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# taz.de -- Houellebecqs Mutter schlägt zurück: Vergletscherung der Seele
> Mit ihrer Autobiografie meldet sich die vielgeschmähte Mutter des
> französischen Schriftstellers Houellebecq zu Wort. Sie muss für alles
> herhalten, was 68 angeblich angerichtet hat.
Bild: Der Dichter als noch etwas jüngerer Mann, 1999 in Frankfurt.
Michel Houellebecqs Mutter hat sich zu Wort gemeldet. "Die Unschuldige"
heißt ihre gerade in einem kleinen Pariser Verlag publizierte Biografie.
Eine Banderole stellt ihre Verwandtschaft mit dem Autor von
"Elementarteilchen", "Ausweitung der Kampfzone" und "Plattform" klar und
sichert ihr so die mediale Aufmerksamkeit. Denn Mutter Houellebecq - für
den berühmten Sohn der Inbegriff des Bösen - hört auf den Namen Lucie
Ceccaldi. Ihr Sohn hingegen lässt sich mit dem der Großmutter rufen - die
einzige Frau, die ihm als Kind ein wenig Liebe gewährt habe. Jetzt will
Ceccaldi ihre Version von ihrem Leben erzählen und richtigstellen: Alle
Vorwürfe gegen sie entbehren der Berechtigung. Sie ist unschuldig. Ihr Sohn
taucht übrigens erst auf Seite 166 auf. Madame Ceccaldi definiert sich
nicht als Mutter, sondern als Ärztin, als überzeugte Kommunistin, engagiert
im algerischen Freiheitskampf. Ihr Sohn ist ihr ein Nichts.
Wie kein anderer Literat hat Michel Houellebecq die Figur des von der
eigenen Mutter gedemütigten, kreuzunglücklichen und rasend unsympathischen
Durchschnittsmanns populär gemacht und zum Symptom unserer Zeit ausgerufen.
Eine Zeit, die der Franzose als bittere Spätfolge von 68 geißelt. "Die
sexuelle Befreiung", so heißt es in "Ausweitung der Kampfzone", "hatte die
Zerstörung der letzten Gemeinschaftsformen zur Folge (…), die das
Individuum vom Markt trennen." Wobei hier allererst die emanzipierten
Frauen zur emotionalen Vergletscherung der Welt beitragen. Immerhin waren
sie die Hüterinnen der Liebe und Fürsorge. Mit der Freigabe der Pille und
später der Abtreibung aber fällt diese letzte Bastion. Sex wird von der
Liebe entkoppelt und avanciert zur Leitwährung. Wer keinen Sex hat,
regrediert zur Witzfigur. Houellebecqs Antihelden bringen es zur Kopulation
nur in Ausnahmefällen. Sie sind zu kaputt, zu hässlich. Sie ähneln
"Büffelkröten", deren "glänzende Aknehaut ständig ein Sekret"
auszuschwitzen scheinen. Und taucht schließlich doch noch die eine Rettende
auf, gelingt es ihnen nicht, Empathie zu entwickeln. Dank ihren grausamen
Müttern sind die Söhne der sexuellen Befreiung sozial heillos verwahrlost.
Und damit jede Verwechslung ausgeschlossen ist, hat Houellebecq in
Interviews immer wieder seine leibliche Mutter für die eigene Verkümmerung
verantwortlich gemacht. Vor drei Jahren erklärte er sie für tot.
Und just diese Dame gibt nun freudig Interviews. In diesen beschimpft sie
ihren Sohn als einen an seinen Mitmenschen notorisch desinteressierten
"Parasiten". Sollte er sich noch ein weiteres Mal schlecht über sie äußern,
dann - so droht die heute auf la Réunion lebende Algerierin - würde sie ihm
mit einem Stock so fest "in die Fresse schlagen", dass kein Zahn mehr am
Platze bliebe. Das Feuilleton freut sich. Wann kriegt man schon mal eine
Mutter vors Mikrofon, die Gewaltfantasien gegen ihr Kind so beherzt zu
Markte trägt?
Doch der Spaß geht - wie meist in Sachen Houellebecq - über das rein
Boulevardeske hinaus. In der FAZ fragte sich der Literaturkritiker Joseph
Hanimann zum Beispiel, ob Ceccaldis Gesicht für das Konterfei für 68
gefunden sei, das derzeit "allenthalben gesucht wird". Dass die 1926
geborene Madame Ceccaldi allein vom Alter her kaum als typische 68erin
durchgeht, irritiert nicht.
Zu gut passt ihm ihr noch immer attraktives, inzwischen aber hexenhaft
zerfurchtes Gesicht mit den von schwarzen Kajalstrichen dick umrandeten
Augen und der großen Nase in den Anti-68er-Diskurs der Konservativen. Wenn
Ceccaldi das Gesicht der Emanzipation ist - was hat 68 dann anderes getan,
als die Büchse der Pandora zu öffnen?
Um 68 zu diffamieren, scheint jedes Mittel probat; Widersprüche werden
ausgehalten. Denn Houellebecqs Strichmännchen des Unglücks galten der
Kritik ja nie als tragische Einzelfälle einer exorbitanten mütterlichen
Vernachlässigung, sondern sie waren Symptome einer barbarisierten
Normalität der Mittelschicht.
Seis drum: Mutter und Sohn erweisen sich in ihrem beiderseitigen Hass noch
immer als effizientes Tandem. Houellebecq ist wieder in allen Feuilletons,
ohne dass er auch nur mit einer Silbe auf die Äußerungen seiner Mutter
reagiert hätte. Die beiden haben seit 1991 keinen Kontakt mehr.
Und während sich die wenigsten für das Leben der Lucie Ceccaldi
interessieren dürften, dem weiteren Verkauf der Romane ihres Sohnes kommen
ihre Ausfälle sicher zugute.
So also gilt noch immer, was Jens Jessen bereits 2002 in der Zeit anmerkte:
"Manche Schriftsteller ernähren sich vom Unglück, andere von der Hoffnung;
Houellebecq ernährt sich von der Kränkung."
12 May 2008
## AUTOREN
Ines Kappert
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