# taz.de -- Homophobie beim Grand Prix: Regenbogen unerwünscht | |
> Ein Lied muss keine Brücke sein: Den zum Eurovision Song Contest nach | |
> Belgrad reisenden Fans wird geraten, sich nicht offen homosexuell zu | |
> zeigen - aus Angst vor Schlägertrupps. | |
Bild: Glitzerfummel sollte man beim Grand Prix in Belgrad nicht abseits der Bü… | |
Tausende haben ihre Flüge schon gebucht, Hotels und Appartements angemietet | |
- Belgrad ist in Bälde ihr Ziel, die Hauptstadt Serbiens, wo am 24. Mai der | |
53. Eurovision Song Contest (ESC) stattfinden wird. Das Gros der Fans und | |
Journalisten wird bereits am 11. Mai dorthin reisen, wenn die ersten Proben | |
für die zwei Halbfinale und das Finale beginnen. Erwartet werden insgesamt | |
15.000 Besucher aus insgesamt 51 Ländern. | |
Und wie in all den anderen Jahren zuvor wird dieses Popfestival auch in | |
Belgrad faktisch eine Art europäisches Woodstock von schwulen (und eher | |
wenigen heterosexuellen) Fans dieses Events sein. Das Problem: Homosexuelle | |
sind in Serbien, sofern sie als schwul identifizierbar scheinen, | |
unerwünscht. | |
Anlass zur Beunruhigung gaben in jüngster Zeit Berichte serbischer Medien | |
über eine vermutete Invasion von Gottlosen, Antiserben (der schlimmste | |
Vorwurf) und, so wörtlich in einem Forum nationalistischer Serben, | |
"Familienzersetzern" und "Sodomiten". Die Epoa, der Zusammenschluss | |
europäischer Organisatoren von Christopher-Street-Day-Paraden, suchte | |
Anfang der Monats dem Veranstalter, der Eurovision, gegenüber ihre | |
Besorgnis zu formulieren. An den Generalsekretär des ESC, Svante | |
Stockselius, schrieb sie: "Wir sind uns sicher, dass Sie sich der | |
schlechten Lage der Menschenrechte in Serbien bewusst sind", und fragte, ob | |
die Eurovision für die Sicherheit ihrer homosexuellen Besucher garantieren | |
könne. Stockselius antwortete, die Eurovision trenne ihre Fans "nicht nach | |
Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung", im Übrigen hätten die | |
serbischen Sicherheitsbehörden zugesagt, den Eurovision Song Contest | |
besonders wachsam im Auge zu behalten. | |
Bellen und beißen | |
Allerdings ist diese Sicherheitserklärung fragwürdig, ja beschwichtigend. | |
Vor sieben Jahren zerschlug eine [1][Schlägerbande] aus Nationalisten, | |
Hooligans und Neonazis eine CSD-Parade in Belgrad unter tätigem Wegsehen | |
der Polizei. Kurt Krickler, Mitglied im europäischen Vorstand der | |
homosexuellen Menschenrechtsorganisation Ilga, sagt: "Die Militanz der | |
Homophoben in Serbien ist bis heute notorisch - die bellen nicht nur, die | |
beißen auch zu." Insbesondere gilt dies für eine militante Gruppe namens | |
Obraz, die bereits während des Präsidentschaftswahlkampfes im März | |
Bürgerrechtler einzuschüchtern suchte. Mit prominentem Erfolg: Damals | |
schlug sich jene Frau, die überhaupt dafür sorgte, dass Belgrad den ESC | |
austragen darf und somit die Chance hat, sich Europa als moderne, hippe und | |
aufgeklärte Szene präsentierten zu können, politisch auf die Seite der | |
Nationalisten: Marija Serifovic, die in Helsinki mit "Molitva" gewann und | |
damals ausdrücklich erklärte, sie repräsentiere das moderne, europäische | |
Serbien, das nicht auf Rache und Vergeltung aus sei. | |
Das wirkte glaubwürdig, zumal die robust wirkende Chanteuse kein wütendes | |
Dementi zu den Vermutungen äußerte, sie sei wohl lesbisch - denn ihre | |
ausgesprochen undamenhafte Performance beim Sieg wirkte wie ein queeres | |
Statement, das es in der Eurovisionsgeschichte mit all ihren tragödisch | |
anmutenden Frauen (Vicky Leandros, Céline Dion und viele andere) nie | |
gegeben hatte. | |
Insofern war es im Belgrader Lesben- und Schwulenzentrum "Queeria" | |
besonders schmerzlich empfunden worden, dass Serifovic plötzlich ins Horn | |
des rasenden Nationalismus trötete - und tröstete sich mit der Annahme, sie | |
sei gewiss erpresst worden, um künstlerisch in Serbien überhaupt noch | |
weiter tätig sein zu können. Nach einer Meinungsumfrage in Serbien können | |
nur 8 Prozent der serbischen Bevölkerung überhaupt akzeptieren, dass es | |
Homosexuelle gibt - 80 Prozent glauben sogar, Homosexualität sei eine | |
Krankheit und brauche psychiatrische Behandlung. | |
Bürgerrechtler warnen insofern die Eurovisionsfans dringend davor, sich in | |
Belgrad während der Festivaltage sichtbar schwul oder lesbisch zu zeigen. | |
Kurt Krickler, beheimatet in Wien und seit 30 Jahren Kenner der | |
osteuropäischen Menschenrechtsmisere, sagt: "Man muss den Fans aus unserer | |
Community dringend davon abraten, sich in Belgrad offen zu zeigen - vor | |
allem sollten sie auf Aidsschleifen am Revers und auf die Regenbogenfahne | |
verzichten. Die üblichen Notrufnummern sollten immer im Handy eingetastet | |
bleiben." Welch ein Kontrast: Voriges Jahr in Helsinki fertigte die dortige | |
Tourismusbehörde noch einen Stadtplan für die Eurovisionstage - unter dem | |
Siegel der Regenbogenfahne. | |
Pseudomut? Nein danke! | |
Ausdrücklich unerwünscht in Belgrad seien, so Predrag M. Azdejkovic von | |
Queeria, in dieser prekären Lage Politiker aus liberalen europäischen | |
Ländern, die in Belgrad am Tag des Finales am 24. Mai eine Art | |
CSD-Manifestation in der Belgrader Innenstadt abhalten möchten, um sich | |
medial in ihren Heimatländern als extratapfer feiern zu lassen. Die kämen | |
angereist, bekämen ihre Bilder - und reisten wieder in ihre Länder zurück. | |
"Und wir müssen nach den Eurovisionstagen wieder die ganze Wut der Rechten | |
und Nationalisten ausbaden", so zwei Mitglieder einer serbischen | |
Menschenrechtsgruppe Homosexueller - die namentlich unerwähnt bleiben | |
möchten, um nicht zur Zielscheibe von Schlägern der rechtsradikalen Szene | |
zu werden. | |
19 Apr 2008 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=qE0M9lo6ZBk | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Homosexualität | |
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