im Hafen von Odessa landen die
Waffenlieferungen und Rauschgiftladungen, die wenig später an der östlichen
Schengengrenze auftauchen. 850 Kilometer von seinem Geburtsort Szeged
entfernt leitet Banfi die aus 119 Experten aus 22 Mitgliedsstaaten
bestehende Eubam. Sie bietet den ukrainischen und moldawischen Grenzbeamten
Beratung und Fortbildung an, fördert den Informationsaustausch zwischen den
beiden Ländern und setzt darauf, dass allein durch die Anwesenheit der
unbewaffneten EU-Beamten Korruption und Kriminalität zurückgedrängt werden.
Zwei Europaabgeordnete sind für drei Tage aus Brüssel angereist, um sich
einen Eindruck zu verschaffen, ob die 24 Millionen Euro, die das Projekt in
der Verlängerungsphase von 2007 bis 2009 kosten soll, gut angelegt sind.
Karl von Wogau sitzt dem Verteidigungsausschuss vor, sein rumänischer
Kollege Ioan Mircea Pascu ist ebenso Mitglied in dem Gremium. Im Vergleich
zu anderen EU-Polizeimissionen wie in Bosnien oder im Kosovo ist Eubam auf
den ersten Blick ein Sonntagsspaziergang. Im November 2005 kamen die
EU-Experten, um modernstes Grenzsicherungsgerät aufzubauen und zu erklären,
wie man es benutzt. Glaubt man Banfi und seiner Pressesprecherin, läuft
seither alles wie geschmiert. Doch neues Verhalten lässt sich nicht so
schnell erlernen wie der Umgang mit Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräten.
"Wenn kein Blut fließt, gibt es keine öffentliche Aufmerksamkeit", seufzt
Banfi. Er sieht seine Mission als Vorzeigebeispiel für die sogenannte
"weiche Außenpolitik", auf die die Europäische Union in Abgrenzung zum
martialischen Auftreten amerikanischer Krisentruppen so stolz ist. Zwei
zentrale Botschaften versuchen die Eubam-Mitarbeiter ihren ukrainischen und
moldawischen Kollegen einzuschärfen. Erstens: Sie verstehen sich als
Berater und stellen das europäische Modell in 22 verschiedenen Ausführungen
nur vor. Am Ende müssen die Partner selber entscheiden, was sie davon
übernehmen wollen. Zweitens: Ein Grenzbeamter ist ein Dienstleister, der
vom Geld der Steuerzahler lebt. Entsprechend höflich sollte er seine Kunden
informieren.
Diese Grundhaltung setzt sich bei den Mitarbeitern einer Behörde, die noch
vor kurzem dem Geheimdienst unterstand, nur langsam durch. Letzten Sommer
wurden viele Mütter, die sich mit ihren Kindern auf den Weg in die Ferien
machen wollten, an der Grenze zurückgeschickt. Sie hätten nach neuer
Gesetzeslage eine schriftliche Erlaubnis des Vaters mitführen müssen.
Niemand hatte sie informiert. Inzwischen hat ein Eubam-Mitarbeiter
gemeinsam mit den Beamten ein Faltblatt entwickelt, auf dem alle wichtigen
Reiseinformationen zu finden sind. Die moldawischen und ukrainischen
Kollegen nehmen nun auch gemeinsam an Schulungen teil. Sie verständigen
sich dabei in der von Sowjetzeiten her auf beiden Seiten der Grenze
verhassten russischen Sprache. Das gilt schon als großer Fortschritt.
Cesare de Montis, der die EU-Delegation in Moldawien leitet, malt die Lage
an der Grenze weniger idyllisch als General Banfi und seine Mitarbeiter.
"Wenn Eubam unangemeldet an einem Grenzübergang auftaucht, ist weit und
breit kein Fahrzeug zu sehen. Kaum schauen unsere Leute den Grenzern über
die Schulter, bilden sich lange Schlangen. Denn dann wird nicht mehr
geschmiert, sondern kontrolliert", berichtet er. Völlig unübersichtlich sei
die Lage im Hafen von Odessa. Dort sind in den letzten Monaten drei größere
Ladungen Kokain aus Südamerika und zweimal Kokainlieferungen aus
Afghanistan gefunden worden - nach seiner Überzeugung nur die Spitze eines
Eisbergs.
Beim Abendessen in entspannter Runde erlaubt auch General Banfi einen etwas
realistischeren Blick auf die ihm auferlegte Sisyphusaufgabe, eine
weltoffene und gleichzeitig für Kriminalität undurchlässige Grenze zu
schaffen. "Kokain kommt in Ananasdosen, als Bauteil in Laptops, gelöst in
Flüssigkeiten, mit denen Teppiche oder T-Shirts getränkt sind. Im Labor in
Moldawiens Hauptstadt Chisinau wird das Rauschgift extrahiert und weiter
geschmuggelt in die EU." Man müsse zunächst Herkunft, Handelsweg und
Bestimmungsort kennen. "Kokain zum Beispiel stammt aus Afghanistan und
wandert über Georgien und den Hafen von Odessa nach Russland und in die
EU", erklärt der ungarische General. "Diesen Weg muss man unterbrechen, wie
man Scheiben aus der Salami schneidet" - und er macht es auf der
Tischplatte vor, zack, zack, zack, dass die Würste und Pasteten nur so
hüpfen.
16 Apr 2008
## AUTOREN
Daniela Weingärtner
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