# taz.de -- Erinnerungspolitik: Kleine, späte Geste für einen großen Mann | |
> In seinem Institut für Sexualwissenschaft focht er für einen liberalen | |
> Umgang mit Nicht-Heterosexuellen - bis die Nazis das Haus am Tiergarten | |
> am 6. Mai 1933 plünderten. Heute wird Magnus Hirschfeld eine kleine | |
> Straße gewidmet - und eine Ausstellung. Er hätte mehr verdient. | |
Immerhin wird heute Abend im Medizinhistorischen Museum der Charité eine | |
Ausstellung zu seinem Gedenken eröffnet. Und immerhin wird ein kleiner | |
Uferstreifen an der Spree zwischen Moltke- und Lutherbrücke nach ihm | |
benannt. Aber: Magnus Hirschfeld, der wichtigste Sexualreformer der | |
Weimarer Republik und des Kaiserreichs, hat mehr als eine begehbare | |
Böschung und eine Würdigung in den historischen Gebäuden des | |
Universitätskrankenhauses verdient. Magnus Hirschfeld - wer? | |
Der Arzt und Politiker, selbst homosexuell, warb seit Beginn des vorigen | |
Jahrhunderts für ein Ende von Denunziation, Psychiatrisierung und | |
Bloßstellung aller Menschen, die nicht der heterosexuellen Norm | |
entsprachen. Hirschfeld, am 14. Mai 1868 im preußischen Kolberg geboren, | |
gründete schließlich 1919 das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, | |
irgendwo in der Nähe des heutigen Kanzlerinnenamts. Er war Leiter einer | |
Institution, die tausenden von Menschen überhaupt erst ein Forum bot, sich | |
nicht als Heterosexuelle verstehen zu müssen. Schwule, die sich damals noch | |
nicht so nannten, Lesben, Kesse Väter, Tunten, Transvestiten, | |
Hermaphroditen, Junge, Alte, Jungs und Mädchen: Sie fanden dort | |
interessierte Anteilnahme. Hirschfelds Institut, Teil seiner | |
Lobbyorganisation Wissenschaftlich-Humanitäres Komitee, begriff sich selbst | |
als wissenschaftliche Denkfabrik, die es mit den mächtigen Tonangebern der | |
Zeit aufnehmen wollte. Mit den Kirchen, mit den bürgerlichen Klassen, mit | |
einer eher spießigen Linken - sie alle sollten begreifen, dass die sexuell | |
Anderen keine Bestrafung verdienten, sondern, ganz im Sinne bürgerlicher | |
Aufklärung, Anerkennung, mindestens Straffreiheit. | |
Hirschfeld wie Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, waren den | |
Völkischen wie den Klerikalkonservativen die verhasstesten Figuren der | |
demokratischen Moderne. Insofern war es kein Wunder, dass die | |
nationalsozialistischen Jungkader von der Berliner Hochschule für | |
Leibesübungen dieses Institut zuerst in Brand steckten. Heute vor 75 Jahren | |
"zerstörten sie die Einrichtung unter den barbarischen Klängen einer | |
Blaskapelle", wie der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker schreibt, | |
"plünderten die Bestände, luden sie auf einen großen Lastwagen und | |
transportieren sie ab". Was sie wegschafften, waren die gesamten | |
archivalischen Bestände des Hauses, die Bibliothek und, wichtiger noch, die | |
Akten der sozialwissenschaftlichen Befragungen, die Hirschfeld und seine | |
Mitarbeiter mit Nichtheterosexuellen anstellten. An diesen Dokumenten lag | |
den Nationalsozialisten besonders: Es galt, das Wissen über die Triebkraft | |
menschlicher Sexualität, über ihre Vielfalt und ihre Liebesmacht zu | |
löschen. Kein untypischer Vorgang in jenen Jahren, als viele an die | |
Planbarkeit von Gesellschaft glaubten. Die Guten ins Töpfchen, die | |
Schlechten ins Kröpfchen. | |
Hirschfeld selbst hatte eine sehr biologische Vorstellung vom Sexuellen: | |
Homosexualität sei angeboren, aber - das ist die Pointe - deshalb dürfe sie | |
nicht verfolgt werden. Denn was konstitutiv angelegt sei, könne nicht | |
revidiert werden: Ein Mensch, der nicht aus seiner Haut könne, verdiene | |
Respekt, nicht Strafe. Sein Wirken nützte nichts. In Briefen, so der | |
Historiker Andreas Pretzel von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, habe der | |
Sexualbürgerrechtler seine Resignation schon drei Jahre vor der | |
nationalsozialistischen Machtübernahme durchblicken lassen. Deutschland sei | |
nicht reif für eine libertäre Gesellschaft. Sein Institut war | |
fürchterlichen Angriffen durch die Klerikalen aller Couleur wie durch die | |
Nationalsozialisten ausgesetzt, Hirschfeld persönlich wurde häufig Opfer | |
von körperlichen Attacken. Er ging schließlich auf Weltreise, von der aus | |
er nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte; er starb 1935 an seinem 67. | |
Geburtstag in Nizza an der Côte dAzur. | |
Bis heute hat Berlin Hirschfeld und sein Wirken historisch ungewürdigt | |
gelassen. Kein Platz, keine Gasse, nicht einmal eine Straße ist nach ihm | |
benannt worden. Das mag auch damit zu tun haben, dass der Paragraf 175, der | |
Homosexualität gänzlich bei Androhung von Gefängnis verbot, bis 1969 galt: | |
Schwules, überhaupt sexuell Anderes unter den Nationalsozialisten unter | |
Todesdrohung stand - und bundesdeutsche Gerichte diese Verfolgung gar für | |
rechtens erklärten. Obskur aber, dass auch im Kanon des antifaschistischen | |
Erinnerungsvermögens Hirschfeld nicht auftaucht. Das Datum der | |
Bücherverbrennung genießt quasi offiziellen Gedenkrang; dass der Hass der | |
Nazis sich zunächst auf die sexualreformerischen Errungenschaften und die | |
Psychoanalyse richtete, ist ausgeblendet - bis heute. | |
Dass jetzt wenigstens ein Stück Spreeufer nach Hirschfeld benannt wird, ist | |
ein freundliches Zeichen, nicht mehr, nicht weniger. Ungeklärt ist noch, | |
wer einen Neuguss einer Büste Hirschfelds bezahlt - die alte ist von den | |
Nationalsozialisten ins Feuer geworfen worden. Der Lesben- und | |
Schwulenverband Berlin-Brandenburg ruft dringend zu Spenden auf, um dieses | |
Signum setzen zu können. | |
Die Ausstellung, die in der Charité im Beisein von Klaus Wowereit eröffnet | |
wird, darf allein vom Titel her gepriesen werden. "Sex brennt", lautet er | |
und ist ein realistischer Umriss dessen, was Magnus Hirschfeld immer so | |
begriffen hat: Menschliche Sexualität lässt sich nicht eindämmen, in ihr | |
bleibt aller Verfolgung zum Trotz immer eine Kraft, die nicht erstickt | |
werden kann. Allerdings ist diese Ausstellung offenbar nur ein Kompromiss | |
dessen, was Berlin zu ermöglichen bereit ist. Denn Kurator und | |
Sexualwissenschaftler Rainer Herrn hätte lieber auch noch eine | |
internationale Konferenz zum Erbe Hirschfelds organisiert. Während die | |
Ausstellung aus Mitteln des Klassenlotteriefonds ermöglicht wird, sind die | |
beantragten Gelder aus dem Hauptstadtkulturfonds für die Konferenz nicht | |
bewilligt worden. Gründe der Ablehnung wurden wie üblich nicht genannt. | |
Der Schriftsteller Erich Kästner schrieb über den Aufmarsch der | |
bücherverbrennenden Horden am 10. Mai 1933, über ihren Köpfen schwanke "der | |
Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds (…) auf einer langen | |
Stange (…) hoch über der stummen Menschenmenge". Es muss den Jungkadern der | |
Bewegung ein Triumph gewesen sein, den "jüdischen Schweinereien" ein Ende | |
bereiten zu können. Ihr Regime wurde 1945 zerschlagen; das Ressentiments | |
gegen Hirschfeld und seine Arbeit scheint zäh am Leben zu bleiben. | |
6 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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