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# taz.de -- Teil mehrerer Jugendbewegungen: Der Archivar der Jugendfrisuren
> Im Archiv der Jugendkulturen leistet Klaus Farin seit 10 Jahren
> Pionierarbeit. Die Sammlung zieht Interessenten aus ganz Deutschland nach
> Kreuzberg. Ohne ehrenamtliches Engagement sähe das Archiv alt aus. Denn
> Regelförderung fehlt.
Manchmal möchte Klaus Farin sein Lebenswerk gerne hinter sich lassen. "Ich
warte sehnsüchtig darauf, dass ich mich hier mal ein bisschen abnabeln
kann", sagt er - und schmunzelt. Denn das von ihm gegründete Archiv der
Jugendkulturen mit seiner europaweit einzigartigen Sammlung fordert bis auf
weiteres seinen ganzen Einsatz.
Der gebürtige Gelsenkirchener ist ein Brocken von einem Mann, dem die
strubbelige Haarmatte ins unrasierte Gesicht fällt. Er trägt schwarz-weiß
karierte Stoffschuhe, ein schwarzes Muskelshirt spannt über dem Bauch und
gibt den Blick frei auf eine Tätowierung auf seinem rechten Oberarm. Rein
optisch so ziemlich das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Archivar
vorstellt.
Auch das Archiv der Jugendkulturen ist kein gewöhnliche Sammlung von
Dokumenten. In der einstigen Bockbrauerei an der Kreuzberger Fidicinstraße
haben Farin und seine Mitstreiter Fanartikel, Filme, Musik, Literatur von
und über Jugendkulturen gesammelt. Skinheads und Punks, Hiphopper und Jesus
Freaks, Techno-Jünger und Gothics: Es gibt wohl keine Jugendszene, deren
Treiben hier nicht ausführlich dokumentiert wäre.
In den hellen, großen Räumen von Farins Büro im ersten Stock reichen die
voll beladenen Regale bis unter die Decke. Grünpflanzen ranken die Wände
hoch, auf einem Foto reckt ein johlender Punk mit grünem Iro die Faust in
den Himmel. Eine mit Buttons und Basecap verzierte Beethoven-Büste blickt
auf einen Aktenschrank, der mit Roy-Lichtenstein-Motiven besprüht ist.
Sonnenschein fällt durch ein Oberlicht auf den rot gebeizten
Kiefernholztisch, wo Farin Filterkaffee serviert.
Der Journalist beschäftigte sich schon früh mit jugendlichen Lebenswelten.
Mit 15 gab er eine Schülerzeitung heraus, mit 20 folgte das erste Buch. "In
dem Alter interessiert man sich halt eher für Jugendkulturen als für die
Grauen Panther", erklärt Farin. Da es zu dem Thema so gut wie kein
öffentlich zugängliches Quellenmaterial gab, wollte er seine Sammlung von
Flyern, "Fanzines" genannten Szenemagazinen und weiteren Devotionalien
einer Universität spenden. Dabei stieß er aber auf kein sonderliches
Interesse: "Die Nazisachen, die wollten alle haben, aber alles andere
nicht. Da hab ichs gemacht, wie mans in Deutschland halt macht: Verein
gründen, Kredit aufnehmen, Räume anmieten und ne Bibliothek aufmachen." Das
war vor zehn Jahren - am 18. Mai 1998.
Die geliehenen 50.000 Mark waren schon nach anderthalb Jahren aufgebraucht.
Glücklicherweise trudelten zu dieser Zeit die ersten Freiwilligen ein,
durch deren Engagement sich die Arbeit weiterführen ließ.
Darauf ist das Archiv auch heute noch angewiesen. Nur acht der 28
Mitarbeiter haben eine Stelle und bekommen regelmäßig Geld. Alle anderen -
Studierende, Werbeschaffende, Musiker, DJs, viele von ihnen selber
Szeneleute - verfolgen hier ihre Interessen und Projekte ehrenamtlich. Sie
organisieren Ausstellungen, bieten Workshops für Schulklassen an, betreiben
Medienforschung. Musiker kommen ins Archiv, um in den mittlerweile weit
mehr als 20.000 Fanzines zu stöbern; Lehrer und Sozialarbeiter, um
herauszufinden, wie die Kids heutzutage ticken; Studierende, um
Hausarbeiten zu schreiben. Zwei- oder dreimal im Jahr tauchen amerikanische
Germanisten auf, um die kostbare Quellensammlung zu nutzen.
Sein Verein vernetze "das Who is Who der Jugendforschung", sagt Farin. Der
dazu gehörende Verlag gibt eine Fachzeitschrift sowie sechs Bücher pro Jahr
heraus. "Wir sind sicher der einzige Verlag dieser Größenordnung, der nur
mit Ehrenamtlichen arbeitet", erzählt Farin mit einem leisen Anflug von
Stolz.
In seinen eigenen Büchern, ganze 28 sind es bisher, verfolgt er einen
Ansatz, der ebenso einleuchtend ist, wie er anfangs aufsehenerregend war.
Statt vom Schreibtisch aus zu theoretisieren, holt Farin, dem
wirklichkeitsfremde Stubenhocker im universitären Elfenbeinturm zuwider
sind, die Jugendlichen da ab, wo sie sich befinden. Auf
Rechtsrock-Konzerten kam er zum Beispiel mit Skinheads ins Gespräch. "Wenn
man erst mal den Einstieg hat, dann wird man weitergereicht. Man kommt
eigentlich in jede Szene rein, das ist nur ne Frage der Umgangsformen und
der eigenen Neugierde." Sein Alter kommt dem 1958 geborenen Farin dabei
auch heute nicht in die Quere: "Irgendwann bist du jenseits von Gut und
Böse. Dann finden die Jugendlichen es eher gut, dass sich mal ein
Erwachsener für sie interessiert."
Ein älterer Herr tritt an den Tisch. Werner Kließ ist freier Fernsehautor
und recherchiert für eine Serie über Jugendkulturen. Eine Bibliothekarin
mit der "Mötley Crüe"-Weste nimmt sich seiner an. Sie schleppt Ordner zum
Kopierer, Mitarbeiter schwatzen miteinander und bedienen sich an der
Küchenzeile, die direkt im Leseraum steht. Es herrscht nicht gerade
Unordnung, aber eben auch nicht die heilige Stille, durch die sich
Bibliotheken sonst für gewöhnlich auszeichnen.
Die Atmosphäre passt zu Farin. Selbst unkonventionell und gemütlich,
spricht er mit ruhiger Stimme und beantwortet Fragen routiniert. Er wirkt
wie einer, der viel gesehen hat und den nichts so schnell aus der Ruhe
bringt. Erst als das Gespräch auf gängige Vorurteile über "die Jugend"
kommt, mischt sich eine kaum wahrnehmbare Genervtheit in seinen Ton. "Es
scheint irgendwie eine genetische Konstante zu sein, dass alte Männer die
nächste Generation immer für schlechter halten als sich selbst", brummt er.
Besonders bei den 68ern diagnostiziert er das. "Die halten sich für die
Speerspitze von Jugend überhaupt. Dabei war das Rebellischste, was die
meisten von denen je gemacht haben, Rolling Stones zu hören."
Zunehmende Gewalt, hemmungslose Konsumgeilheit und apolitischen
Egozentrismus unter Jugendlichen hält er für Mythen. "Völliger Humbug ist,
dass Jugendgewalt derzeit absolut explodiert. Jugendgewaltkriminalität geht
bundesweit zurück - seit acht Jahren", sagt Farin. Auch das politische
Engagement sei nicht weniger geworden.
Allerdings gerieten Jugendkulturen heute zunehmend unter den Druck der
Konjunktur. In Vorbereitung auf den globalisierten Arbeitsmarkt würden
Noten, Leistung, Berufsorientierung immer wichtiger, das Ausprobieren
subkultureller Lebensstile träte dahinter zurück. "Jugendkultur ist heute
eher ein Freizeitphänomen. Der Ansatz, für längere Zeit völlig
auszusteigen, funktioniert für einen Großteil der Jugendlichen nicht mehr."
Diese ökonomischen Zwänge haben gesellschaftliche Konsequenzen: "Das
berühmte 68", ist sich Farin sicher, "hätte es unter den heutigen
wirtschaftlichen Bedingungen nicht gegeben."
Geldsorgen kennt das Archiv selber zur Genüge. Die Miete für inzwischen 700
Quadratmeter verschlingt pro Monat 6.000 Euro. Das lässt sich mit den
Bücherverkäufen gerade so decken, alles andere muss von wechselnden Trägern
geschultert werden. Das Programm "Vielfalt tut gut" des
Bundesfamilienministeriums ist der Hauptsponsor, mal gibt es EU-Mittel, ab
und zu schießt der Berliner Migrationsbeauftragte was zu. Aber eine
Regelförderung erhält das Archiv nicht. Besonders für die Mitarbeiter hat
das Konsequenzen. Da zwischen dem Ende eines Projekts und der Bewilligung
des nächsten meist einige Monate liegen, brechen immer wieder Leute weg.
Farin selbst, der rund 40 Stunden pro Woche im Archiv arbeitet, verdient
seinen Lebensunterhalt mit Vorträgen und Workshops in Akademien, Schulen,
Knästen und Jugendclubs. Ein Drittel des Jahres ist er unterwegs. "Wenn
Geld fehlt, muss ich auch immer wieder was reinbuttern. Würde ich morgen
ausfallen, wäre das Archiv wohl tot."
Weder der Senat noch die Bezirke haben bisher Möglichkeiten gefunden, dem
Archiv Räume zu überlassen oder zumindest die Kosten für die Leitung und
die Bibliothekarin zu übernehmen. Anderswo weiß man die Einrichtung
anscheinend besser zu schätzen. Aus Köln gebe es das Angebot, ein
zweistöckiges Haus mietfrei zur Verfügung zu stellen, berichtet Farin.
Vor dem Archiv sitzt Gabi Sauermoser in der Maisonne und dreht sich eine
Zigarette. Die lebhafte Steirerin mit dem grauen Dutt ist seit 2003
Sachbearbeiterin hier und spricht mit Verve und Begeisterung von ihrem
Arbeitsplatz. "Wir erfinden alles neu", sagt sie, lacht und rückt ihre
Brille mit dem roten Gestell zurecht. "Es ist chaotisch, aber es
funktioniert." Auch für ihren Chef ist sie des Lobes voll. Ein "Netzwerker
vom Feinsten" sei Farin, "von Kreativität durchdrungen", gar "das kreative
Schlachtross". Dann fügt sie hinzu: "Vielleicht neigt er zu sehr dazu, die
Dinge schon in Gestalt zu sehen, bevor die Finanzierung steht." Sie hält
inne und zieht an ihrer Selbstgedrehten. "Das klingt jetzt alles sehr
idealistisch, aber es ist schon hart an der Belastungsgrenze."
An diesem Wochenende aber feiern die Mitarbeiter. Pünktlich zum Jubiläum
eröffnet am Freitag die Punk-Ausstellung "Keine Zukunft war gestern". Für
den Abend hat sich PVC angekündigt, die erste Berliner Punkband und damit
die erste Deutschlands überhaupt. Dass sie die engagieren konnten, sagt
Farin, "da kann man schon stolz drauf sein".
16 May 2008
## AUTOREN
Georg Fahrion
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