# taz.de -- US-Forscher Thurman legt Plan vor: "Der Tibet-Konflikt ist lösbar" | |
> Robert Thurman, US-Tibetologe und Vater der Schauspielerin Uma Thurman, | |
> fordert von China einen Kurwechsel in der Tibet-Politik - und legt einen | |
> Plan zur Beilegung des Konflikts vor. | |
Bild: "Das Plateau zum Naturschutzgebiet erklären": Tibet | |
taz.de: Sie sind der Mann, der schreibt, wie China sein Problem mit Tibet | |
lösen kann. Wie löst man denn eben mal so einen der dramatischen Konflikte | |
der Gegenwart? | |
Robert Thurman: Zunächst, diese Ideen sind nicht ursprünglich von mir, | |
sondern ich habe sie aus zahlreichen Reden des Dalai Lama extrahiert, die | |
er über die Jahre gegeben hat. Mein Beitrag ist es, die einzelnen Elemente | |
zu einem konkreten Plan zusammengefasst und abgerundet zu haben. Der Dalai | |
Lama selbst hat das nie getan, ich bin auch nicht damit beauftragt worden, | |
aber ich habe ihm mein Manuskript gezeigt und er mochte das. Mir geht es | |
auf den Geist, dass alle immer sagen, das Problem ist nicht lösbar. | |
Punkt eins ist die Forderung, das in allen Verhandlungen mit der | |
chinesischen Regierung über Tibet stets alle Tibeter mit eingeschlossen | |
werden müssen. Dass allein hat ja die Sprengkraft einer Atombombe. | |
Die Chinesen waren in den 1950er Jahren clever und haben das ursprüngliche | |
tibetische Gebiet zerstückelt in so genannte Autonome tibetische | |
Präfekturen, die sie an existierende chinesische Provinzen anschlossen. | |
Heute leben zwei Drittel aller Tibeter in diesen ausgegliederten Provinzen. | |
Nur ein Drittel lebt in dem, was heute die Autonome Tibetische Region ist | |
und was Tibet genannt wird. Der Dalai Lama würde zunächst dafür sorgen | |
wollen, dass sich das Gebiet Tibets wieder bis zu den geographischen | |
Höhenlinien des Hochplateaus erstreckt. | |
Und China wäre bereit, sein Staatsgebiet schnell mal neu zu strukturieren? | |
Naja, so schwer ist das nicht. Die Gebiete heißen ja immer noch Autonome | |
Tibetische Präfekturen. Da wäre kein großes Umdenken erforderlich. Die | |
Präfekten würden ihre Berichte dann lediglich nach Lhasa schicken, statt in | |
die Verwaltungssitze der Provinzen, zu denen sie jetzt administrativ | |
gehören. Das würde der chinesischen Regierung natürlich nicht gefallen, | |
aber der Dalai Lama kann ja nicht nur für ein Drittel seines Volkes | |
sprechen. Das Ergebnis wäre dann keineswegs eine stabile Situation. | |
Zweiter Schritt: Die Entmilitarisierung Tibets und der Abzug der | |
chinesischen Volksbefreiungsarmee. | |
Ja, dazu gehört auch ein Ende der Subventionierung der Kolonialisten dort | |
oben auf dem tibetischen Plateau. Die fühlen sich da in der Höhenluft | |
ohnehin nicht wohl und bleiben nur wenige Jahre in Tibet, um viel Geld | |
durch ihre subventionierten Jobs zu verdienen. Bei Tageslicht betrachtet | |
ist das kein realer Verlust an Siedlungsfläche für die Han-Chinesen. Denn | |
ihre Kolonisierung verschlingt Unsummen und in sechs Kilometer Höhe können | |
nicht einmal die notwendigen Lebensmittel dafür angebaut oder erzeugt | |
werden. | |
Aus der Entmilitarisierung folgt dann wohl auch eine autonome Regierung für | |
Tibet? | |
Und zwar nach dem Vorbild, wie China mit Hongkong umgeht. Ein Land, zwei | |
Systeme. Die Tibeter hätten dann ihre eigenen Wahlen, Gesetze und | |
Gesetzgebung. Sie würden auch die Polizei und die Richter bestellen. Das | |
alles natürlich unter der souveränen Ordnung der Volksrepublik, so, wie es | |
für die Hongkonger auch gilt. | |
In Hongkong ist die Selbstständigkeit der Verwaltung und der Politik doch | |
nur Fassade. | |
Ich spreche von dem Modell, nicht von der Hongkonger Realität. In Tibet | |
müsste die Autonomie in der Tat stärker gesichert werden. Die Tatsache, | |
dass Tibet jetzt von Peking aus regiert wird, hat zu vielen katastrophalen | |
Fehlentscheidungen geführt, die wiederrum Hungersnöte und die Zerstörung | |
weiter Teile der Natur auf dem Hochplateau zur Folge haben. | |
Die Urangst der chinesischen Zentralregierung, dass wissen Sie als | |
Tibetforscher doch besonders, ist, dass das Reich der Mitte auseinander | |
brechen könnte, sprich, dass Mongolen und Uiguren und andere Ethnien, durch | |
Tibets Beispiel ermuntert, plötzlich alle die Freiheit verlangen. | |
Tibet würde sich ja nicht selbstständig machen. Der Dalai Lama hat immer | |
wieder versprochen, dass sich Tibet, sobald sich die chinesischen Besatzer | |
zurückgezogen haben, in einem Referendum zum Teil Chinas erklärt. | |
Das ist aber ein vages Versprechen. Was ist, wenn das Plebiszit anders | |
ausgeht, als es der Dalai Lama verspricht? | |
Dalai Lama ist viel mehr als Barack Obama. Jeder der weiß, welchen Einfluss | |
der Dalai Lama auf sein Volk hat, wird das nicht in Frage stellen. Der | |
Gottkönig würde dafür werben und sein Volk würde ihm folgen. Erst dieses | |
Plebizit würde China die langfristige Legitimität verleihen, die es in | |
Tibet bis heute gar nicht hat. Ihre historische Argumentation, warum Tibet | |
ein Teil Chinas sei, ist nämlich nicht besonders überzeugend. Wenn die | |
Mongolen und die Uighuren, die auch unglücklich sind, sehen, dass China | |
auch ein moderner Partner für das 21. Jahrhundert sein kann, werden sie | |
eher Vertrauen in Bejing entwickeln. | |
Bevor wir zur Allchinesischen Föderation kommen – muss nicht erst einmal | |
ein Termin ermöglicht werden, bei dem sich der Dalai Lama und die Pekinger | |
Regierung überhaupt erst einmal treffen? Sogar von diesem eignetlich | |
bescheidenen Punkt sind alle noch meilenweit entfernt. | |
Deshalb lautet der vierte Schritt, dass die chinesische Regierung mit ihrer | |
Kulturrevolutions-Propaganda gegen den Dalai Lama aufhört und sich mit ihm | |
anfreundet. So, dass auch die Bevölkerung ablässt von ihren schlechten | |
Gefühlen gegenüber dem Dalai Lama und er sich erstmals frei in China | |
bewegen und die Patronage Beijings in Anspruch nehmen kann. Die chinesische | |
Regierung würde dafür international Anerkennung erhalten und gleichzeitig | |
eine Restauration des chinesischen und tibetischen Buddhismus einleiten, | |
was ich für dringend notwendig halte. Das würde den Chinesen helfen, nicht | |
gleich auszurasten und verrückt zu spielen, wenn sie nicht innerhalb von | |
fünf Minuten reich werden. | |
Sie als gut dotierter Professor haben ja leicht Reden. Ok, und was | |
passiert, wenn dann alle nett zu einander sind? Tibet ist arm und kann sich | |
selbst wirtschaftlich kaum erhalten. | |
Der fünfte Schritt lautet, dass der Dalai Lama und die chinesische | |
Regierung gemeinsam das tibetische Plateau zum Naturschutzgebiet erklären. | |
Wie bitte, einzäunen? | |
Das würde China mit einem Schlag zum König der Umweltpolitik machen, und | |
den Druck auf seine natürlichen Ressourcen lindern. Denn Sie dürfen nicht | |
vergessen - Tibet ist das Quellgebiet der wichtigsten Flüsse Asiens. In der | |
Vergangenheit hat die falsche Politik Pekings auf dem Plateau für | |
Desertifizierung und Wassermangel gesorgt, mit weitreichendne Folgen für | |
ganz Südostasien. Man kann daraus nur folgern, was gut ist für Tibet, ist | |
auch gut für China. | |
Sie verlangen damit von der chinesischen Regierung nichts weniger als einen | |
Paradigmenwechsel. Bislang ging es Peking ja nicht um die Frage, was ist | |
gut für Tibet - sondern was ist in Chinas nationalem Interesse. | |
Der Dalai Lama nennt diesen Paradigmenwechsel "aufgeklärtes | |
Eigeninteresse". China weiß, dass Tibet für seine eigene Umwelt sehr | |
wichtig ist. Dort entspringen Chinas Flüsse, dort entstehen mit der | |
Westwinddrift die chinesischen Wetterbedingungen, die wiederum Dürren oder | |
Flut in China auslösen können. Chinas Kolonisierung zerstört die delikate | |
Balance in einer Weltregion, die nicht für eine urbane Kultur besiedelbar | |
ist. Das heißt auch, Chinas Kolonisierungsversuche werden niemals | |
nachhaltige Erfolge zeitigen. In dem Momant, wo aus Bejing keine Unsummen | |
an Geld mehr fließen, wendet sich in Tibet alles wieder gegen die | |
Besiedler. | |
Wer müsste denn Ihrer Meinung nach welchen ersten Schritt unternehmen? | |
Die chinesische Regierung müsste mit der kulturrevolutionären | |
nationalistischen Propaganda aufhören. Dann könnte der Prozess wieder | |
aufgenommen werden, der vor drei Jahren zum Stillstand kam. Das Politbüro | |
könnte dann zu der Erkenntnis kommen, dass man im 21. Jahrhundert unmöglich | |
noch Imperialismus und Kolonialismus praktizieren kann. Die Führung hätte, | |
wenn sie sich mit dem Dalai Lama im kleinen Kreis treffen würde, die Chance | |
zu erkennen, dass sie in ihm einen großen Gewinn haben. Denn er würde ihnen | |
helfen, diese Schritte zu gehen. | |
Professor Thurman, kann es sein, dass man Sie schon mal des, na, ich nenne | |
es mal ausgeprägten Idealismus bezichtigt hat? | |
Natürlich, das ist mir völlig recht. Wissen Sie, diese | |
Supermachtphantasien, wie sie auch die USA träumt, die funktionieren im 21 | |
Jahrhundert nicht mehr. Wer hätte vor 100 Jahren gedacht, dass es mal die | |
Europäische Union geben wird? Oder wer hätte 1988 gedacht, dass sich die | |
Sowjetunion aus Osteuropa zurückzieht? Intellektuell bin ich völlig davon | |
überzeugt, dass die erwähnten fünf Schritte eines nicht allzu fernen Tages | |
gemacht werden müssen. Emotional bin ich natürlich gestrickt wie jeder | |
andere Mensch auch. Ich habe auch manchmal meine Zweifel. Aber es gibt sehr | |
gute rationale Gründe zu argumentieren, dass Krieg und Unterdrückung auf | |
lange Sicht keine Früchte tragen. | |
Interview: Adrienne Woltersdorf | |
19 May 2008 | |
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China | |
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