# taz.de -- Andrologieprofessor über die Fruchtbarkeit des Mannes: "Die Spermi… | |
> Die Sorge, dass die "täglichen" Umweltgifte die Spermienproduktion bei | |
> Männern beeinträchtigt, ist überzogen, sagt der Andrologieprofessor | |
> Eberhard Nieschlag. | |
Bild: Entschuldigen Sie, fährt hier der Sonderzug nach Pankow? | |
taz: Nimmt die Fruchtbarkeit des Mannes ab? | |
Eberhard Nieschlag: Nach allen Untersuchungen, die wir bisher vorliegen | |
haben, kann man das nicht sagen. | |
Aber in den letzten Jahren kursierten ja Informationen, die eher das | |
Gegenteil sagten? | |
Ja, aber wir müssen bei diesen Untersuchungen berücksichtigen, dass die | |
verwandten Methoden nicht standardisiert waren und wir erst in diesen | |
Jahren zu einer ausreichenden Qualitätskontrolle der Laboruntersuchung zur | |
Bestimmung der Spermien kommen. Frühere Untersuchungen wurden alle mit | |
unterschiedlichen Methoden gemacht, und viele Randfaktoren wurden nicht | |
richtig berücksichtigt. Als wichtigsten könnte man hier die Karenzzeit, | |
also die Abstinenzzeit zwischen zwei Ejakulationen nennen, die ganz | |
entscheidend wichtig ist, für die Spermienkonzentration vor allem. Mit | |
einer kurzen Karenz bekommt man niedrige Spermienzahlen, mit einer langen | |
Karenz bekommt man höhere Spermienzahlen. Und wenn man diesen Faktor nicht | |
streng unter Kontrolle hat, dann kann man alles "vortäuschen", möchte ich | |
fast sagen. | |
Für Sie ist ja die entscheidende Neuigkeit eine Studie aus Kopenhagen. Was | |
genau hat die herausgefunden? | |
Diese Studie hat unter kontrollierten Bedingungen über zehn Jahre eine | |
Kohorte von Männern im reproduktiven Alter untersucht. Die wichtige | |
Beobachtung ist nun, dass in diesen zehn Jahren keine Abnahme der | |
Spermienkonzentration zu beobachten war. | |
Heißt das denn, dass diese ganzen Sorgen, die man sich jahrelang gemacht | |
hat über die Auswirkung von Umweltgiften auf Spermien völlig vom Tisch | |
sind? | |
Wir müssen nach wie vor mit Substanzen, die in hohen Konzentrationen | |
tatsächlich toxikologisch Einfluss auf den menschlichen Organismus haben, | |
rechnen und müssen diese Substanzen auch weiter untersuchen und versuchen, | |
sie zu eliminieren. Aber die große Sorge, dass die täglichen "Umweltgifte" | |
unsere Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, die müssen wir, glaube ich, | |
nicht haben. | |
Wenn man über die Fruchtbarkeit des Mannes spricht, ist immer sofort von | |
der Spermienzahl die Rede. Kann man denn die Fruchtbarkeit einfach an der | |
Quantität festmachen? | |
Die Quantität der Spermien spielt eine große Rolle, und wir wissen, dass es | |
unter einer bestimmten Grenze dann wirklich kritisch wird. Nur haben wir | |
durch die Untersuchung von echten Vätern festgestellt, dass diese Grenze | |
viel niedriger ist, als wir früher annahmen. Und wir sind jetzt so weit, | |
dass wir sagen: Fünf Millionen Spermien, darunter wird es kritisch. Aber es | |
ist natürlich nicht mit der Spermienzahl allein getan, die Spermien müssen | |
beweglich sein, müssen vital sein und müssen auch so geformt sein, dass sie | |
eine Eizelle befruchten können. Wir haben aber bis heute keinen | |
vernünftigen Funktionstest für die Spermien. Der beste Funktionstest ist | |
nach wie vor der Eintritt einer Schwangerschaft! Dazwischen gibt es keinen | |
vernünftigen Labortest und vor allem keinen, der uns erlaubt das Spermium | |
störungsfrei zu untersuchen und zu wissen: Das ist eins, das fertilisieren | |
kann, das ist eins, das es nicht kann. | |
Gibt es denn neue Erkenntnisse, welche Rolle das Lebensalter des Mannes bei | |
seiner Fruchtbarkeit spielt? | |
Ja. Früher glaubten wir ja, dass die Frau ihr Klimakterium hat und danach | |
eine Schwangerschaft und das Austragen eines Kindes unmöglich ist, und | |
dachten, dass der Mann völlig unabhängig von solchen Faktoren ist. Beim | |
Mann gibt es kein Klimakterium, und wir wissen, dass viele Männer bis ins | |
höchste Alter Spermien produzieren und theoretisch und praktisch auch | |
Kinder zeugen können. Aber wir haben in den letzten Jahren doch | |
dazugelernt, dass auch die Fruchtbarkeit des Mannes etwa ab dem 40. | |
Lebensjahr nachlässt. Das sind verschiedene Faktoren, zu denen durchaus | |
auch die Spermienqualität gehört. Wir haben auch gelernt, dass bestimmte | |
genetische Störungen beim Nachwuchs mit zunehmendem Alter des Vaters | |
zunehmen. Insofern sehen wir also heute den älteren Vater etwas kritischer, | |
als das früher der Fall war. | |
Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht als Fruchtbarkeitsforscher die Männer | |
bei der niedrigen Geburtenrate in Deutschland? | |
Ich glaube, dass sind weniger biologische Faktoren, sondern es ist die | |
freie Entscheidung der Paare, ob sie Kinder haben wollen oder nicht. Wir | |
wissen allerdings, dass zum Beispiel die finanzielle Situation eines Mannes | |
durchaus eine Rolle spielt bei der Bereitschaft, Kinder zu zeugen oder | |
nicht. Wir sehen heute, dass die Anzahl der Kinder mit dem Einkommen | |
korreliert, im positiven Sinne. Früher hatten die armen Leute mehr Kinder | |
und die Reichen weniger, heute ist es umgekehrt. | |
INTERVIEW: DANIELA SIEBERT | |
15 May 2008 | |
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